Von Onur Von Burg, Managing Director, Member of the Investment Committee, CIIA, Banque Heritage
Der Home Bias ist die natürliche Tendenz der Investoren, ihren eigenen Markt zu bevorzugen. Es ist ein gut dokumentiertes Konzept der Behavioral Finance.
Dieses Home Bias ist zwar weltweit verbreitet, hat aber in der Schweiz eine besondere Dimension: Hier ist der Aktienmarkt durch eine hohe sektorielle Konzentration gekennzeichnet. Hinter dieser Vorliebe verbirgt sich jedoch eine entscheidende Frage: Investieren Anleger wirklich in die Schweiz, wenn sie den SMI (Swiss Market Index) wählen? Sind die Vorteile des Indexes nicht weitgehend eine nationale Fata Morgana? Der «patriotische» Anleger ist weit von dem Schutz entfernt, den er sich vorstellt: Während der Investor glaubt, sein Portfolio lokal abzusichern, sieht er sich oft globalen Risiken ausgesetzt. Dieser Mythos muss dekonstruiert werden, um die Auswirkungen des Home Bias auf die reale Anlageperformance besser zu verstehen.
Obwohl es heute einfacher ist, über ETF-Fonds international zu investieren, legen viele Schweizer Anleger immer noch einen beträchtlichen Teil ihres Portfolios in inländische Aktien an. Diese Vorliebe kommt nicht von ungefähr: Sie lässt sich durch ein Gefühl der Vertrautheit, die Wahrnehmung eines geringeren Risikos und den leichteren Zugang zu Informationen erklären. Wer würde sich nicht durch den Gedanken beruhigt fühlen, in einheimische Unternehmen zu investieren, deren Produkte allgegenwärtig sind und deren Management leichter überprüft werden kann? Die Anleger haben oft das Gefühl, dass sie die lokalen Unternehmen, Vorschriften und die wirtschaftliche Dynamik besser verstehen.
Abgesehen von den einfachen Präferenzen bietet eine Anlage in der Schweiz vor allem für inländische Anleger erhebliche Vorteile: So wird beispielsweise das Währungsrisiko reduziert, da die Erträge in Schweizer Franken ausgewiesen werden. Dies ist ein grosser Vorteil, wenn es darum geht, Portfolios vor ungünstigen Währungsschwankungen zu schützen. Da der Schweizer Franken als sicherer Hafen gilt, kann dieser Faktor auch zu einer grösseren Portfoliostabilität beitragen, insbesondere angesichts der weltweiten Finanzturbulenzen.
Hohes Konzentrationsrisiko
Mit bekannten multinationalen Unternehmen wie Nestlé, Novartis und Roche bietet die Schweiz einen attraktiven Aktienmarkt für einheimische Anleger, die auf Qualität und Stabilität Wert legen. Diese nationale Präferenz birgt jedoch erhebliche Risiken der Branchenkonzentration: Der SMI wird von den Sektoren Gesundheitswesen, Konsumgüter und Finanzen dominiert, die über 75 Prozent des Index ausmachen. Allein auf die drei Giganten Nestlé, Novartis und Roche entfällt ein erheblicher Anteil. Diese Struktur führt zu einem hohen Konzentrationsrisiko und zwingt die lokalen Anleger zu einem unverhältnismässig hohen Engagement in einer begrenzten Anzahl von Sektoren und Unternehmen. Dadurch wird die Diversifizierung ihrer Portfolios verringert.
Wie das nachstehende Grafik zeigt, weist der SMI eine viel höhere Konzentration der drei Hauptkomponenten auf als andere Märkte mit ähnlichen Risiken. Dies kann dazu führen, dass Anleger wachstumsstarke Sektoren wie Technologie- oder Kommunikationsdienstleistungen oder geografische Regionen vernachlässigen, die den Inlandsmarkt wahrscheinlich übertreffen werden.
Acht Abschlüsse in Fremdwährung
Eine Schlüsselfrage im Zusammenhang mit der «nationalen Präferenz» ist die wahre «Swissness» der Erträge der in der Schweiz kotierten Unternehmen. Ein aufschlussreicher Indikator dafür ist die Anzahl der SMI-Unternehmen, die ihre Jahresabschlüsse in einer Fremdwährung veröffentlichen. Von den 20 Unternehmen des SMI veröffentlichen nur zwölf ihre Abschlüsse in Schweizer Franken. Das bedeutet, dass fast die Hälfte der SMI-Mitglieder aus Unternehmen bestehen, die andere Währungen in Ihren Jahresabschlüssen eingeführt haben. Die meisten entscheiden sich für den US-Dollar, während Richemont das einzige Unternehmen ist, das seine Bilanzen in Euro veröffentlicht. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Unternehmen wie Novartis oder Logitech erwirtschaften einen Grossteil ihres Umsatzes im Ausland. Nur ein Bruchteil davon wird in Schweizer Franken ausgewiesen. Die Verwendung einer Fremdwährung für die Finanzberichterstattung verringert die durch Wechselkursschwankungen verursachten Verzerrungen und vermeidet Fehlinterpretationen der operativen Leistung.
Ein weiterer wichtiger Faktor für die Beurteilung der Swissness der SMI-Mitglieder ist die geografische Verteilung ihrer Umsätze. Entgegen der landläufigen Meinung erwirtschaften viele grosse Unternehmen nur einen kleinen Teil ihres Umsatzes in der Schweiz. Gemäss Bloomberg-Daten erzielen Unternehmen wie Givaudan, Sonova, Roche und Alcon einen einstelligen Prozentsatz ihres Umsatzes in der Schweiz. Unternehmen wie Swisscom, die rund 75 Prozent ihres Umsatzes auf dem heimischen Markt erzielen, sind eher die Ausnahme als die Regel. Selbst Geberit gehört mit rund elf Prozent des Umsatzes aus der Schweiz im Jahr 2024 zu den Top-Umsatzbringern im Inland. Diese Tatsache stellt den Begriff «Swiss Made» in Frage und deutet darauf hin, dass die Entwicklung des SMI mehr von den globalen wirtschaftlichen Trends als von denen der Schweizer Wirtschaft beeinflusst wird.
Diversifizierung ist gefährdet
Nationale Präferenzen sind oft durch emotionale Gründe oder ein Sicherheitsgefühl motiviert. Sie können das Grundprinzip von Investitionen gefährden: die Diversifizierung. In einer globalisierten Wirtschaft werden die Erträge der Unternehmen mehr von der globalen Dynamik als von der lokalen Nachfrage beeinflusst. Wer diese Realität ignoriert und sein Portfolio auf den Schweizer Markt konzentriert, setzt sich gewissen Risiken aus und kann ein falsches Gefühl der Sicherheit vermitteln. Die derzeitige Ungewissheit, die durch die jüngsten Entscheidungen über Zölle noch verstärkt wird, schwächt die Argumente für Schweizer Unternehmen zusätzlich, da viele SMI-Unternehmen einen grossen Teil ihres Umsatzes in den USA erwirtschaften
Investoren in heimische Werte sind zwar durch den Schweizer Franken als sicheren Hafen geschützt. Wie lange können sie es sich angesichts des instabilen Wirtschaftsklimas – das durch Trumps Äusserungen noch verschärft wurde – noch leisten, die Bedeutung einer Diversifizierung ihrer Anlagen über die Grenzen der Schweiz hinaus zu übersehen?