procure.ch: Aktives Management von Lieferanteninsolvenzen

Symbolbild. (Foto: © photo 5000 – Fotolia.com)

von Jörg Grimm und Elmar Holschbach*

Aufgrund von strukturellen Umbrüchen in einigen Branchen und der Coronakrise droht eine Welle von Lieferanteninsolvenzen. Dies kann schwerwiegende Auswirkungen auf beschaffende Unternehmen haben. Umso wichtiger, dass sich der Einkauf darauf vorbereitet und einen ganzheitlichen Ansatz mit präventiven und kurativen Massnahmen zur Bewältigung aufbaut.

Während der letzten Jahre wurden beschaffende Unternehmen nur selten mit Lieferanteninsolvenzen konfrontiert. Wenn doch, dann zeigte der Fall meist deutlich auf, welche Schwächen im Umgang damit existierten. Die Bewältigung von Lieferanteninsolvenzen weist enge Verknüpfungen zum Risiko- und Lieferantenmanagement eines beschaffenden Unternehmens auf und sollte daher dort mitgedacht werden.

Das übergeordnete Ziel der Massnahmen im Management von Lieferanteninsolvenzen ist es, die negativen Auswirkungen einer Lieferanteninsolvenz möglichst gering zu halten, das heisst, die Verfügbarkeit der betroffenen extern bezogenen Leistungen weiterhin zu gewährleisten sowie die mit dem Insolvenzfall verbundene zeitliche Involvierung und die finanziellen Konsequenzen zu minimieren.
Basierend auf einer branchenübergreifenden Studie, die rund zwanzig Insolvenzfälle im deutschsprachigen Raum analysierte, konnte ein ganzheitlicher Ansatz zum Management von Lieferanteninsolvenzen abgeleitet werden. Dieser setzt sich aus präventiven und kurativen Massnahmen zusammen. Beschaffenden Unternehmen empfiehlt es sich, bestehende Ansätze zu prüfen und mögliche Schwachstellen zu beheben.

Präventive Massnahmen
Präventive Massnahmen zielen darauf ab, die Ausgangslage für den Fall der Fälle zu verbessern. Diese Massnahmen erstrecken sich von Systemen zur Identifikation von Insolvenzrisiken über die Unterstützung von Lieferanten während Unternehmenskrisen, vertragliche Vorkehrungen, die Etablierung von praktikablen Prozessen und lückenlosen Checklisten sowie die Weiterentwicklung der eigenen Organisation bis hin zur Vorauswahl von alternativen Lieferanten.

Zur Identifikation von Insolvenzrisiken können etablierte Dienstleister wie Bisnode, D&B oder Riskmethods unterstützen. Hierbei spielen jedoch Ex-post-Betrachtungen eine übergeordnete Rolle. Es zeigt sich aber in vielen Fällen, dass gerade der enge persönliche Kontakt zu Mitarbeitenden der Lieferanten besonders wichtig ist und auf Insolvenzen aufmerksam machen kann – noch bevor sonstige «Alerts» anschlagen. In der aktuellen Coronasituation lohnt sich beispielsweise die regelmässige Nachfrage bei allen wichtigen oder kritisch eingestuften Lieferanten, wie es diesen «geht» und ob Unterstützung erforderlich ist. Der Lebensmitteldiscounter Aldi hat so proaktiv die Zahlungsziele reduziert und zahlt in der aktuellen Situation die Rechnungen seiner kleineren Lieferanten direkt.

Bei der Ausgestaltung vertraglicher Aspekte (unter anderem beispielsweise Immaterialgüterrechte, Escrow, Zugriff auf Unterlieferanten) ist besonderes Augenmerk darauf zu richten, dass diese «konkursfest» erfolgen. Es ist dabei das jeweilige nationale anzuwendende Recht zu berücksichtigen. Für die entsprechende Vertragsgestaltung ist eine enge juristische Begleitung unabdingbar.

Während eine merkliche Anzahl beschaffender Unternehmen grundlegende Prozesse und Checklisten für die Bewältigung von Lieferanteninsolvenzen und zur Befähigung ihrer Organisation etabliert haben, gehen nur wenige Unternehmen so weit, bereits vorab einen «Krisenfonds» zu budgetieren und die Entscheidungskompetenz darüber einer Taskforce zu übertragen. Mit solch einem Budget kann schnell reagiert werden, zum Beispiel für die Auftragserteilung zur Fertigung neuer Werkzeuge oder für ein Reengineering kritischer Komponenten.

Kurative Massnahmen
Kurative Massnahmen sind zu ergreifen, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Vorrangig sollen damit die Verfügbarkeit respektive der Leistungsbezug gesichert sowie die finanziellen Konsequenzen nach Möglichkeit minimiert werden. Dies beginnt mit der Transparenz des Konkursverfahrens und der Übersicht über die wichtigsten Eckpunkte und Termine. Ein detaillierter Überblick über alle vom Lieferanten bezogenen Leistungen, relevanten Fertigungswerkzeuge oder notwendigen -zeichnungen ist von zentraler Bedeutung. In den wenigsten Fällen ist dieser auf «Knopfdruck» verfügbar, sondern aufwendig über Systeme, Verträge und Listen zu erstellen. Die Bedeutung des Vertragsmanagements wird einmal mehr bewusst und eine Weiterentwicklung zahlt sich unabhängig von Insolvenzfällen aus.

Bei kritischen Lieferanten und Lieferumfängen ist es in jedem Fall ratsam, für die Insolvenzbewältigung eine funktionsübergreifende Taskforce zu installieren. Diese kann sich auf die Sicherstellung der aktuellen und zukünftigen Verfügbarkeit fokussieren und sorgt für funktionierende Kommunikation mit den wichtigsten internen, aber auch externen Stakeholdern (zum Beispiel Management, Bedarfsträger oder betroffene Kunden). Im Vorfeld sollte in der Ressourcenplanung berücksichtig werden, wie das Tagesgeschäft der Taskforce-Mitglieder in Teilen aufgefangen werden kann.

Meist ist der Aufbau zusätzlicher beziehungsweise neuer Bezugsquellen notwendig. Hierbei zeigt sich, wie gut die präventiven Massnahmen im Vorfeld etabliert wurden, insbesondere, wenn unter anderem Werkzeuge, Zeichnungen und Know-how an alternative Lieferanten übertragen werden sollen. In seltenen Ausnahmen muss auch die Übernahme des insolventen Lieferanten in Erwägung gezogen werden. Insolvenzen sind immer individuell und länderspezifisch zu betrachten. Die Begleitung des Einkaufs durch Juristen ist zwingend notwendig (je nach Unternehmensgrösse und -struktur durch die eigene Rechtsabteilung oder mit externer Unterstützung). (procure.ch/mc)

Jörg Grimm ist seit 2019 Professor für Supply Chain Management & Beschaffung an der Berner Fachhochschule. Zuvor war er in leitenden Einkaufsfunktionen bei den Schweizerischen Bundesbahnen tätig.

Elmar Holschbach ist Professor für Organisation und Beschaffungsmanagement an der Fachhochschule Südwestfalen. Zuvor war er knapp 14 Jahre in leitenden Positionen im Einkauf und Supply Chain Management in Industrieunternehmen und Beratungen tätig.

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