Von Enguerrand Artaz, Fondsmanager bei LFDE
Paris / Frankfurt – Um einen Zeitpunkt zu finden, an dem das Haushaltsdefizit im Zentrum politischer und wirtschaftlicher Debatten stand, muss man etwa 15 Jahre zurückblicken. Damals war Griechenland der kranke Mann Europas, dicht gefolgt von den anderen „südlichen Ländern“. Heutzutage weisen Portugal und Griechenland hingegen einen Haushaltsüberschuss auf. In Spanien liegt das Defizit unterhalb der Schwelle von 3 %, obwohl seit drei Jahren kein Haushalt verabschiedet wurde. Das italienische Defizit dürfte in Kürze ebenfalls unter diese Marke sinken.
Warum Haushaltsdisziplin wieder wichtiger wird
Zu Recht begrüssen Ratingagenturen und Märkte diese Rückkehr auf einen gesunden Pfad. Es ist von entscheidender Bedeutung, das Defizit unter Kontrolle zu halten, damit ein Staat über ausreichenden Handlungsspielraum verfügt, um seine Wirtschaft in Krisenzeiten zu stützen und strukturelle Investitionen zu finanzieren. Darüber hinaus gilt es, eine Defizit-Spirale und eine Schuldenexplosion zu vermeiden – zumal die Nullzinsära offenbar vorbei ist. Ein höheres öffentliches Defizit vergrössert den Schuldenbestand und damit automatisch auch die Zinslast. Dieser Mechanismus verstärkt sich zusätzlich, wenn der durchschnittliche Zinssatz der Schulden steigt. Dies ist derzeit der Fall, da die bei der Schuldenaufnahme ursprünglich sehr niedrigen Zinsen nach und nach von hohen Zinsen abgelöst wurden. Die Staaten stehen somit vor der Wahl: Entweder gleichen sie die steigende Zinslast durch höhere Abgaben oder Ausgabenkürzungen aus, oder sie lassen das Defizit – und damit die Schulden und die Zinslast – so lange weiter steigen, bis diese schliesslich untragbar werden. Vor dieser Herausforderung steht Frankreich aktuell.
Balanceakt zwischen Sparen und Wachstum
Die Eindämmung des Defizits ist jedoch kein Selbstzweck. Das Beispiel Deutschlands verdeutlicht, dass übertriebene Sparmassnahmen für eine Volkswirtschaft, die mit einer tiefgreifenden Infragestellung ihres ökonomischen Modells und rückläufigem Wachstum konfrontiert ist, schädlich sind. Zwar hat die Bundesregierung ihr Dogma letztendlich aufgegeben und mittlerweile umfangreiche Ausgaben beschlossen, aufgrund seiner übermässigen Haushaltsdisziplin hinkt das Land jedoch um mehrere Jahre hinterher.
Amerika und China im fiskalischen Spannungsfeld
Die Haushaltsfrage geht weit über die Grenzen Europas hinaus. Die spektakuläre Konsolidierung der Staatsfinanzen Argentiniens inspirierte diejenigen, die harte Sparmassnahmen zur Beendigung der laxen Haushaltspolitik einiger Industrieländer befürworten. Vor allem sollte man jedoch die wichtigen Volkswirtschaften im Auge behalten. In den USA beispielsweise hat sich die Haushaltslage seit Mitte der 2010er-Jahre verschlechtert, sodass das Defizit mittlerweile auf beispiellose Niveaus gestiegen ist. Eine vergleichbare Situation gab es zuvor nur während der letzten beiden Rezessionen. Auch die als „One Big Beautiful Bill“ bekannte Haushaltsreform der Regierung Trump ist keine Lösung, zumal die neuen Einnahmen aus den Zöllen teilweise wegfallen könnten, sollte der Oberste Gerichtshof die unter Verweis auf das IEEPA beschlossenen Zölle für unrechtmässig befinden(1). Diese Frage wird von den Anleihenmärkten zwar momentan noch vernachlässigt, dürfte die Anleger in den kommenden Monaten aber noch stark beschäftigten.
Dann wäre da noch der Elefant im Raum: China. Trotz eines offiziellen Defizits in Höhe von 4 % des BIP – laut IWF sind es fast 8 % – und einer zunehmend lockeren Geldpolitik gelingt es dem Land nicht, die seit 2020 andauernde Immobilienkrise zu überwinden. Diese belastet den Konsum stark und begünstigt deflationäre Tendenzen. Daher ist zu befürchten, dass dem Land ein Szenario à la Japan bevorsteht: eine Liquiditätsfalle und ein verlorenes Jahrzehnt.
Vom Zinsfokus zur Fiskalpolitik
Nachdem die Geldpolitik fast zwei Jahrzehnte lang im Fokus stand, rückt nun die Haushaltsfrage wieder in den Vordergrund – und das wohl auf lange Sicht. Schliesslich handelt es sich angesichts der fortschreitenden Deglobalisierung nicht mehr nur um eine rein wirtschaftliche Angelegenheit, sondern um eine Frage der Souveränität.
(1) International Emergency Economic Powers Act, ein föderales Notstandsgesetz von 1977
