Sport und Gitarrensolo im Wohnzimmer, Konzerte im Stream: Ideen, die uns bleiben

(Illustrationen: Jörg Dommel / sueddeutsche.de)

Blickt man auf das Jahr zurück, erinnert man sich an Menschen und Ereignisse. Was aber Bestand hat, sind Ideen. Die Auswahl der Süddeutschen Zeitung ist kein Kanon für die Ewigkeit. Unser Denken haben sie im vergangenen Jahr jedoch schon verändert.

Es müssen nicht gleich musikalische Open-Air-Grossveranstaltungen auf Königsplätzen und vor Feldherrenhallen sein mit Zehntausenden von Zuhörern. Früher gab es in fast jedem Park oder im Areal von Ausflugslokalen, von Kurorten gar nicht zu reden, Pavillons und Schallmuschelgehäuse, in denen Salonorchester oder Kapellen sassen und musizierten, während die Besucher bei der Matinee ihren Frühschoppen nahmen oder nachmittags ihren Tee schlürften. Wer den Corona-Sommer 2020 erlebt hat, wird sich mit Freuden jener einfallsreichen Veranstalter und Musiker erinnern, die voller Enthusiasmus mit kühnen Zeltkonstruktionen, raffinierten Miniverstärkungen dafür gesorgt haben, dass das überraschte Publikum im Park vergnügt Livemusik erleben konnte, wundersam, weil nie störend vermischt mit Grillenzirpen und Vogelsang. Das wird für die kommenden Jahre Schule machen, es werden Schallmuscheln aller Art in Parks und öffentlichen Gärten entstehen und daraus Musik unmittelbar, ganz direkt erklingen, von Menschen für anwesende Menschen gespielt.
Harald Eggebrecht

Kontakt ohne Berührung
Ein Mann soll an der Supermarktkasse die PIN eintippen. Er zögert. Dann zieht er aus der Hosentasche etwas hervor, das an einen Schlagring erinnert. Für einen kurzen Augenblick ist es wie im Western, wenn der Mann am Piano aufhört zu spielen. Doch dann entpuppt sich der Schlagring als «Multitalent für den berührungslosen Alltag», so die Firma Rehau über das von ihr hergestellte Werkzeug «noTouch». Das Tool dient dazu, Türgriffe, Aufzugknöpfe, Lichtschalter und andere mutmassliche Seuchenfallen ohne direkte Berührung zu nutzen – no touch. Das Gerät wird nicht bleiben, wenn Corona verschwindet. Aber Sprach- und Sensorsteuerung werden dennoch aus der Welt zunehmend etwas Futuristisches machen, was der Kommandobrücke der «Enterprise» ruhig ähnlicher sein darf als einem Schlagring.
Gerhard Matzig

Neuronales Interface
Traum und Albtraum trennt oft nicht viel. 2020 bleibt vielleicht auch als das Jahr in Erinnerung, in dem die Mensch-Maschine-Interaktion auf ein neues Level gehoben wurde. Oder als das Jahr, in dem der Grundstein zur Abschaffung des Menschen gelegt wurde. Seit Jahrzehnten macht die Medizin Fortschritte bei neuronalen Implantaten, um zum Beispiel gelähmten Patienten wieder etwas Bewegungsfreiheit zu geben, indem sie per Sonde im Gehirn eine Prothese oder einen Computer-Cursor bewegen können. Elon Musk, Gründer von Tesla und Space X, möchte nun auch diese Technologie, so wie die Raumfahrt und die Autoindustrie, in ein neues Zeitalter schiessen. Im Sommer stellte er seine Vision von einem Chip im Gehirn vor, der automatisch von einer Art Chirurgie-Helm eingesetzt werden soll. Zum Mitschreiben: Musk träumt von Gehirnoperationen für alle. Aber der denkt ja auch, dass wir bereits in einer Computersimulation leben. Wen das noch nicht genug gruselt: Auch Facebook soll an einem Interface arbeiten, um direkt auf die Gehirne seiner Nutzer zugreifen zu können. Oder die auf Facebook, je nachdem. Viel Spass in der Zukunft.
Nicolas Freund

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