Die Sicht des Raiffeisen-Chefökonomen: Dumpf

Martin Neff

von Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

St. Gallen – «The sky is not the limit» scheint das Motto der Börsianer zu sein. Allzeithochs der Aktiennotierungen in den Vereinigten Staaten von Amerika. Die europäischen Märkte machen nach dem Brexit erstaunlich rasch wieder Boden gut, auch wenn sie aufs Jahr hochgerechnet noch immer stark negativ notieren. Dies gilt im Besonderen auch für das wichtigste hiesige Börsenbarometer, den SMI, der wieder einmal Höhenluft über der Achttausender-Marke schnuppert. Parallel dazu testen die Renditen von Staatsanleihen fast weltweit nie geahnte, neue Tiefen. Es ist nur noch paradox, dass sich der Bund auf 50 Jahre verschulden und dafür sogar noch etwas verlangen kann. Doch die Finanzmärkte scheint das nicht gross zu kümmern.

Logisch gibt es wieder unzählige Gründe, die genannt werden, um die jüngsten Höhenflüge zu begründen. Jeder hat seine Erklärung dafür. Der tiefe Ölpreis oder dessen Erholung, die EZB und ihr Köcher voller Überraschungen, Chinas wundervolle Heilung (auf Pump), die Aussicht, dass in den USA Zinserhöhungen vom Tisch sind, gute Meldungen von der Konjunkturfront, aber auch nicht allzu gute von da, sonst könnte ja der Geldsegen abebben, nach unten korrigierte Gewinnschätzungen, die aber immerhin übertroffen wurden und und und. Immer die gleichen Argumente, die dadurch aber nicht besser werden.

Analysten und Finanzfachleute sind selten um eine Antwort verlegen und neigen gern zu fast virulenter Eloquenz anstatt zu Tiefgang, wenn es darum geht, Kursschwankungen jeder Art zu begründen. In Tat und Wahrheit kann aber niemand auch nur annähernd erklären, weshalb die amerikanische Börse so hoch notiert, wie nie zuvor in ihrer Geschichte und gleichzeitig die Zinsen so tief sind wie nie zuvor. Ein solches Szenario verhiess in der Vergangenheit selten Gutes, denn die Zinsen sind in der Regel nur dann tief, wenn die Konjunktur nicht richtig in Fahrt kommt. In Amerika herrscht aber Hochkonjunktur und nahezu Vollbeschäftigung. Anstatt dahinter ein dickes Fragezeichen zu setzen, finden sich immer abenteuerlichere Erklärungen. Irgendwie erinnert das Ganze sehr an die Dotcom Blase bzw. an die Zeit kurz vor der Explosion des amerikanischen Immobilienmarktes. Auch damals waren viele der Überzeugung, die Zeiten seien eben anders.

Anlagenotstand ist anders
Wenn überhaupt ein Argument stichhaltig ist, dann ist es das der Alternativlosigkeit von Aktien. Die werfen in Form von Dividenden wenigstens noch Rendite ab, während die Verfallsrendite schweizerischer Bundesobligationen über alle Laufzeiten hinweg negativ ist. Die relative Bewertung wird daher überall ins Feld geführt. Diese treibt auch die Immobilienpreise in schwindelerregende Höhen, doch irgendwann ist auch da das Ende der Fahnenstange erreicht. Manche Immobilienfonds verdienen nicht einmal mehr die Renditen, die sie ausschütten. Und die Firmen erfüllen die Vorgaben der Analysten nur noch vereinzelt.

Nach dem unerwarteten Brexit-Entscheid sah es danach aus, dass die vielbeschworene Korrektur kommen würde. Die fast wundersame Erholung danach und der Höhenflug der amerikanischen Märkte scheinen daher eher Signale der Instabilität. Auch dass der Goldpreis noch zulegte, als die Börsen wieder Fahrt aufnahmen, zeigt, dass nicht alle Anleger dem Argument der Alternativlosigkeit noch bedingungslos Glauben schenken. Von einem breiten Anlagenotstand zu sprechen, ist ohnehin nicht korrekt, denn angesichts negativer Inflation resultiert für den Anleger sogar real ein Plus, wenn er Bargeld hält. Not wäre am Mann, wenn die Inflation die Kaufkraft weg frässe, doch davon kann nicht die Rede sein. Der Anlagenotstand ist zunehmend ein opportunistisches Argument etlicher Finanzinstitute, die bekanntlich auch an Transaktionen verdienen, die den Anlegern gar keinen Gewinn versprechen.

Monetäre Blasenbildung
Für die institutionellen Anleger und die Unternehmen mit grossen Cashbeständen sieht es hingegen anders aus. Seit die Nationalbank ihre Wechselkurspolitik sang- und klanglos über Bord warf und stattdessen mit Negativzinsen experimentiert, um den Franken im Zaum zu halten, ist die Bargeldhaltung für Grossanleger ineffizient. Die Blase an den Aktien- und Immobilienmärkten ist daher weitgehend ein monetäres Phänomen. Sie treibt die grossen Anleger zwangsweise in hoch- bzw. überbewertete Assets. Und doch hält man stur am Konzept der Negativzinsen fest, obwohl auch die nicht genügen, wie eben erst erlebt. Sonst hätte sich die SNB nach dem Brexit-Votum kaum genötigt gefühlt, am Devisenmarkt massiv zu intervenieren. Was sie im Übrigen auch schon davor tat – wenn auch in kleineren Dosen – und auch heute noch tut – trotz immer spürbarer werdender negativer Begleiterscheinungen.

So stumpf die Waffen der Geldhüter auch geworden sind, die Finanzmärkte verlassen sich noch immer darauf und vertrauen den Zentralbanken fast blindlings. Der Brexit gab schon einen Vorgeschmack, was passiert, wenn etwas unerwartetes Wahrheit wird. Noch reagiert der Finanzmarkt dumpf auf alles, was da so geschieht und nie für möglich gehalten wurde, selbst auf Nizza, Erdogan oder Trump usw. Hauptsache die europäischen Banken werden wieder mal gerettet – «Arrivederci bail in».

Auch ich verabschiede mich von Ihnen, und lasse jetzt zwei Wochen die Feder ruhen. Anfang August lesen Sie wieder von mir – nach einem beschaulichen Sommerloch hoffentlich.

Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen

Raiffeisen

Exit mobile version