Der Wohnungsbau in der Schweiz stockt. Das Ausmass der ungenügenden Wohnungsproduktion wird deutlich, wenn man die Zahl der geplanten Wohnungen ins Verhältnis zur Bevölkerungsentwicklung oder zum Wohnungsbestand setzt. Wurden zwischen 2004 und 2017 jährlich im Schnitt 7,3 Wohnungen pro 1000 Einwohner geplant, waren es zwischen 2020 und 2024 noch 5,5. Dabei ist zu beachten, dass heute die tatsächliche Zahl neu geschaffener Wohnungen aufgrund der wachsenden Bedeutung von Ersatzneubauten geringer ausfällt, da durch Ersatzneubauten zwar neue Gebäude entstehen, aber bestehender Wohnraum zugleich verloren geht. Die Zahl der baubewilligten Wohnungen überschätzt damit den effektiven Nettozuwachs. Kein Wunder leidet der Wohnungsmarkt unter Anspannung und steigen die Mieten ungebremst.
von Fredy Hasenmaile, Chefökonom Raiffeisen
Weniger Umzüge durch den Lock-in-Effekt
Ein zusätzlicher Belastungsfaktor ist das geltende Mietrecht: Die Marktmieten steigen viel rascher als die Bestandsmieten in langjährigen Mietverhältnissen. Das führt dazu, dass ein grosser Graben zwischen den Bestandsmieten und den ausgeschriebenen Neumieten entstanden ist. Viele Haushalte bleiben daher aus Kostengründen in ihren langjährigen Wohnungen, obwohl sie eigentlich zu gross oder zu klein sind. Dieser Lock-in-Effekt verschärft die Krise auf dem Wohnungsmarkt zusätzlich und bewirkt, dass immer weniger Umzüge stattfinden. Seit 2020 hat die Zahl der Personen, die pro Jahr innerhalb der Schweiz umziehen, um 74’000 abgenommen. Besonders ältere Menschen verbleiben mangels finanzieller Anreize in zu grossen Wohnungen und entziehen damit dem Wohnungsmarkt dringend benötigte Wohnflächen.
Wohnungstausch dank Plattformen
Aufgrund der Wohnungsmisere hat die Idee des Wohnungstausches den Sprung von der Theorie in die Praxis geschafft. Der Wohnungstausch bedingt einen Match, das heisst, zwei tauschwillige Haushalte müssen wechselseitig Interesse an ihren Wohnungen bekunden. In der Realität ist eine solche Übereinstimmung selten. Angenommen, jedem Tauschwilligen gefällt von 100 Wohnungen im Durchschnitt eine, so liegt die Match-Wahrscheinlichkeit bei gerade einmal 0,1 Promille. Aushänge an Schwarzen Brettern sind daher nahezu chancenlos. Digitale Tauschbörsen hingegen erhöhen die Erfolgschancen. Sie erleichtern dank Algorithmen das Auffinden eines Tauschpartners und reduzieren die Suchkosten massiv. Im digitalen Raum haben sich entsprechend kostenfreie und auch kommerzielle Portale gebildet, die sich auf Wohnungstausch spezialisiert haben.
Vermieter müssen mitspielen
Haben sich zwei Tauschinteressierte auf diesem Weg gefunden, müssen sie ihre Vermieter informieren und deren Zustimmung zu einem Wohnungstausch einholen. Geben die Vermieter ihre Einwilligung, werden neue Mietverträge aufgesetzt, die alten gekündigt und ein Datum für den Wohnungstausch wird vereinbart. Damit ein Tausch stattfinden kann, müssen insgesamt also vier Parteien zustimmen. Das Einverständnis des Vermieters zu erlangen ist oftmals eine Hürde. Keineswegs gesichert ist, ob der Tausch zu den alten Mietpreisen stattfinden kann. Wohnungskündigungen sind eine der wenigen Möglichkeiten, bei welchen die Vermieter ihre Wohnungen den Marktgegebenheiten anpassen können. Ob sie auf ihr Recht, den neuen Wohnungsmieter selbst auszuwählen und gegebenenfalls den Mietpreis anzupassen, verzichten, ist fraglich.
Wohnungstausch bleibt ein Nischenphänomen
Plattformen wie zum Beispiel Hoyou.ch oder Tauschwonung.ch gewinnen an Popularität. Waren auf letzterer in Zürich vor wenigen Jahren bloss einige Dutzend Wohnungen ausgeschrieben, sind es heute deren 740. Laut Plattformangaben wurde im Zeitraum von 2021 bis 2023 rund 480 Haushalten zum Tausch verholfen. Das Konzept funktioniert, allerdings verblasst diese Zahl angesichts der 44’000 Umzüge, die jährlich innerhalb der Stadt Zürich stattfinden. Andernorts hat die Plattform noch nicht grosse Verbreitung erfahren. In Winterthur sind zum Beispiel nur 20 Wohnungen zum Tausch angeboten, obwohl die Eulachstadt bevölkerungsmässig nur vier Mal kleiner ist als Zürich. Doch die Zahl der Tauschangebote steigt, insbesondere in der Stadt Zürich, wie eine langjährige Statistik belegt. Das mit viel Herzblut betriebene Immomailing versendet seit 1999 E-Mails über freiwerdende oder zum Tausch angebotene Wohnungen. Während die Zahl der Tauschangebote lange Zeit kaum über 100 pro Jahr hinauskam, steigt sie seit 2018 markant an und erreichte im letzten Jahr knapp 600 Tauschangebote. Andere Plattformen richten sich nicht ausschliesslich an Mieter, sondern auch an Eigentümer. Das bekannteste davon ist Hoyou, das mittlerweile schweizweit mehr als 1000 Tauschangebote gelistet haben dürfte.
Wohnungsmangel treibt Blüten
Auch Wohnbaugenossenschaften und staatliche Immobilienverwaltungen ermöglichen den Wohnungstausch innerhalb ihrer grossen Bestände. Doch ebenso wie bei den privaten Plattformen fehlt es an Skalierung. Ein Blick nach Deutschland zeigt ein ähnliches Bild. Die Tauschplattformen sind eine Nische, die für Mieter im Glücksfall Lösungen bieten, mehr nicht. Vielfach treten Tausche dort auf, wo die üblichen Marktmechanismen durch Regulierungen oder andere Gründe ausgehebelt werden. Für Mieter sind sie Strohhalme, für Entscheidungsträger Signale, dass der Marktmechanismus zu stark eingeschränkt wurde und dieser nicht mehr in der Lage ist, komplementäre Bedürfnisse in Übereinstimmung zu bringen.