Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Pharma-Weckruf

Fredy Hasenmaile, Chefökonom von Raiffeisen Schweiz. (Bild: Raiffeisen)

Von Fredy Hasenmaile, Chefökonom Raiffeisen Schweiz

Das Gewicht der Pharmabranche in der Schweiz ist enorm. Sie ist seit Jahren eine der tragenden Säulen unserer Volkswirtschaft und hat dem Standort Schweiz Wohlstand und Stabilität gebracht. Sie erwirtschaftet fast 10% des Bruttoinlandsprodukts, hat seit 2020 rund 40% zum Wirtschaftswachstum beigesteuert und generiert mehr als die Hälfte aller Exporte. Die USA ist dabei mit 28% der Exporte der Schlüsselmarkt – aber auch die Achillesferse. Für die Pharmaunternehmen ist der Markt unverzichtbar: Roche erzielt dort fast 50% des Umsatzes, Novartis 41%.

Höchstpreise in den USA
Die grosse Bedeutung des amerikanischen Marktes rührt von den sehr hohen Preisen für Originalprodukte. Insgesamt zahlen US-Amerikaner rund 178% mehr für Medikamente als der globale Durchschnitt, bei patentgeschützten Produkten sogar 322% mehr. Generika sind zwar günstiger, doch solange Patente gelten, ist die Preissetzungsmacht der Hersteller enorm. Im Vergleich zur hochpreisigen Schweiz sind die US-Preise für patentgeschützte Medikamente immer noch 239% teurer.

Schweizer Schlüsselbranche unter Druck
Doch die Erfolgsgeschichte der Schweizer Pharmabranche ist keineswegs in Stein gemeisselt. Ende September kündigte US-Präsident Trump an, ab dem 1. Oktober 100% Zölle auf den Import von Originalmedikamenten zu erheben. Die US-Regierung verfolgt damit zwei Ziele: die Senkung der US-Medikamentenpreise und die Rückverlagerung der Produktion in die USA. Die Branche reagierte gelassen. Trumps Ankündigung war erwartet worden, nachdem er die Pharmakonzerne im Sommer aufgefordert hatte bis Ende September die Preise für verschreibungspflichtige Medikamente in den USA zu senken. Die heisse Phase der Auseinandersetzung hat begonnen.

Zölle sind einigermassen verkraftbar
Zölle sind kein unproblematisches Instrument, um die Pharmaindustrie zu einem Einlenken zu bewegen. Sie belasten zwar die Pharmaindustrie, aber sie verteuern auch die Medikamentenpreise und erhöhen damit die Kosten für die Endkonsumenten. Dank ihrer Marktmacht können die Pharmahersteller höhere Kosten weitergeben. Daher muss die US-Regierung aufpassen, dass der Schuss nicht nach hinten losgeht. Kommt hinzu, dass die Pharmafirmen diverse Möglichkeiten haben, die Einfuhrzölle zu mildern oder ganz zu vermeiden, beispielsweise, indem sie eine Produktionsstätte in den USA bauen. Unternehmen, die entweder bereits einen Baubeginn festgelegt oder mit dem Bau angefangen hätten, seien von den geplanten Zöllen ausgenommen, liess die US-Regierung wissen. Damit dürften rund zwei Drittel der Pharmaimporte von den Zöllen ausgenommen sein. Die übrigen Pharmafirmen können die Zölle durch strategische Anpassungen wie Re-Routing, Endverpackung in Ländern mit tieferen Zöllen oder einer Veränderung der Verrechnungspreise die Zollbelastung reduzieren.

Preisregulierung ist das grössere Risiko
Weitaus einschneidender als drohende Zölle wäre jedoch ein neues Preismodell. Trump fordert, dass unter Patentschutz stehende Medikamente in den USA nicht mehr kosten dürfen als in dem Land mit den tiefsten Preisen. Die Einführung eines solchen Meistbegünstigungsprinzips könnte die Umsätze drastisch schmälern, laut einer Studie der Beratungsfirma Simon Kucher um bis zu 64%. Das würde Forschung und Entwicklung erheblich unter Druck setzen. Für die Schweiz hätte dies gravierende Auswirkungen. Budgets für Forschung und Entwicklung würden deutlich gekürzt werden, die Innovationsgeschwindigkeit würde spürbar gebremst und Forschungsarbeitsplätze gingen verloren. Langfristig würde die Wertschöpfung sinken, insbesondere im Bereich hochpreisiger Innovationen, und die Steuereinnahmen würden merklich abnehmen.

Weckruf für den Standort Schweiz
In Gefahr ist damit weniger die Pharmabranche an sich als vielmehr der Pharmastandort Schweiz. Bisher hat die Schweiz ihre Klumpenchance, die der Pharmasektor bietet, hervorragend genutzt. Mit einer Wertschöpfung von über 770’000 Franken pro Beschäftigten schlägt die Pharmaindustrie andere Sektoren um Längen. Doch nun könnten Schweizer Firmen Aktivitäten aus der Schweiz in die USA verlagern. Der Trend zur Regionalisierung ist schon länger im Gange. Die Corona-Pandemie hat die Verwundbarkeit globaler Lieferketten offengelegt. Unternehmen reagieren mit einer stärkeren Regionalisierung der Produktion, um Risiken zu reduzieren und Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Das könnte auch einen Abwanderungssog auf die Forschung und Entwicklung auslösen. Asiatische Länder rütteln zudem an der westlichen Vorherrschaft und investieren massiv in die wertschöpfungsstarke Pharmaforschung. Der Standort Schweiz ist daher unter Druck, weshalb die Politik gefordert ist, mit einem gezielten Ausbau des Forschungsplatzes und der stetigen Verbesserung der Rahmenbedingungen die Wettbewerbsfähigkeit des Pharmasektors nachhaltig zu sichern.

Mehr zum Thema finden Sie in unserer jüngsten Studie «Schweizer Pharma und die USA», die auf raiffeisen.ch zum Download bereitsteht.

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