Die fünfte Verhandlungsrunde für ein globales Plastikabkommen endete am 15. August in Genf ohne Einigung. Nach drei Jahren diplomatischer Bemühungen sind die Länder nach wie vor tief gespalten, was die Ansätze zur Bekämpfung der Plastikverschmutzung angeht. Dies ist zwar ein erheblicher Rückschlag, macht aber auch die bevorstehenden Herausforderungen deutlich und eröffnet neue Handlungsmöglichkeiten.
von Felix Philipp, Leiter Kreislaufwirtschaft und Materialforschung, Lombard Odier Investment Managers
Die Sackgasse verstehen
Der Kern der Meinungsverschiedenheit dreht sich darum, ob die Kunststoffproduktion an der Quelle begrenzt werden soll oder ob man sich auf die nachgelagerten Bereiche Abfallwirtschaft und Recycling konzentrieren soll. Die aus fast 100 Ländern bestehende „High Ambition Coalition” sprach sich für Produktionsobergrenzen und verbindliche Verpflichtungen in Bezug auf gefährliche Zusatzstoffe aus. Eine kleinere, aber einflussreiche Gruppe von Ölförderländern, darunter die USA, China, Russland und Saudi-Arabien, blockierte ein ehrgeiziges Abkommen und bestand stattdessen auf nachgelagerten Lösungen.
Diese Spaltung und der Zusammenbruch der Verhandlungen spiegeln tiefere wirtschaftliche und politische Realitäten wider. Petrochemikalien sind zum am schnellsten wachsenden Segment der Ölnachfrage geworden und machen 75 % des Wachstums aus. Angesichts der sinkenden Nachfrage nach Kraftstoffen für den Verkehr stellt der petrochemische Sektor einen entscheidenden Dreh- und Angelpunkt für die Öl produzierenden Volkswirtschaften dar.
Die Herausforderungen über den Abfall hinaus
Die Verschmutzung durch Plastik geht weit über den sichtbaren Müll hinaus. Mikroplastik findet sich mittlerweile in der Lunge, im Blutkreislauf und in der Plazenta des Menschen. Die Fachzeitschrift The Lancet schätzt die jährlichen Gesundheitskosten weltweit auf 1,5 Billionen US-Dollar. Ohne Gegenmassnahmen wird die Plastikproduktion bis 2040 voraussichtlich eine Milliarde Tonnen pro Jahr erreichen. Die Plastikproduktion trägt 5 % zu den industriellen Treibhausgasemissionen bei und übertrifft damit den Flugverkehr. Die aktuellen Recyclingquoten liegen weltweit weiterhin unter 10 %. Jeden Tag werden 1,1 Millionen Tonnen neues Plastik produziert. Das entspricht einer Müllwagenladung Plastik, die jede Minute in die Ozeane gelangt. Diese Zahlen verdeutlichen, warum die Abfallwirtschaft allein die Krise nicht lösen kann.
Trotz des enttäuschenden Ergebnisses in Genf gewinnt die Dynamik über verschiedene Kanäle weiter an Fahrt. Unter engagierten Nationen bilden sich regionale Koalitionen. Die Europäische Union und mehrere Länder treiben Massnahmen zur erweiterten Herstellerverantwortung und verbindliche Anforderungen an den Recyclinganteil voran. Führende Unternehmen erkennen, dass klare globale Standards die Märkte sichern würden, anstatt sie zu bedrohen. Sie verstehen, dass regulatorische Sicherheit langfristige Investitionen in nachhaltige Alternativen ermöglicht.
Lehren und Chancen
Die Erfahrungen in Genf zeigen, wie Institutionen, die für eine frühere Ära konzipiert wurden, mit den Herausforderungen der Gegenwart zu kämpfen haben. Wenn Konsensregeln es kleinen Minderheiten ermöglichen, Fortschritte zu blockieren, die Milliarden Menschen betreffen, sind Reformen notwendig. Zukünftige Verhandlungen könnten von Abstimmungsmechanismen oder „Koalitionen der Willigen” profitieren, die ohne allgemeine Einigung voranschreiten können.
Der Fokus muss sich von der Abfallwirtschaft auf umfassende Strategien für eine Kreislaufwirtschaft verlagern. Das bedeutet, Produkte auf Langlebigkeit auszurichten, biobasierte Alternativen zu entwickeln und wirtschaftliche Anreize zu schaffen, die nachhaltige Entscheidungen rentabel machen. Die Abschaffung von Subventionen für Neuplastik bei gleichzeitiger Förderung der Recycling-Infrastruktur würde gleiche Wettbewerbsbedingungen schaffen.
Die Investitionsmuster zeigen bereits, dass der Markt diesen Wandel erkannt hat. Unternehmen, die Alternativen entwickeln, ziehen zunehmend Kapital an. Die Innovation in der Materialwissenschaft und bei den Geschäftsmodellen schreitet unabhängig von Vertragsverhandlungen voran.
Nationale Regierungen können durch regionale Vereinbarungen Produktionsbeschränkungen und Designstandards einführen. Durch erweiterte Herstellerverantwortungssysteme können Kosten auf die Hersteller verlagert und Anreize für ein besseres Design geschaffen werden. Beschaffungsrichtlinien können die Nachfrage nach Alternativen steigern.
Finanzinstitute erkennen zunehmend die mit Kunststoffen verbundenen Risiken für ihre Portfolios. Versicherungsgesellschaften sehen sich mit steigenden Schadensersatzforderungen aufgrund von Umweltverschmutzung konfrontiert. Diese Marktkräfte könnten Veränderungen schneller vorantreiben als internationale Verhandlungen.
Allein schon die gesundheitlichen Erkenntnisse rechtfertigen Massnahmen. Mit zunehmendem Verständnis der Auswirkungen von Kunststoffen auf die menschliche Biologie wird der öffentliche Druck zunehmen.
Ein pragmatischer Weg
Das Ergebnis von Genf enttäuscht diejenigen, die auf sofortige globale Massnahmen hoffen, befreit jedoch willige Akteure davon, auf einen Konsens zu warten. Im Nachhinein betrachtet ist vielleicht kein Vertrag besser als ein Vertrag ohne Ambitionen. Länder, Städte und Unternehmen, die sich für die Bekämpfung der Plastikverschmutzung engagieren, können ehrgeizige Ziele verfolgen, ohne daran gehindert zu werden.
Die Energie, die in die Vorbereitung des Vertrags gesteckt wurde, ist nicht verloren gegangen. Sie fliesst nun in Initiativen unterschiedlicher Grössenordnung. Fortschritte werden oft eher durch dezentrale Massnahmen als durch zentralisierte Vereinbarungen erzielt. Der Vertragsprozess wird wahrscheinlich mit modifizierten Verfahren wieder aufgenommen werden. In der Zwischenzeit wird die Arbeit über andere Kanäle fortgesetzt. Innovationen schreiten voran. Alternativen gewinnen an Bedeutung. Das öffentliche Bewusstsein wächst. Die Marktdynamik verändert sich.
Der Weg nach vorne erfordert eine pragmatische Anerkennung der politischen Realitäten bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der systemischen Ambitionen. Die Plastikkrise erfordert Massnahmen auf allen Ebenen, mit oder ohne globalen Vertrag. Diese Massnahmen sind bereits im Gange und werden unabhängig vom diplomatischen Zeitplan beschleunigt werden. (LOIM/mc)