Robert Jakobs Wirtschaftslupe: Porno-Aufschnitt und DIN A4-Post-it

Zum Missfallen unseres Autors erhält er viele Werbeprospekte nur noch elektronisch.

Von Robert Jakob

Jahr für Jahr landen in Europa fast 100 Milliarden Werbeprospekte vom Briefkasten oder Türschlitz direkt im Mülleimer. Eine unglaubliche Verschwendung von Ressourcen. Die bringt Klimaaktivisten zu Recht zur Weissglut, dass es sie fast vom Asphalt wegbrennt, müssen doch für die Werbeprospekte Millionen Bäume gefällt werden.

Zeit also, um über eine vernünftige Verwendung nachzudenken. Leider kann ich unseren offenen Kamin gar nicht so häufig mit Werbepapier anfeuern, wie mein Briefkasten trotz Aufkleber «Bitte keine Werbung» überquillt. Und auch die Holzläden und Jalousien meiner über 50 Fenster streiche ich nur alle fünf Jahre mit Lasur fett ein. Da brauche ich aber immerhin massenweise ölabweisendes Papier zum Schutz vor Spritzern. Eine mehr als sinnvolle Verwendung, aber leider viel zu selten angewendet.

Einen Spass konnte ich mir früher mit den «Waschzetteln» (ein Begriff seit den 70er Jahren für Werbebotschaften im Briefkasten, a. d. R.) immer mit meinen drei Kindern machen. Nach dem Ausschütteln der Wochenangebote aus Migros Magazin (früher Brückenbauer) und Coop Zeitung (nix Besseres früher) auf den Fussboden schickte ich die Werbebeilagen stets in einen «virtuellen Wettbewerb». Wer den gewann, wurde mit dem Schwan überfahren: Der «Stabilo Boss®» markierte den preis-leistungsmässig besten Deal der Woche, die Kids bekamen auf dem Teppichboden spielend was zum Ausmalen, und ich hatte es einfach mit dem Essensplan und der Einkaufsliste für die ganze Familie.

Jetzt schicken mir meine Landsleute von Lidl das Werbezeug aber nur noch elektronisch 🙁

Falzen und Ausreissen von Seiten als Ritual, um der Hektik des Alltags zu entkommen
Seither ertappe ich mich bei verräterischen Ersatzhandlungen. Wenn ich bei Lidl einkaufe, gehe ich zunächst verstohlen hinter die Kasse, schnappe mir das Werbeprospekt der Woche und verziehe mich mit dem selbigen, selbst wenn alles nur noch einen Tag gültig ist, wieder ins Auto und kreise in aller Ruhe die Objekte meiner Begierde mit dem Leuchtstift ein. Oder klebe, oh Höhepunkt der Krönungszeremonie, ein Post-it drauf. Meist knabbere ich dazu etwas. Denn man sollte aus Sicherheitsgründen tunlichst nie mit leerem Magen in den Lebensmittelmarkt rennen.

In meiner kontemplativen Vorbereitungssitzung hatte mich der Aufschnitt-Porno auf Seite 9 bis 10 schon mal zum Kauf eines Rohschinkens vom Ibérico-Schwein zusammen mit etwas Bündnerfleisch inspiriert und vorfreudig erregt. Mit ein paar DIN A4-Post-its bewaffnet – um bloss sonst nichts aus dem Werbekatalog zu vergessen – mache ich mich dann auf zum Einkaufsraubzug.

Lasst sie leben! Seufz!
Eltern mit Kindern wie ich werden den bunten Werbefetzen zutiefst nachtrauern, liess sich doch damit an manchen Schlechtwettertagen besonders in der Vorwinterzeit mit einer Schere ganz entspannend ein Weihnachts- oder Geburtstagswunsch-Zettelkasten basteln. Auch das Ausmalen und Entfremden von Katalogmodels war eine sehr lustige und kreative Beschäftigung meiner drei Töchter in Kindertagen.

Bald soll das alles ein Ende haben? Ja so sieht es leider aus. Der Supermarktriese Rewe will nicht mehr mitmachen: «Zum 1. Juli 2023 wird der Druck und die Verteilung der Prospekte eingestellt.» Obi hat sich bereits abgehängt. Aus Deutschland lacht mich das Biber-Maskottchen nun nicht mehr zähnefletschend aus dem Briefkasten an. Wie froh war ich aber, als ich in der tierlieben Schweiz zu meiner grossen Freude neulich noch immer ein Prospekt von obi.ch in meinem Briefkasten fand. Die geben dem süssen Tierchen offenbar noch eine Schonfrist.

Mich graust bereits, trotz «Bitte keine Werbung», vor dem Ende der Waschzettel. Denn mit ihnen verschwinden liebenswerte und beruhigende Alltagsroutinen. Eine hat es sogar in unsere Kunstsammlung geschafft, wo es sehr passend in unserer Küche hängt:

Adrienne Laborde war eine Künstlerin, die aus Katalogen Bildpuzzle erstellte. Den abgebildeten Skorpion hat sie aus Bratpfannen und Parfümflaschen komponiert. (Foto: Der Autor)

Der neue seriöse Mutmacher und Ratgeber von Robert Jakob zu CORONA kann ab sofort beim Landtwing Verlag bestellt werden:

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Das Titelbild ist eine modellierte Darstellung des Kampfes unseres Immunsystems gegen ein Virus. Immunglobuline (ypsilonförmig) und Zellsysteme attackieren den Feind.
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