Prof. Kathrin Altwegg, Center for Space and Habitability (CSH) der Universität Bern, im Interview

Prof. Kathrin Altwegg (Bild: ESA)

Von Helmuth Fuchs

Moneycab: Frau Prof. Altwegg, Sie und Ihr Team von der Universität Bern haben mit dem Massenspektrometer Rosina massgeblich zum Erfolg der europäischen Kometensonde Rosetta beigetragen, die 2014 auf dem Kometen 67P Tschurjumow-Gerassimenko (“Tschury”) landete. Was sind heute die wichtigsten wissenschaftlichen und persönlichen Erkenntnisse dieser Mission?

Kathrin Altwegg: Die wichtigsten Erkenntnisse sind sicher, dass Kometenmaterial älter ist als unser Sonnensystem, dass es aus sehr vielen organischen Molekülen besteht inkl. Aminosäure und dass damit Kometen möglicherweise das Starter Kit für irdisches Leben sind. Leben auf dem Kometen hat es keines, aber wenn Kometen auf der Erde einschlagen, bringen sie eine relativ grosse Menge an Grundbausteinen mit, aus denen biologische Zellen entstehen können. Für mich hat es bestätigt, dass Kometen Zeugen unserer eigene Vergangenheit sind, dass wir durch das Studium von Kometen unsere eigene Geschichte erforschen.

Die Reise von Rosetta über eine Entfernung von 500 Millionen Kilometern dauerte 10 Jahre (2004 – 2014). Wie plant man ein solches Projekt und was waren die grössten ungeplanten Hindernisse auf dem langen Weg?

Die Reise von Rosetta war weit mehr als 500 Millionen Kilometer, eher 3 Milliarden. Die Sonde war mehr als 500 Millionen Kilometer von der Erde entfernt, aber um dort zu sein brauchte es mehrere Umdrehungen um die Sonne. Der Flug war eigentlich schon fast „langweilig“, lief doch alles wie geplant. Dies verdanken wir sicher den Ingenieuren beim Europäischen Space Operation Center in Darmstadt, die absolut professionell alle nötigen Manöver der Raumsonde planten und ausführten.

«Das grösste Problem einer solch langen Mission ist der Verlust des Wissens. Dies braucht einige Anstrengungen, um Abgänge von Mitarbeitern verkraften zu können.» Prof. Kathrin Altwegg, Center for Space and Habitability (CSH) der Universität Bern

Einziger Nervenkitzel war das Aufwachen im Januar 2014 nach mehr als 2 ½ Jahren im Winterschlaf. Mit einer halben Stunde Verspätung kam dann allerdings das Signal doch noch. Eine weitere Überraschung war sicher die „Enten“-Form des Kometen.  Unsere Instrumente zeigten einige Macken im Weltall, die man am Boden nicht gemerkt hatte. Glücklicherweise haben wir die gleichen Instrumente im Labor und konnten so mit Hilfe dieser Zwillinge Software-Lösungen finden. Software ist das einzige, was man nach dem Start noch ändern kann. Das grösste Problem einer solch langen Mission ist der Verlust des Wissens. Dies braucht einige Anstrengungen, um Abgänge von Mitarbeitern verkraften zu können.

Mitte 2016 wurde die Mission offiziell beendet. Was bleibt von Rosetta, welche Folgeprojekte können von den Erfahrungen profitieren, die Sie und Ihr Team gemacht haben?

Es bleibt ein grosser Wissenszuwachs über die Anfänge unseres Sonnensystems. Viele Modelle und Vorstellungen wurden über den Haufen geworfen, neue Erkenntnisse werden die Wissenschaft über den Ursprung des Lebens nachhaltig ändern. Astronomen versuchen nun dieselben Moleküle an andern Orten in der Galaxie zu finden, die wir beim Kometen fanden. Die grossen Teleskope wie ALMA in Chile und das Very Large Telescope werden eingesetzt, um sich bildende Sonnensystem zu untersuchen an Hand der Erkenntnisse von Rosetta.

«Sicher wird es auch einen Einfluss auf die Suche nach ausserirdischem Leben haben, die zwar durch Rosetta eher schwieriger geworden ist, aber dafür konkreter.»

Sicher wird es auch einen Einfluss auf die Suche nach ausserirdischem Leben haben, die zwar durch Rosetta eher schwieriger geworden ist, aber dafür konkreter. Rosetta hat viele Moleküle entdeckt, die zuvor als Biomarker, als Zeichen von Leben gedeutet wurden, die aber ganz offensichtlich ohne Leben vorkommen.

Nachdem Sie bei einem der spannendsten Weltraumprojekten mitgewirkt haben und halfen, einige fundamentale Erkenntnisse über die Entstehung der Erde zu gewinnen, welche Ziele haben Sie noch als Forscherin und Wissenschaftlerin ausserhalb des Universitätsbetriebes?

Ich werde mithelfen, die vielen noch nicht analysierten Daten vom ROSINA Instrument zu interpretieren und gleichzeitig den Nachwuchsforschenden Gelegenheit geben, mit diesen Daten wichtige Wissenschaftserkenntnisse zu publizieren. Dazu gehört sicher auch junge und auch ältere Leute für Naturwissenschaft zu motivieren, indem ich weiterhin Vorträge für die Öffentlichkeit geben, bei Maturaarbeiten Hilfestellung leiste, etc.

Als Physikerin und Professorin gehörten Sie einer sehr kleinen Minderheit an. Weshalb gibt es trotz freiem Zugang zur Bildung bei uns immer noch nicht mehr Naturwissenschaftlerinnen und Professorinnen, was muss getan werden, dass sich das ändert?

Das Bild der Frau in der Öffentlichkeit hat sich sicher in den letzten Jahrzehnten geändert, aber noch immer bleibt viel zu tun. Die Erwartungen an junge Frauen und junge Männer bleiben ungleich. Dazu kommt ein Bildungssystem, das mindestens etwas unglücklich ist. Das Schwerpunktfach im Gymnasium muss man in einem Alter wählen, wo Mädchen in der Pubertät sind und damit der Gruppendruck äusserst hoch.

«Physik wird nun mal als männlich wahrgenommen und einem Mädchen, das Physik gerne hat, werden weibliche Eigenschaften abgesprochen.»

Und Physik wird nun mal als männlich wahrgenommen und einem Mädchen, das Physik gerne hat, werden weibliche Eigenschaften abgesprochen. Zudem findet man immer noch auf allen Stufen bei einzelnen Lehrern mindestens im Unterbewussten die Wahrnehmung: Mädchen sind eher schwach in Mathematik. Das System an der Uni ist ebenfalls nicht sehr frauenfördernd, insbesondere existieren Zeit-/Alterslimiten bei den Anstellungen, die die Verträglichkeit von Familie und Karriere in Frage stellen. An all diesen Punkten muss (weiter) gearbeitet werden.

Sie haben in Ihrem Umfeld Frauen gezielt gefördert. Welche Massnahmen haben am meisten gewirkt, wo sind Sie selbst an Ihre Grenzen gestossen?

Die Vorbildsfunktion war sicher meine grosse Stärke. Ich hatte im Team zeitweise mehr Frauen als Männer und dazu sehr gute Frauen. An die Grenzen gestossen bin ich „bei der Liebe“.  Für ein Wissenschaftler-Paar gleichzeitig in der Schweiz eine akademische Karriere verfolgen zu können, ist praktisch unmöglich. Noch schlimmer, wenn einer in der Schweiz, der/die andere aber in den USA lebt. So haben eigentlich alle „meine“ Frauen und sogar Männer, die akademische Karriere beendet, da sie dem Partner / der Partnerin gefolgt sind. Ich habe Verständnis dafür, ist doch eine akademische Karriere eine äusserst unsichere Laufbahn mit ungewissem Ausgang und verlangt nach sehr viel Mobilität. Für dieses „Zwei-Körper-Problem“  habe ich auch keine Lösung.

«Für ein Wissenschaftler-Paar gleichzeitig in der Schweiz eine akademische Karriere verfolgen zu können, ist praktisch unmöglich.»

Welche Projekte haben in nächster Zukunft dasselbe Potential, fundamentale Erkenntnisse zu generieren und eine grosse Masse von Menschen zu bewegen und berühren?

Schwierig vorauszusagen. Es stehen einige gute Missionen an. In Europa ist der Start einer Mission zu Merkur für 2018/19 geplant. Ebenfalls 2019 sollte endlich das James Webb Teleskop gestartet werden, das einen grossen Schritt weiter geht als das Hubble Teleskop und das uns ganz neuartige Bilder vom Weltall bringen wird. Sicher faszinierend werden die Europäische JUICE Mission (Jupiter Icy Moons, zu drei der vier galiläischen Jupiter Monden) und Europa Clipper der NASA (zum Europa Mond von Jupiter), die uns die Eismonde von Jupiter nahe bringen werden. JUICE: Start 2022, Ankunft beim Jupiter ca. 2030. Wie sehr diese Missionen die Menschen mitreissen können, wird sich zeigen. Rosetta hat absolutes Neuland erforscht, die Mission war voll hochspannender Momente und ein Komet ist ein faszinierendes Gebilde, dies ist schwierig zu übertreffen.

Eine der Fragen, welche die Menschheit seit langem brennend interessiert ist die nach anderen Lebensformen im All. Was ist Ihre Antwort darauf und inwiefern konnte die Rosetta-Mission Ihre Ansicht stärken?

Wir sind nicht allein. Diese Erkenntnis ist durch Rosetta klar verstärkt worden. Gleichzeitig aber hat Rosetta auch gezeigt, wie schwierig es sein wird, Leben anderswo erkennen zu können. Wir sind nicht allein aber werden doch kein anderes Leben entdecken, auf jeden Fall nicht bald.

«Wir sind nicht allein. Diese Erkenntnis ist durch Rosetta klar verstärkt worden.»

Wenn Sie mit gleich viel Zeit, Energie und Ressourcen wie bei der Mission Rosetta nochmals starten könnten, welches Ziel hätte diese Mission, welche Frage möchten Sie beantworten?

Ist Tschury typisch für Kometen? Eine weitere Kometenmission zu einem anderen Kometen könnte die Antwort bringen. Eine Mission, bei der ein ROSINA Instrument auf dem Kometen landet, wo man Material aus einer gewissen Tiefe heraufholen kann und das an verschiedenen Positionen, würde die Erkenntnisse, die wir mit Rosetta gewonnen haben, festigen und ergänzen. Die Struktur des Kometeneises zu erforschen, würde erlauben, mehr über die physikalischen Bedingungen des frühen Sonnensystems zu erfahren. Dies würde unser Bild komplettieren. Eine solche Mission, Comet Hopper, war von NASA schon mal geplant, scheiterte dann aber an der Stromversorgung. Aber das sollte man unbedingt tun. Eine «Sample return Mission» zu einem Kometen wurde gerade erst von NASA für eine Phase A Studie ausgewählt. Diese wird aber vor allem Staub, kein Eis zurueckbringen und schon das dürfte schwierig sein, ohne dass sich das Material unterwegs oder beim Eintritt in die Erdatmosphäre verändert.

«Weltraumforschung ist nichts für Egoisten, könnte aber sehr wohl als Vorbild für wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit dienen.»

Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei, wie sehen die aus?

Persönlich wünsche ich mir gute Gesundheit und die Möglichkeit, weiterhin Forschung betreiben zu können und Menschen für das Weltall zu begeistern. Der Welt wünsche ich, dass sie von der Weltraumforschung lernt, wie viel besser man Ziele erreicht, wenn man zusammenarbeitet, über Grenzen hinweg an einem Strick zieht. Weltraumforschung ist nichts für Egoisten, könnte aber sehr wohl als Vorbild für wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit dienen.

Die Gesprächspartnerin:
Prof. Kathrin Altwegg ist Weltraumforscherin, Physikerin und Professorin an der Universität Bern für Weltraumforschung und Planetologie. Sie war Leiterin jenes Teams, das das Schlüsselexperiment auf der Kometensonde Rosetta zum Kometen «Tschury» geschickt hatte. Kathrin Altwegg hatte seinerzeit als einzige Frau Physik an der Universität Basel studiert, wo sie 1980 bei der ersten Basler Physikprofessorin Iris Zschokke promovierte.

Center for Space and Habitability (CSH)
Das Center for Space and Habitability (CSH) wurde 2012 von der Universität Bern gegründet. Seine erste Direktorin war Prof. Dr. Kathrin Altwegg, die den Bereich des ROSINA-Instrumentes bei der Rosetta-Mission leitete. Im selben Jahr wählte die Europäische Weltraumorganisation den Characterising Exoplanet Satellite (CHEOPS) als erste Kleinstmission aus. Unter der Leitung von Prof. Dr. Willy Benz von der Universität Bern sollen erdähnliche Exoplaneten um die nächsten, hellsten Sterne herum entdeckt werden. Im Jahr 2014 wurde der Nationale Forschungsschwerpunkt PlanetS (NFS) gegründet, um die planetare und exoplanetare Wissenschaft in der Schweiz über die Universitäten Bern, Genf und Zürich sowie ETH und EPFL zu vereinen und zu stärken.


Das Interview entstand mit Unterstützung des Alpensymposiums 2018.
Prof. Kathrin Altwegg wird als Referentin zum Thema «Wenn alles anders kommt, als man denkt» sprechen.

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