Azoren: Entschleunigen mitten im Atlantik

Pottwal

Pottwal in den Gewässern vor den Azoren. (Foto: Copyright by Espaco Talassa)

Gepflegtes Reisen statt Massentourismus, atemberaubende Natur statt überfüllte Strände, gemächlicher Rhythmus statt Hektik: Die Azoren, auch die «Neun Perlen im Atlantik» genannt, sind ein wahrer Genuss für die Sinne. Ein Augenschein auf den drei Inseln Terceira, Faial und São Miguel:

Bereits die Anreise vom Festland auf eine der Inseln der Azoren unterstreicht die Lage des Archipels – nämlich mitten in Atlantik im Nirgendwo zwischen Portugal und Neufundland. Der Flug von Lissabon dauert je nach Insel zwischen zwei und drei Stunden, und für diese Zeit ist Portugal das letzte Stück Land, das Reisende vom Flugzeug aus gesehen haben. Sprichwörtlich aus heiterem Himmel zeichnet sich am Horizont aber plötzlich ein grüner Küstenstreifen ab. Wir landen auf Terceira.

Angra do Heroísmo auf Terceira. (Foto: ps – für Vergrösserung klicken)

Terceira: Eintauchen in die Geschichte
Auf der Fahrt zum Hauptort der Insel Terceira, Angra do Heroísmo, weiss man noch nicht so recht, wie sich die Landschaft einordnen lässt. Einerseits erinnern die Topographie und das Grün der Insel an Irland – gleichzeitig ist die subtropische Landschaft aber lieblicher, südlicher halt.

UNESCO-Weltkulturerbe: Angra do Heroísmo auf der Insel Terceira. (Foto: ps)

Die Ankunft in Angra do Heroísmo ist ein Eintauchen in die Geschichte. Die Gebäude der Altstadt reichen bis ins 16. Jahrhundert zurück und gehören heute zum UNESCO-Weltkulturerbe. Geschichte und Religion sind auf den Azoren ohnehin allgegenwärtig. Die Geschichte der Azoren ist auch eine der Freiheitskämpfe; die Inselgruppe ist sozusagen ein Korsika im Atlantik, während die abgeschiedene Lage, aber auch Naturgewalten wie Wind, Wetter und Vulkane einen guten Nährboden für den Glauben bildeten. So ist gefühlt nicht nur in Angra do Heroísmo jedes dritte Gebäude eine Kapelle, Kirche oder Kathedrale – bei einem Anteil von 90% Katholiken an der Gesamtbevölkerung.

Religion ist auf den Azoren allgegenwärtig. Vorbereitungen für ein Fest in einer Kirche im Landesinnern auf Terceira. (Foto: ps)

Beim Essen wird nicht gespart. Punkt.
Beim Nachtessen im Beira Mar in São Mateus – dem besten Fischlokal der Insel, wie es heisst – eine erste Erfahrung, die uns den Rest der Reise begleiten wird: Essen auf den Azoren ist immer opulent, darunter geht gar nichts. Dass am Ende nichts mehr übrig bleibt, ist für die Gastgeber schlicht unvorstellbar. Sie haben noch nie etwas von Seepocken gehört? Der Schreibende zuvor auch nicht. Diese köstlich schmeckenden, Cracas genannten Rankenfusskrebse werden vor dem Verzehr mit einem gekrümmten Nagel aus ihrer Behausung geholt.

Delikatesse, die dank eines gekrümmten Nagel zum Vorschein kommt: Cracas. (Foto mit freundlicher Genehmigung von Besser Leben Magazin – www.besserlebenmagazin.com)

Dass Fische und Meeresfrüchte zu den Hauptzutaten der Küche auf den Azoren gehören, ist selbstredend. Aber auch zartestes Rindfleisch gehört zum festen Speisezettel der Insulaner, zumal die in grosser Anzahl gezüchteten Rinder hier optimale Lebensbedingungen vorfinden. Einen Stall sieht wohl kein Rind jemals von innen. Manzo fidelio könnte man sagen. Vegetarier haben auf den Azoren entsprechend wenig zu lachen. Trotz des Reichtums an Früchten und Gemüsen gelten diese in der lokalen Küche zumeist als Beilage.

Im Innern des Vulkans
Ein besonderes Erlebnis erwartet uns am nächsten Tag: Waren Sie schon mal im Innern eines (erloschenen) Vulkans? In den Kamin des Algar do Carvão kann man tatsächlich über unzählige Stufen hinuntersteigen. Die Verformungen an den Wänden lassen erahnen, was für gewaltige Kräfte diesen Vulkan einst geschaffen haben.

Im erkalteten Schlot des Vulkans Algar do Carvão auf Terceira. (Foto: ps)

Die Azoren sind das Ergebnis von zahllosen vulkanischen Aktivitäten, die bis ins letzte Jahrhundert zurück reichen. Hier am Scheitelpunkt dreier tektonischen Platten, der nordamerikanischen, afrikanischen und eurasischen, ist die Erde nie ganz ruhig. Kleinere Beben ereignen sich beinahe täglich. In den vergangenen Jahrhunderten sind die Azoren aber auch von zahlreichen «Big Ones» erschüttert worden mit entsprechend gravierenden Folgen für die Menschen und Ihre Häuser. Das letzte schwere Beben ereignete sich im Jahre 1980, als weite Teile der Stadt Angra do Heroísmo zerstört wurden.

Essen wie vor 100 Jahren
Ebenfalls eine aussergewöhnliche Erfahrung: Essen wie vor 100 Jahren im ethnographischen Zentrum in Quinta do Martelo – selbstverständlich in einem ebensolchen Ambiente. Der Eintopf mundet – vor die Wahl gestellt würde der Autor aber der zeitgenössischen Küche gleichwohl den Vorzug geben.

Der Flug von Terceira nach Horta, dem Hauptort der Insel Faial, dauert gerade mal 35 Minuten. Die Landepiste verläuft geradewegs der schroffen Küstenlinie entlang und dürfte – je nach Wind und Wetter – für die Piloten mitunter eine Herausforderung sein. Beim guten Wetter während unserer Ankunft aber wohl kaum.

Horta, Hauptort der Insel Faial. (Foto: ps)

Faial: Whale Watching für starke Mägen
Auf Faial ist Whale Watching angesagt. Die Meeresgegend um die Azoren ist ein bevorzugter Aufenthaltsort für zahlreiche Walarten, wobei sich hier vor allem Pottwale aufhalten. Deren Weibchen und Jungmannschaft verbringen sogar das ganze Jahr an diesen Gestaden. Mit einem motorbetriebenen Katamaran geht es auf die offene, ziemlich unruhige See. Einige Kilometer ausserhalb treffen wir tatsächlich auf Wale, die zwar nicht wie erhofft durch die Luft springen, sich aber dennoch mit ihren Fontänen und den mächtigen Schwanzflossen zu erkennen geben.

An dieser Stelle bricht der Bericht des Schreibenden für den Rest des Tages ab, da er den Rat der begleitenden Meeresbiologin in den Wind geschlagen hat, wonach allzu langes Starren durch die Kameralinse seekrank machen kann. Es gibt nicht viele Momente im Leben, an denen man sich nur noch wünscht, sterben zu können. Dieser war einer davon, zumindest bis ich wieder festen Boden unter den Füssen hatte. Die Fische wird die unfreiwillige Fütterung aber bestimmt gefreut haben.


Whale Watching ist – zumindest auf den Azoren – aus der Not eine Tugend gemacht. Der Walfang war bis zu dessen Verbot in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts Alltag auf den Azoren. Die Whale Spotter, die von Hügeln aus den Walfängern die Aufenthaltsorte der Meeressäuger mitteilten, konnten ihrem Job treu bleiben. Die Walfänger hingegen standen vor einem veritablen Paradigmenwechsel – dies aber auch zu ihrem Vorteil, wie sie betonen. Schliesslich sei ein beobachteter Wal gegenüber einem erlegten sozusagen wiederverwertbar. Uneinigkeit besteht aber beim Schwimmen mit Delphinen. Während die betreffenden Anbieter betonen, den Delphinen würde der hautnahe Kontakt mit den Menschen nichts ausmachen, sind die reinen Whale-Watching-Anbieter der Ansicht, solcherlei würde verboten gehören. Das Beobachten von Walen selber ist streng reglementiert, so dürfen sich Boote nur bis auf 50 Meter zu den Tieren nähern und dies nur in kleiner Anzahl.

Gigantischer Krater
Ein neuer Tag – ein neues Leben: Sightseeing am Rand des riesigen Vulkankraters des Caldeira do Faial. Der Durchmesser dieses erloschenen Giganten beträgt vier Kilometer. Wir bleiben oben an der Krete – der Krater selber ist ein Naturschutzgebiet, zu dem nur Forscher mit Sonderbewilligungen Zutritt haben.

Vier Kilometer Durchmesser: Vulkankrater Cladeira do Faial auf der gleichnamigen Insel. (Foto: ps)

Jüngster Vulkan Europas
Was Vulkane «anrichten» können, erleben wir am Nachmittag bei einem Besuch des Vulkans Capelinhos. Dieser jüngste Vulkan hat sich 1957 aus dem Meer erhoben und eine «Mondlandschaft» aus Lava und Gestein geschaffen. Aber auch an Vulkanen nagt der Zahn der Zeit bzw. Wind und Wetter setzen ihm zu, und so dürfte es nicht mehr Jahrhunderte dauern, bis die rund 150 m hohe Erhebung wieder vollends abgetragen sein wird – oder vielleicht bis zum nächsten Ausbruch.

Vom Vulkan Capelinhos im Jahre 1957 bis auf 147 m Höhe aufgeschichtete Lava und Gesteinsbrocken auf der Insel Faial. (Foto: ps)

Auf den Azoren ist ein beträchtlicher Teil der Flora invasiv, also vom Festland hergebracht oder auch eingeschleppt worden. Allen voran die Hortensien, die während ihrer Blütezeit vornehmlich Strassenränder mit ihrem charakteristischen Blau färben. Andererseits kommen auf den Azoren nicht weniger als 56 Pflanzenarten vor, die sonst nirgends auf der Welt zu finden sind. Ausser Vögel sind auf den Azoren aber nicht viele Tiere heimisch, denn was nicht Flügel hatte, konnte im Laufe der Evolution auch kaum auf die Inseln gelangen.

Leuchtturm beim Vulkan Capelinhos auf Faial. (Foto: ps)

São Miguel: Grün und blau staunen
Ankunft auf der Insel São Miguel nach einem rund 50-minütigen Flug von Horta. Szenenwechsel: In der Hauptstadt Ponta Delgada erscheint alles ein wenig grösser als auf den beiden zuvor besuchten Inseln, vielleicht auch etwas touristischer. Aber auch hier stehen bauliche Zeugen aus fünf Jahrhunderten Geschichte. Und nachdem wir auf Terceira und Faial in gepflegten Drei- und Viersternhotels übernachtet haben, nächtigen wir hier im «Azor Hotel», dem neu eröffneten und einzigen Fünf-Stern-Hotel auf den Azoren. Hier wurde geklotzt und nicht gekleckert (Tipp: Besuchen Sie am Abend die Roof Top Bar mit Swimming Pool). Eine Erfahrung ist uns allen in Erinnerung geblieben: Design muss nicht zwingenderweise praktisch bedeuten, wie der geflutete Badzimmerboden nach jeder Dusche deutlich zeigte.

Während die einen am nächsten Morgen zum Schwimmen mit Delphinen aufbrechen, zieht es der Schreibende vor, an Land zu bleiben. Einmal seekrank hat gereicht. Wieder vereint fahren wir am Nachmittag ins Landesinnere auf die Sete Cidades, von wo sich uns ein spektakulärer Blick auf den (blauen) Lagoa Azul und den (grünen) Lagoa Verde eröffnet, die in einem riesigen Vulkankrater liegen. Das Tüpfelchen auf dem i ist ein anschliessendes Bad Lagoa Azul. In einem Vulkankrater schwimmt man schliesslich nicht alle Tage.

Lagoa Azul (hinten) und Lagoa Verde auf der Insel São Miguel. (Foto: ps)

«Schwefelküche»
Beim Besuch des Lagoa do Fogo, dem Feuersee, erfahren wir, weshalb es auf den Azoren heisst, es würden täglich vier Jahreszeiten herrschen. Je höher wir fahren, desto neblig-feuchter und kühler wird die Witterung und der Lagoa do Fogo, der eigentlich als schönster aller Vulkanseen der Azoren gilt, zeigt sich uns nicht von seiner prächtigsten Seite.

Ein Spektakel der anderen Art aber darauf am Lagoa de Furnas. Hier dringen beissend riechende Dämpfe aus dem Boden der Schwefelgrotten. Der Gedanke, dass darin unser Mittagessen in Form eines Eintopfs gekocht wird, ist am Anfang doch etwas speziell – die anschliessende Mahlzeit danach aber umso mehr ein Hochgenuss und von Schwefelgeschmack keine Spur.

Schwefelgrotten, in denen erst noch gekocht wird, am Lagoa de Furnas auf São Miguel. (Foto: zvg)

Die Azoren sind nicht per se eine Bade-Destination, obwohl der Atlantik von März bis Oktober Bade-Temperaturen aufweist. Badestrände gibt es zwar auf den meisten Inseln, aber man sollte sich wegen der Brandung zuvor über allfällige Gefahren informieren. Als Alternative bieten sich Felspools an, wo Badende nicht nur besser geschützt, sondern die Wassertemperaturen oftmals auch noch etwas höher sind.

Vom Azorenhoch
Auf dem Rückweg eine kurze Stippvisite im «Furnas Boutique Hotel», welches wiederum zum «Azor Hotel» gehört. Und siehe da: Duschen ist dort ohne Flutwelle im Badezimmer möglich.

Am Abend begegnen wir nicht ganz zufällig einem Schweizer, der wie kaum ein anderer über das Azorenhoch Auskunft geben kann. Thomas Bucheli ist fachlicher Begleiter einer Reisegruppe von Wetterinteressierten und hat sich für eine Weile zu uns gesellt, um auch uns darzulegen, dass das Azorenhoch an vielen Orten wirksam ist, nur nicht auf den Azoren selber. Und wir erfahren, dass Wettervorhersagen für diesen Archipel auch für hochgerüstete Meteorologen heute noch zu den Knacknüssen gehören.

Auf dem Rückflug mit TAP nach Lissabon, und noch vielmehr von dort nach Zürich, wird einem erst so richtig bewusst, wie entschleunigend dieser Aufenthalt auf den Inseln mitten im Atlantik gewesen ist. Die Zeit ist auch auf den Azoren nicht stillgestanden, aber die Uhren scheinen dort definitiv anders zu gehen. (ps)

Dieser Beitrag entstand im Rahmen einer Medienreise mit freundlicher Unterstützung von Amin Travel und TAP Portugal.

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