Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: KI-Agenten übernehmen noch nicht

Fredy Hasenmaile, Chefökonom von Raiffeisen Schweiz. (Bild: Raiffeisen)

Von Fredy Hasenmaile, Chefökonom Raiffeisen Schweiz

Vor rund drei Jahren berichtete mein Dozentenkollege während einer gemeinsamen Vorlesung von einem bemerkenswerten Experiment: Er hatte seinen persönlichen KI-Agenten damit beauftragt, innerhalb von drei Monaten ein Klassentreffen seiner ehemaligen Mittelschulklasse zu organisieren – komplett eigenständig. Als Treffpunkt sollte ein geeignetes Restaurant in Zürich dienen. Der KI-Agent erhielt lediglich die Klassenliste, recherchierte daraufhin fehlende Adressen, nahm Kontakt zu den früheren Mitschülerinnen und Mitschülern auf, reservierte die Lokalität und übernahm die gesamte Kommunikation. Das Klassentreffen fand tatsächlich statt – 17 von 23 Ehemaligen waren vor Ort. Ich war platt und habe damals erstmals so richtig verstanden, welches Potenzial in der KI-Technologie schlummert und welche disruptiven Umwälzungen der Einsatz von KI-Agenten für die Arbeitswelt bedeuten kann. Seither hat die KI-Technologie weitere enorme Fortschritte gemacht und von KI-Agenten spricht heute jedermann. Das Jahr 2025 wird bereits als das Jahr der KI-Agenten gehandelt.

Was sind KI-Agenten?
Ein KI-Agent ist ein Computerprogramm, das in der Lage ist, eigenständig Entscheidungen zu treffen und zu handeln, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Dazu beobachtet der Agent seine Umgebung, beispielsweise durch Daten oder Sensoren, trifft Entscheidungen basierend auf diesen Informationen und führt dann entsprechende Handlungen aus. Anders als klassische KI-Systeme, die nur auf Eingaben reagieren – wie etwa Chatbots – handeln KI-Agenten proaktiv, planen, lernen und passen sich an veränderte Bedingungen an.

Agenten im Verbund
KI-Agenten können beispielsweise administrative Tätigkeiten wie Terminplanung, E-Mail-Verwaltung, Berichterstellung oder Datenauswertung übernehmen. Sie können selbstständig Softwarecode schreiben, Funktionen austesten, Fehler beheben und Prozesse automatisch dokumentieren. Die Liste lässt sich beliebig erweitern, so dass man sich auch Unternehmen denken kann, die weitgehend autonom von KI-Agenten betrieben werden – ohne dass Menschen in den operativen Kernprozessen eine aktive Rolle spielen. In einer solchen
«Agenten-Firma» würden nicht mehr Hierarchien, sondern Algorithmen den Takt vorgeben. Herzstück in einer solchen Firma wäre ein CEO-Agent, der strategische Entscheidungen trifft und operative Aufgaben an spezialisierte Agenten delegiert. Diese arbeiten zum Beispiel in den Bereichen Marketing, Recherche oder Kommunikation. Doch könnten solche Agentensysteme tatsächlich zuverlässig die Aufgaben ganzer Abteilungen oder sogar einer ganzen Firma übernehmen?

Wie leistungsfähig wäre eine Agenten-Firma?
Ein Forscherteam der Carnegie-Mellon-Universität wollte herausfinden, ob eine solche Agenten-Firma in der Realität funktionstüchtig wäre.1 Die Antwort darauf hat grosse Auswirkungen, sowohl auf die Wirtschaft, welche die KI in ihre Arbeitsabläufe integrieren möchte, als auch für die Wirtschaftspolitik, welche die möglichen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt verstehen möchte. Der für seine kühnen Thesen bekannte Dario Amodei, Mitgründer und CEO von Anthropic, geht beispielsweise davon aus, dass KI langfristig sämtliche menschliche Tätigkeiten schrittweise übernehmen wird. Viel skeptischer ist der Nobelpreisträger Daron Acemoglu, der in den nächsten zehn Jahren nur einen Prozentsatz von nicht mehr als 5 Prozent aller Stellen in Gefahr sieht, von KI abgelöst oder zumindest stark verändert zu werden.

Die Realität: Agenten-Firma funktioniert (noch) nicht Um die Leistungsfähigkeit einer derartigen Firma zu testen, haben die Forscher ein kleines Softwareunternehmen mit internen Websites und Daten nachgebildet und vollständig mit KI-Agenten besetzt. Für das Experiment wurden insgesamt zwölf grosse Sprachmodelle (LLMs) getestet, darunter Claude 3.7 Sonnet (Anthropic), GPT-4o (OpenAI), Gemini 2.5 Pro (Google) und Llama 3.3 (Meta).

Die künstlichen Mitarbeiter fungierten als Finanzanalysten, Softwareentwickler und Projektmanager und arbeiteten Seite an Seite mit simulierten Kollegen der Personalabteilung oder einem technischen Leiter. Die Resultate waren ernüchternd: Die KI-Agenten konnten die Mehrheit der Aufgaben nicht bewältigen. Am besten schnitt Gemini 2.5 Pro ab. Doch auch dieses Top-Modell konnte nur 30 Prozent der Aufgaben vollständig lösen. Zählt man Teillösungen hinzu, ergab sich eine Erfolgsquote von 39 Prozent. Die Anzahl notwendiger Arbeitsschritte zur Lösung der Aufgaben sowie die entsprechenden Kosten dafür wurden ebenfalls berechnet und zeigten grosse Unterschiede.

Bei vielen Problemstellungen war der Start vielversprechend, doch sobald die Aufgaben komplexer wurden, bekamen die KI-Agenten Probleme aufgrund eines fehlenden Verständnisses oder eines Mangels an Sozialkompetenz oder an technischen Fähigkeiten. Die KI-Agenten scheiterten beispielsweise an harmlosen Pop-up-Fenstern, welche den Zugriff auf nötige Files blockierten und eigentlich mit einem Klick auf den xButton zum Verschwinden hätten gebracht werden können. In einem anderen Fall konnte ein KI-Agent mit seiner Frage die richtige Person im Firmenchat-Tool nicht finden und entschloss sich kurzerhand, einen anderen Mitarbeiter umzutaufen. Solche Schlaumeiereien, welche den schwierigen Teil einer Aufgabe zu umschiffen versuchen, waren keine Einzelfälle. Am besten schnitten die KI-Agenten bei Software-Entwicklungsaufgaben ab – also in Bereichen, in denen sehr viel öffentlich verfügbares Trainingsmaterial vorhanden ist.

Fazit: Erweiterung nicht Ablösung des Menschen
Wer befürchtet, bereits morgen von KI-Agenten von seinem Arbeitsplatz verdrängt zu werden, kann vorerst aufatmen. Aktuell sind selbst die besten KI-Agenten noch länger nicht in der Lage, komplexe Aufgaben, die Menschen gut lösen können, zu übernehmen. Andere Studien als diejenige der Carnegie-Mellon-Universität kommen zu ähnlichen Schlüssen.

KI-Agenten können helfen, einzelne einfachere Aufgaben rascher zu erledigen und bei den komplexeren Tätigkeiten menschliche Arbeitskräfte zu unterstützen. Die gute Nachricht für uns Menschen ist: Wir gewinnen Zeit, um uns mit KI vertraut zu machen. Denn die Entwicklung auf dem Gebiet der KI-Technologie ist rasant. Heute werden Aufgaben automatisiert, die zu automatisieren noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wäre. Wir sind also gut beraten, uns mit der neuen Technologie vertraut zu machen und womöglich als Leiter eines Teams von KI-Agenten in Zukunft unersetzbar zu bleiben.

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