Meret Schneider: Zürichs Taubenschlägerei

Meret Schneider, Nationalrätin von 2019 bis 2023, Grüne Schweiz. (Bild: parlament.ch)

Wenn es ums Thema Jagd geht, so verlieren gestandene Politiker*innen, sanftmütige Tierschützer*innen und Herr und Frau Zürcher gern einmal die Contenance – es wird emotional, man ist empört auf allen Seiten. So auch in diesem Januar, seit in Zürich das neue Jagdgesetz gilt, gemäss dem Wildtiere nicht mehr gefüttert werden dürfen. Stein des Anstosses: zu den Wildtieren gehören nicht nur Greifvögel oder Füchse, sondern auch “verwilderte Haustauben”, was historisch so nicht stimmt und zu gravierenden Problemen für die Tauben führt.

Vom Verbot nicht betroffen sind dem gegenüber Futterhäuschen für Singvögel. Auch Wasservögel oder Eichhörnchen dürfen weiterhin in massvollen Mengen gefüttert werden. Begründet wird das neue Fütterungsverbot damit, dass Wildtiere auch in harten Wintern nicht auf die Fütterung von Menschen angewiesen seien, was jedoch auf die Tauben nicht zutrifft. Fakt ist gemäss Stadttauben Schweiz, dass Stadttauben durch ihre Fähigkeit, einseitige Ernährungssituationen zu überdauern, und ihre Entwicklung hin zum Allesfresser mittlerweile an das städtische Nahrungsangebot angepasst und in der Lage sind, die ökologische Nische des Stadtzentrums zu besetzen.

Anders als Felsentauben (die Stammform der Stadttaube), können Stadttauben bei fehlendem Nahrungsangebot nicht auf natürliche Nahrungsquellen ausweichen. Sie sind vielmehr auf artgerechte Fütterung durch den Menschen angewiesen und andernfalls dazu gezwungen, auf menschliche Abfälle zurückzugreifen, was einen fatalen Effekt auf die Gesundheit der Tiere hat. Die mangelhafte Ernährung von Stadttauben ist auch verantwortlich für den flüssigen Kot (Hungerkot) und die damit einhergehende Verschmutzung. Der Kot einer artgerecht ernährten Taube mit Körnern und Sämereien ist ziemlich klein und fest und verursacht somit deutlich weniger Verschmutzung.

Angesprochen auf das Fütterungsverbot sieht die Stadt Zürich aktuell keinen akuten Handlungsbedarf. In Zürich stehen bereits heute drei Taubenschläge, die von Privatpersonen betreut werden. Um die Taubenpopulation sinnvoll zu kontrollieren, bräuchte es aber wohl wesentlich mehr dieser Taubenschläge. Die Stadt meint dazu, dass sie nicht grundsätzlich abgeneigt sei, noch mehr solcher Taubenschläge aufzustellen; man werde die Entwicklung beobachten. Die Kategorisierung der Stadttauben als Wildtiere, die das eigentliche Problem darstellt, ist auf Bundesebene geregelt und als solche aufgrund der jahrhundertelangen Zucht und Domestizierung durch den Menschen und der damit einhergehenden genetischen Veränderungen nicht mehr haltbar. Das auf das Fütterungsverbot folgende Szenario und die Reaktion aus Tierschutzkreisen kann jedoch als Lehrstück für eine nicht lösungsorientierte Interessenvertretung herangezogen werden, auch wenn ich inhaltlich voll und ganz dahinter stehe.

Als Politikerin im Kanton Zürich erhielt ich aufgrund des Fütterungsverbotes mehrere erboste Briefe, teils ohne Anrede und voller Anschuldigungen. Man liesse die Tauben “absichtlich und mutwillig” verhungern und würde lieber den qualvollen Tod einer Vielzahl von Tauben in Kauf nehmen, statt in ein sinnvolles Konzept zu investieren. Die Tonalität war von einer Aggressivität geprägt, die nicht unbedingt Lust machte, mit den Taubenfreund*innen in Dialog zu treten, geschweige denn, ihnen im Dunkeln zu begegnen. Es folgte eine Demonstration und weitere erzürnte Briefe mit durchaus relevanten Informationen – alles jedoch verfasst in einer solch feindseligen Rhetorik, dass selbst ich als passionierte Tierschützerin absolut keine Motivation verspürte, Seite an Seite mit solchen Menschen für eine im Kern gute Sache zu kämpfen. Inhaltlich muss dazu gesagt werden: Die grosse Mehrheit der Politiker*innen kennt sich in der Problematik der Stadttauben nicht aus und konnte die Folgen eines Fütterungsverbotes nicht beurteilen.

Es ist mitnichten im Interesse von uns Politiker*innen, Tauben absichtlich verhungern zu lassen, sondern es sind alle bestrebt, eine gute Lösung zu finden – nur wird man mit den unterschiedlichsten Informationen bombardiert, inwiefern Tauben auf die Fütterung angewiesen sind oder nicht. Wer nicht wie ich im Tierschutzbereich aktiv ist, dem fehlt womöglich schlicht das Fachwissen und die Informationsgrundlage, die zur Folgenabschätzung herangezogen werden könnte. Und hier kommen die NGO’s und Tierschützenden ins Spiel: eine gute Idee wäre es gewesen, in einem freundlichen Brief den Poltitiker*innen die Problematik zu unterbreiten, ev. auch mit einem Angebot, das Thema in der Fraktion zu präsentieren. Letzten Endes gilt es, die politischen Entscheidungsträger*innen für die Sache zu gewinnen, und das funktioniert mit einem Anschreiben in bester Wutbürger-Piranha-Tonalität nun mal kaum. Schön wäre es gewesen, wenn ein Angebot bestanden hätte, in Dialog zu treten oder ev. best practices aus anderen Kantonen wie Bern, die das mittels Taubenschlägen sehr gut managen, präsentiert zu bekommen. Stattdessen werden einem auf Anhieb böse Absichten, die Ignoranz von Tierleid oder gar “absichtliches Verhungern Lassen” unterstellt. Schade. Ich habe mich tatsächlich für diese Menschen, mit denen ich doch inhaltlich an einem Strick ziehe, geschämt.

Doch was nun? Selbstverständlich vergesse ich über die Unangemessenheit dieser Mails nicht die Wichtigkeit der Thematik. Das Grundproblem, dass Stadttauben fälschlicherweise als Wildtiere gelten, kann schliesslich auf Bundesebene gelöst werden und das gehe ich bereits in der Frühlingssession an. Weiter trete ich mit unseren Stadt- und Kantonsparlamentarier*innen in Kontakt, um mögliche Konzepte wie in Bern nach dem bewährten “Augsburger Modell” vorzuschlagen und zu besprechen. Lösungen findet man gemeinsam und Politik braucht die NGO’s und Wissenschaft, die Fachwissen und Lösungsvorschläge unterbreiten und zur Diskussion bereit sind. Demokratie ist ein Wettbewerb um die besten Ideen und Lösungen – kein Wettschreien um die lautesten Parolen.


Meret Schneider, Eintrag bei Wikipedia
Meret Schneider, Eintrag auf der Parlamentsseite


Weitere Kolumnen von Meret Schneider

Exit mobile version