Arbeitgeber und Arbeitnehmer bewerten Lohnstatistik unterschiedlich

Daniel Lampart, Chefökonom Schweizerischer Gewerkschaftsbund. (Foto: SGB)

Neuenburg / Bern – 7024 Franken brutto hat der Medianlohn einer vollzeitbeschäftigten Person in der Schweiz 2024 betragen. Das waren 3,5 Prozent oder 236 Franken mehr als noch 2022. Der Arbeitgeberverband und der Gewerkschaftsbund bewerten die Lohnstatistik des Bundes allerdings unterschiedlich.

Das Bundesamt für Statistik (BFS) veröffentlichte am Dienstag in Bern die Lohnstrukturerhebung für das Jahr 2024. Die Unterschiede zwischen den oberen und dem unteren Ende der Skala blieben demnach seit 2008 insgesamt stabil. Tiefe und sehr hohe Löhne stiegen stärker als die Einkommen der Mittelschicht.

Gemäss der Erhebung bei rund 34’000 Unternehmen mit rund 2,9 Millionen Angestellten arbeitete jede zehnte angestellte Person für einen Tieflohn, also für weniger als 4683 Franken brutto pro Monat. Der Anteil der Menschen mit Tieflohn blieb über die Jahre stabil. Für tiefe Löhne arbeiten mehrheitlich Frauen.

«Erfreuliche Zahlen»
Die Arbeitgeber- und die Arbeitnehmerseite beurteilten die Zahlen unterschiedlich. Für Roland Müller, Direktor des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes, ist der erstmals über 7000 Franken gestiegene Medianlohn sehr erfreulich angesichts der unsicheren Zeiten und der damit verbundenen Schwierigkeiten für Arbeitgeber.

Die Löhne seien überall gestiegen. «Das zeugt von einem stabilen Arbeitsmarkt»: Dieser habe zu tun mit gut ausgebildeten Menschen, aber auch mit einer funktionierenden Sozialpartnerschaft. Auch wenn zuweilen hart verhandelt werde, komme man am Schluss zu einer Lösung.

Auch dass das obere und das untere Ende der Lohnskala nicht weiter auseinanderdrifte, sei positiv, sagte Müller vor den Medien. Auch der Tieflohn sei in der Schweiz im internationalen Vergleich sehr hoch. «Viele Tieflöhne sind kein Endpunkt. Sie werden häufig für Einsteiger-Jobs bezahlt.»

Die Schweiz gehört laut Müller zu den Ländern mit der höchsten sozialen Mobilität. «Wer sich laufend aus- und weiterbildet, kann sich nach oben arbeiten.»

«Das sind schlechte Nachrichten»
«Das sind schlechte Nachrichten», kommentierte dagegen Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, die BFS-Zahlen. In Zeitraum 2020 bis 2025 hätten die Reallöhne – also die Einkommen nach Abzug der Teuerung – abgenommen, und das trotz gestiegener Produktivität und trotz Fachkräftemangels.

«Das ist historisch einzigartig in der Nachkriegszeit», stellte Lampart fest. Früher hätten Arbeitgeber mindestens die Teuerung ausgeglichen, wenn sie höhere Preise verrechnet hätten. Doch heute schlügen Arbeitgeber in den Lohnverhandlungen zuweilen sehr harte Töne an. Auch nach Gewinnen wollten sie die Löhne nicht erhöhen.

Für Lampart sind die Zahlen «ein Hinweis, dass es nun auch in der Schweiz mehr Konflikte und ein härteres gewerkschaftliches Vorgehen braucht, damit es bei den Löhnen endlich aufwärts geht.» Vor Streiks gebe es zahlreiche Eskalationsschritte, präzisierte er auf Nachfrage eines Journalisten.

Kleinerer Lohnunterschied
Es komme auf die Momentaufnahme an, sagte Müller dazu. In den letzten wenigen Jahren seien die Reallöhne wegen der relativ hohen Teuerung gefallen. Doch in den letzten zehn Jahren sehe es anders aus. «Da haben wir eine deutliche Reallohnerhöhung».

Näher beieinander liegen die Meinungen zum Lohnunterschied von Männern und Frauen. 2024 lag das sogenannte Lohngefälle bei 8,4 Prozent. Sechs Jahre zuvor hatte der geschlechterspezifische Unterschied noch 11,5 Prozent betragen. Laut BFS sind die Lohnunterschiede umso ausgeprägter, je höher die Hierarchiestufe ist.

«Der Trend geht in die richtige Richtung», sagte Müller. Statistische Lohnunterschiede hiessen nicht automatisch Diskriminierung. Minimale Unterschiede gebe es unter anderem, weil nicht alles erhoben werde, etwa nicht die Erfahrungsjahre. Lampart sprach von einem Lichtblick, forderte aber weitere Massnahmen, damit die Löhne der Frauen mit jenen der Männer mithalten könnten. (awp/mc/ps)

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