Vereinfachung der Bankenregulierung – wirklich?

Jérôme Legras, Managing Partner / Head of Research Department bei Axiom Alternative Investments. (Bild Axiom/mc)

Von Jérôme Legras, Managing Partner / Head of Research Department bei Axiom Alternative Investments

Mitten im Dezember hat die Europäische Zentralbank einen Katalog von 17 Empfehlungen zur angeblichen „Vereinfachung“ der Bankenregulierung und -aufsicht vorgelegt. Weniger Komplexität, effizientere Prozesse und ein robusteres Finanzsystem – so lauten die erklärten Ziele. In der Praxis jedoch haben die Vorschläge bei Investoren und Analysten vor allem eines ausgelöst: neue Unsicherheit darüber, wohin sich die europäische Bankenregulierung tatsächlich bewegt.

Kosmetische Reformen bei Kapitalpuffern und Aufsicht
Ein zentrales Element der Empfehlungen betrifft die Kapitalpuffer der Banken. Kaum ein Bereich der Regulierung ist derzeit so unübersichtlich. Selbst ausgewiesene Fachleute tun sich schwer, sämtliche Pufferarten korrekt zu benennen und ihre Wechselwirkungen zu erklären. Die EZB schlägt nun vor, einzelne Puffer zusammenzulegen und künftig zwischen freisetzbaren und nicht freisetzbaren Kapitalreserven zu unterscheiden, wobei erstere in wirtschaftlichen Abschwüngen genutzt werden sollen.

Aus Marktsicht bleibt der praktische Nutzen dieser Reform allerdings begrenzt. Die Erfahrung aus der Covid-Krise hat deutlich gezeigt, dass Banken selbst offiziell freisetzbare Puffer kaum antasten wollen. In Phasen erhöhter Unsicherheit scheuen sie davor zurück, ihre Kapitalquoten sichtbar zu schwächen – aus Angst vor negativen Marktreaktionen, Ratingabstufungen oder regulatorischem Druck. Eine neue Etikettierung der Puffer dürfte daher kaum etwas an der tatsächlich gehaltenen Kapitalausstattung ändern.

Auch bei der Aufsicht enthält der Bericht vor allem bekannte Forderungen: mehr EU-Verordnungen statt nationaler Richtlinien, Fortschritte bei Banken- und Kapitalmarktunion sowie ein einheitlicheres Regelwerk. Konkreter fallen die Vorschläge zur Vereinfachung der Stresstests aus, die als teuer, aufwendig und aus Investorensicht oft nur von sehr kurzfristigem Informationswert gelten. Positiv aufgenommen wird auch die Idee, Meldepflichten stärker zu automatisieren und zu harmonisieren.

Politische Signale: kleine Banken, grosse Rücksichtnahmen
Politisch sensibler ist der Vorschlag, das sogenannte „Small Bank Regime“ auszuweiten. Bislang gilt dieses vereinfachte Aufsichtsregime nur für Institute mit einer Bilanzsumme unter fünf Milliarden Euro. Künftig könnten auch grössere Banken davon profitieren, möglicherweise nach dem Vorbild der Schweiz, des Vereinigten Königreichs oder der USA.

Für Kapitalmarktinvestoren ist dieser Punkt von untergeordneter Bedeutung, da diese Institute in der Regel keine börsennotierten Kapitalinstrumente emittieren. Politisch hingegen dürfte der Vorschlag vor allem darauf abzielen, die Zustimmung einzelner Mitgliedstaaten zu sichern, in denen kleinere und mittelgrosse Banken eine besondere Rolle spielen. Die regulatorische Vereinfachung wirkt hier weniger wie ein marktwirtschaftlicher Effizienzgewinn, sondern vielmehr wie ein politischer Kompromiss.

AT1 im Fokus: Reformankündigung mit langer Zeitschiene
Deutlich mehr Aufmerksamkeit an den Märkten haben die Empfehlungen zu Kapitalinstrumenten ausgelöst. Dass die parallele Existenz von TLAC- und MREL-Anforderungen in Europa wenig sinnvoll ist, gilt seit Jahren als offenes Geheimnis. Beide Regelwerke verfolgen im Kern denselben Zweck, sodass die von der EZB vorgeschlagene Zusammenführung logisch, wenn auch überfällig erscheint.

Der eigentliche Fokus der Investoren liegt jedoch auf dem AT1-Markt. Aussagen von EZB-Vizepräsident Luis de Guindos, AT1-Instrumente sollten künftig „mehr Eigenkapitalcharakter“ erhalten, haben Spekulationen über eine grundlegende Reform dieses Segments ausgelöst. Dabei geht es weniger um den Abwicklungsfall – hier haben AT1-Instrumente ihre Funktion grundsätzlich erfüllt – als um ihre Rolle im laufenden Betrieb der Banken.

Die Enttäuschung der Aufseher während der Pandemie spielt dabei eine zentrale Rolle. Trotz extremer wirtschaftlicher Belastungen griffen Banken weder auf ihre Kapitalpuffer zurück noch setzten sie AT1-Kupons aus. Künftig sollen AT1-Instrumente offenbar früher und wirksamer zur Stabilisierung beitragen.

Ein vollständiger Ersatz von AT1 durch hartes Kernkapital gilt als politisch kaum realistisch, da dies die Kapitalkosten deutlich erhöhen und die Kreditvergabe belasten würde. Wahrscheinlicher ist eine risikoreichere Ausgestaltung neuer AT1-Emissionen, auch wenn der Bericht hierzu keine konkreten Vorgaben macht. Entscheidend für Investoren ist dabei, dass Änderungen ausschliesslich für Neuemissionen gelten würden. Bestehende AT1-Anleihen blieben unberührt und könnten als sogenannter Legacy-Markt weiterbestehen.

Wie attraktiv diese Altinstrumente bleiben, hängt von den Übergangsregeln ab. Historisch haben sich in Europa sehr unterschiedliche Ansätze gezeigt. Unabhängig vom gewählten Modell dürfte der regulatorische Druck auf Banken jedoch zunehmen, bestehende AT1-Anleihen zurückzuzahlen. Das Verlängerungsrisiko für Investoren sinkt damit tendenziell.

Die Marktreaktion auf die EZB-Empfehlungen fiel entsprechend verhalten aus. Zu Recht, denn bislang handelt es sich lediglich um Vorschläge. Nun ist die EU-Kommission am Zug. Bis daraus konkrete Gesetzgebung wird, dürfte noch einige Zeit vergehen. Die Erfahrung zeigt, dass eine Umsetzung eher gegen Ende des Jahrzehnts realistisch ist. Bis dahin bleibt der AT1-Markt ein Übergangsmarkt – und die versprochene Vereinfachung der Bankenregulierung vorerst vor allem ein komplexes Thema für Investoren und Journalisten gleichermassen.

Axiom Alternative Investments

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