Zukunft ukrainischer Getreideexporte unklar

Beladen eines türkischen Frachters mit Getreide in Odessa. (Bild: president.gov.ua)

Kiew – Nach dem Auslaufen des Getreideabkommens ist die Zukunft von Agrarexporten der Ukraine auf dem Seeweg über das Schwarze Meer unklar. Die von den Vereinten Nationen und der Türkei vermittelte Vereinbarung endete nach knapp einem Jahr am späten Montagabend offiziell, weil Moskau eine Verlängerung ablehnte.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj forderte, die für die Welternährung wichtigen Exporte in Kooperation mit den UN und der Türkei fortzusetzen: «Die Schwarzmeer-Getreideinitiative kann und sollte weitergehen – wenn ohne Russland, dann ohne Russland.»

Wegen der jüngsten Zerstörungen an der Brücke auf die Halbinsel Krim drohte Russlands Staatschef Wladimir Putin der Ukraine militärische Vergeltung an. Anders als nach einem ersten Angriff auf die Brücke im Oktober 2022 gehen die russischen Behörden aber davon aus, die Schäden rasch beheben zu können.

Gut drei Dutzend Unterstützerländer der Ukraine wollen am Dienstag im sogenannten Ramstein-Format über Militärhilfen beraten. Für die Ukraine ist es der 510. Tag im Abwehrkampf gegen die russische Invasion.

Moskau sieht Brücke nur leicht beschädigt

Das Fundament der Brücke auf die Krim sei durch die Explosionen vom Montagmorgen nicht beschädigt worden, berichtete der Vize-Regierungschef Marat Chusnullin. Nach russischen Angaben hatten unbemannte ferngesteuerte Boote am Montagmorgen Sprengstoff an dem Bauwerk gezündet. Dabei sackte ein Teil der Fahrbahn ab, wie Fotos zeigen. Dieses Betonstück müsse ersetzt werden, sagte Chusnullin. Er stellte eine vollständige Wiederherstellung der Autobahnbrücke bis November in Aussicht.

Die parallel laufende Eisenbahnbrücke wurde den Angaben nach nicht beschädigt. Der Zugverkehr laufe nach Fahrplan, hiess es. In der Nacht zu Dienstag wurde auch der Autoverkehr – mit Einschränkungen – wiederaufgenommen. Nach einer Sperre am Montagmorgen fuhren nach offiziellen Angaben auch die Fähren zwischen der 2014 annektierten Halbinsel und dem russischen Festland wieder.

«Das ist der nächste Terrorakt des Kiewer Regimes», sagte Putin. «Natürlich wird es von Seiten Russlands eine Antwort geben.» Das Verteidigungsministerium bereite Vorschläge vor. Russland hatte früher damit gedroht, bei einer Zerstörung der Krim-Brücke wichtige ukrainische Kommandozentralen zu beschiessen. Die Ukraine sieht das Bauwerk als legitimes militärisches Ziel. Aus Kiew gab es zunächst keine Bestätigung für eine Beteiligung an dem Vorfall.

Getreideabkommen ausgelaufen

Als letztes Schiff aus der Ukraine wurde der türkische Frachter «TQ Samsun» am Montag in den Gewässern vor Istanbul kontrolliert und machte sich auf die Fahrt in die Niederlande. Dann lief abends das Abkommen über den Seeexport des ukrainischen Getreides nach knapp einem Jahr aus; von einer Verlängerung wurde nichts bekannt. Die Vereinbarung hatte es der Ukraine seit Sommer 2022 ermöglicht, trotz des russischen Angriffskriegs mehr als 30 Millionen Tonnen Getreide über den Seeweg in andere Länder zu verkaufen.

International wurde das russische Nein zu einer Verlängerung scharf kritisiert. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach von einer «schlechten Botschaft». UN-Generalsekretär Antonio Guterres reagierte enttäuscht. Die Europäische Union verurteilte die Aufkündigung: «Mit dieser Entscheidung verschärft Russland die weltweite Krise der Ernährungssicherheit weiter, die es durch seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine und seine Blockade der ukrainischen Seehäfen verursacht hat», erklärte der Aussenbeauftragte Josep Borrell. US-Aussenminister Antony Blinken nannte die Aufkündigung skrupellos. Damit würden Lebensmittel als Waffe eingesetzt.

Während die ukrainischen Exporte damit zunächst in der Schwebe sind, schloss Kremlsprecher Dmitri Peskow eine Rückkehr Russlands zu der Vereinbarung nicht aus. Erst müssten aber Probleme mit der Zulassung von russischem Getreide und Dünger auf den Weltmarkt gelöst werden.

Furcht vor hohen Weizenpreisen

Ohne Getreide des wichtigen Produzenten Ukraine wächst die Furcht vor einem erneuten Anstieg der Lebensmittelpreise gerade für arme Länder. Die Weizenpreise seien «immer noch auf einem Zehnjahreshoch», sagte Martin Frick, Direktor des UN-Welternährungsprogramms in Deutschland, im «heute journal» des ZDF. «Aber wenn dieses Abkommen nicht verlängert wird, erwartet uns eine Preisentwicklung, die für die Ärmsten der Welt grosse Probleme verursachen wird.»

Versuch einer russischen Offensive im Osten

Das ukrainische Militär berichtet von intensiven russischen Angriffen im Osten des Landes. Die Lage sei schwierig, teilte der Kommandeur des Heeres, Generaloberst Olexander Syrskyj, mit. Im Raum Kupjansk im Gebiet Charkiw habe die russische Armee eine Offensive begonnen, um die ukrainischen Linien zu durchbrechen. Unabhängig überprüfbar waren die Militärangaben nicht.

Die russische Armee schicke auch weitere Kräfte, vor allem Luftlandetruppen, in die Stadt Bachmut, berichtete General Syrskyj. Deren Auftrag sei, die Rückeroberung der Orte um Bachmut durch die Ukraine zu stoppen. Die ukrainischen Truppen hatten Bachmut selbst nach monatelangen Kämpfen geräumt. Sie dringen in ihrer Grossoffensive aber nördlich und südlich der Stadt wieder vor.

Das wird am Dienstag wichtig

Die Verteidigungsminister der Ukraine-Kontaktgruppe beraten in einer Videokonferenz über weitere Militärhilfe für das angegriffene Land. Vor dem Treffen dankte der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow seinem US-Kollegen Lloyd Austin in einem Telefonat für die Lieferung der umstrittenen Streumunition. Die von vielen Staaten geächteten Munition setzt massenhaft winzige Sprengkörper frei. Diese explodieren oft nicht sofort, sondern sind noch lange gefährlich.

Darüber hinaus geht es zum Abschluss eines zweitägigen Gipfeltreffens der EU mit der Gemeinschaft der südamerikanischen und karibischen Staaten (Celac) um den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Mit den linksautoritär regierten Staaten Kuba, Venezuela und Nicaragua hat Moskau in der Region drei Verbündete. Zudem positionieren sich auch grosse südamerikanische Staaten wie Brasilien, Mexiko und Argentinien zurückhaltender als die EU. (awp/mc/hfu)


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