Volk befürwortet den Einsatz von Sozialdetektiven deutlich

Überwachung

(Photo by Alessandro Vallainc on Unsplash)

Bern – 64,7 Prozent Ja zur Überwachung von Sozialversicherten: Das Stimmvolk hat der rechtlichen Grundlage für Observationen zugestimmt. Wie weit Detektive mutmasslichen Betrügern nachstellen dürfen, bleibt zu klären. Die Zahl der Überwachungen soll laut Bund stabil bleiben.

Rund 1’666’800 Stimmende sagten Ja zum neuen Artikel im Sozialversicherungsrecht, 910’300 sprachen sich dagegen aus. 24 Kantone stimmten zu, am deutlichsten diejenigen in der Deutschschweiz. In Appenzell Innerrhoden lag die Zustimmung bei 81,2 Prozent, in Nidwalden bei 78 Prozent. Auch in Schwyz und in Obwalden betrug der Ja-Stimmen-Anteil über 75 Prozent.

In der Westschweiz war die Zustimmung deutlich weniger gross. Im Jura und in Genf behielten die Gegner des Überwachungsartikels sogar die Oberhand. 58,6 Prozent der Genferinnen und Genfer legten ein Nein in die Urne, im Jura waren es 51,4 Prozent.

Angst vor Schnüffeleien
Das insgesamt klare Ja ist keine Überraschung. In den verschiedenen Abstimmungsumfragen lagen die Befürworter stets vorne. Im Parlament war das Gesetz zwar umstritten, doch plante keine Partei ein Referendum.

Der Widerstand kam von ausserhalb: Ein Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern um die Autorin Sibylle Berg und den Studenten und Campaigner Dimitri Rougy beschloss, das Referendum zu ergreifen. Die SP und die Grünen unterstützten dieses in der Folge. Auch Gewerkschaften, Behinderten- und Seniorenorganisationen beteiligten sich.

Im Abstimmungskampf kam Widerstand von liberaler Seite hinzu. Die GLP ergriff die Nein-Parole, ein liberales Komitee mit jungen Grünliberalen und Jungfreisinnigen sprach von einem Angriff auf die Privatsphäre.

Veto aus Strassburg
Schliesslich setzten sich aber die bürgerlichen Parteien SVP, FDP, CVP und BDP durch. Sie argumentierten, der neue Artikel sei im Interesse der Steuerzahlenden. Mit einem Ja werde lediglich eine während Jahren bewährte Praxis wiedereingeführt.

Die Invalidenversicherung (IV) und die Unfallversicherung (Suva) hatten schon früher Versicherte observiert. 2016 kam der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte jedoch zum Schluss, dass die gesetzliche Grundlage dafür nicht genüge. Die Observationen mussten eingestellt werden.

Nun sind sie wieder möglich. Die vom Parlament innert kurzer Zeit verabschiedete Vorlage gilt nicht nur für die IV und die Suva, sondern auch für die Arbeitslosen- und die obligatorische Krankenversicherung.

Zahlensalat im Abstimmungskampf
Der Bundesrat hat bereits offengelegt, wie er das Gesetz umsetzen will. Unter anderem ist vorgesehen, dass Detektive für Observationen eine Bewilligung benötigen.

Die IV hat in der Zeit von 2010 bis 2016 im Durchschnitt in rund 2400 Fällen jährlich den Verdacht auf einen Versicherungsmissbrauch abgeklärt, davon in rund 150 Fällen mit einer Observation. Das belegen Zahlen des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV).

Im Abstimmungsbüchlein waren diese Zahlen falsch angegeben, auch eine Bildlegende zu Überwachungsmöglichkeiten von Sozialdetektiven war darin nicht korrekt. Der Bundesrat korrigierte diese Fehler in der elektronischen Fassung. Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats (GPK) verlangte von der Regierung eine Stellungnahme. Der Bundeskanzler will das Qualitätsmanagement verbessern.

Gesetz lässt Interpretationsspielraum
Die Gegner der Vorlage werden die Entwicklung der Zahl der Überwachungen genau im Auge behalten. Sie befürchten einen Schnüffelstaat. Gemäss Gesetz darf eine Observation nur dann angeordnet werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für einen unrechtmässigen Bezug von Leistungen vorliegen und der Sachverhalt nicht ohne grossen Aufwand mit anderen Mitteln geklärt werden kann.

Ob ein IV-Rentner oder eine Unfallversicherte observiert wird, kann die Versicherung eigenmächtig entscheiden. Das Gesetz erlaubt Bild- und Tonaufzeichnungen. Mit richterlicher Bewilligung sind zudem Ortungsgeräte wie GPS-Tracker gestattet.

Weniger klar ist, wo Personen observiert werden dürfen. Im Gesetz steht, die Person müsse sich an einem allgemein zugänglichen Ort befinden oder an einem Ort, der von einem solche aus frei einsehbar ist. Das erlaubt die Observation einer Person, die sich auf dem Balkon befindet.

Gewinn für Versicherungen
Doch darf der Detektiv auch von der Strasse aus ins Schlafzimmer filmen oder im Treppenhaus ein Gespräch aufzeichnen? Der Bundesrat stellt sich auf den Standpunkt, das wäre nicht erlaubt. Gemäss einem Urteil des Bundesgerichts gehörten diese Orte zur geschützten Privatsphäre. Manche Juristen sehen das anders. Mit der neuen gesetzlichen Grundlage könnte das Bundesgericht künftig anders urteilen, geben sie zu bedenken.

Die Gegnerinnen und Gegner des Gesetzes kritisierten, dass das Parlament das nicht klar geregelt hat. Das gelte auch bei den Drohnen. Aus Sicht des Bundesrates wären solche als Instrument zur Standortbestimmung mit richterlicher Genehmigung zulässig, aber nicht zum Erstellen von Bild- und Tonaufnahmen.

Das letzte Wort dürften wohl die Gerichte haben. Bei allem Interpretationsspielraum: Klar ist, dass die Versicherungen zu den Gewinnern gehören. Laut dem Bund sparte die IV in den Jahren 2010 bis 2016 dank Observationen insgesamt 170 Millionen Franken. (awp/mc/pg)

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