Chinesische Gegenwartskunst in Bern

ZPK

(Fang Lijun, Untitled, 2007 / Öl auf Leinwand / 3 Tafeln / 360 x 750 cm © the artist, Courtesy M+ Sigg Collection)

Bern – Bedeutende Teile der Sammlung des Schweizers Uli Sigg werden in einer Gemeinschaftsausstellung des Kunstmuseum Bern und des Zentrum Paul Klee in Bern zu sehen sein, bevor sie als Schenkung nach Hongkong gehen. Unter dem Titel «Chinese Whispers» zeigt sie vom 19.02 bis 19.06.2016 rund 150 neuere Werke der Sigg und M+ Sigg Collections und ist damit ein Spiegelbild des modernen Chinas.

«Chinese Whispers» (chinesisches Geflüster) bietet einen vertieften Einblick in die Kunstproduktion Chinas der letzten 15 Jahre und ermöglicht es den Besuchenden, das Land aus der Sicht von Kunstschaffenden von Ai Weiwei bis Zheng Gougu zu entdecken. Sie knüpft an die «Mahjong»-Ausstellung an, die 2005 von Bernhard Fibucher kuratiert im Kunstmuseum Bern stattfand und weltweit Beachtung fand, weil sie die chinesische Gegenwartskunst erstmals in grossem Umfang im Westen zeigte.

Der aktuelle Titel «Chinese Whispers» bezieht sich auf das Kinderspiel «Stille Post», bei dem Personen eine Nachricht weiterflüstern, die sich im Lauf der Zeit verfälscht. Diese Idee von Überlieferung, Austausch, Missverständnis und Verzerrung liegt auch der Ausstellungskonzeption zu Grunde. An beiden Ausstellungsorten wird einerseits der Einfluss der westlichen Gegenwartskunst auf das chinesische Schaffen sichtbar, andererseits werden die Auseinandersetzung mit der eigenen Tradition und den Lebensbedingungen im heutigen China reflektiert. Die Ausstellung hinterfragt zudem, welche Wahrnehmung der Westen von China hat – der grössten globalen Wirtschaftsmacht, die zwar näher rückt, aufgrund kultureller, historischer und politischer Differenzen aber fremd bleibt.

Die Ausstellung macht erlebbar, wie sich die chinesischen Künstler und Künstlerinnen eine Position zwischen Westen und Osten, Fortschritt und Tradition erarbeiten. Sie versuchen, selbstbewusst beides zu vereinen und eine eigene Identität im globalen Kunstbetrieb zu finden (Ausstellungsteil im Kunstmuseum Bern). Gleichzeitig kommen die Auswirkungen des drastischen Wandels in China im Stadtraum, im Umgang mit Ressourcen, in der Dokumentation der jüngsten Geschichte sowie in der Kritik des politischen Systems oder emotionalen Innehaltens zum Ausdruck (Ausstellungsteil im Zentrum Paul Klee/Kunstmuseum Bern).

Hintergrund
Die chinesische Gegenwartskunst ist ein Phänomen ohne Parallele. Anders als die heutige westliche Kunst, die aus einer Abfolge kunstgeschichtlicher Entwicklungen entstanden ist, machte die Kunst in China nach der zaghaften politischen Öffnung in den 80er Jahren einen Sprung. Es entwickelte sich eine völlig neue Kunst. In kürzester Zeit griffen chinesische Künstlerinnen und Künstler die verschiedenen modernen Kunstrichtungen des Westens auf, die sie bis anhin «verpasst» hatten. Die Inhalte waren aber genuin chinesisch und oft eine Reaktion auf die schwierige politische und gesellschaftliche Situation der Zeit. Seit der Jahrtausendwende ist eine neue Generation Kunstschaffender am Werk, die sich wieder vermehrt auf die eigene, sehr reiche künstlerische Tradition besinnt. Dabei hat sie es geschafft, in der weltumspannenden Kunstszene anzukommen und zu den wichtigen Playern im globalen Kunstbetrieb zu gehören.

Weitsichtiger Schweizer Sammler
Uli Sigg – Wirtschaftsjournalist, Unternehmer, Schweizer Botschafter in China (1995 bis 1998) und Kunstsammler – begann sich Ende der 1970er Jahren, mit der chinesischen Gegenwartskunst zu befassen und in der Folge als Erster in systematischer Weise ihre Werke zusammenzutragen. Ganz bewusst sammelte er nicht nach seinem Geschmack sondern in repräsentativer Weise, wie es dem Auftrag einer Nationalgalerie entspräche. Da es einen solchen Auftrag nicht gab und bis heute nicht gibt, gilt seine Sammlung von mehr als 2‘200 Werken von etwa 350 Kunstschaffenden als die weltweit bedeutendste. Dieses einzigartige Konvolut, das 40 Jahre chinesische Kunstgeschichte umfasst, wollte Sigg von Beginn an in sein Ursprungsland zurückbringen. Er fand in dem in Hongkong neu gegründeten M+ Museum für visuelle Kultur die ideale Stätte und vermachte der Institution 2012 den grössten Teil seiner Sammlung. M+, vom Schweizer Architekturbüro Herzog & De Meuron als eines der weltweit grössten Museen entworfen, wird 2019 eröffnet. Die «M+ Sigg Collection» wird den Grundstock der Museumssammlung bilden. Die Ausstellung «Chinese Whispers» nimmt Exponate aus der bereits überschriebenen sowie der Sigg Collection auf, die bei Uli Sigg verbleibt.

(Uli Sigg neben dem Gemälde «Moon Rabbit» von Shao Fan / Photo: Karl-Heinz Hug © Sigg Collection)

Gemeinsame Ausstellung
«Chinese Whispers» ist das bislang aufwendigste Kooperationsprojekt der beiden grossen Berner Kulturinstitutionen Kunstmuseum Bern und Zentrum Paul Klee, die seit Mitte 2015 unter einer gemeinsamen Dachstiftung operieren. Sie stellen mehr als 4‘000 m2 ihrer Ausstellungsflächen zur Verfügung, um dem Schweizer und europäischen Publikum eine spannende Auswahl von 150 Werken, darunter auch eine Anzahl spektakulärer Installationen, zu präsentieren. (mc/pg)

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