Rehabilitationstechnik – so filigran wie die menschliche Hand

ETH

Mit dem Ziel, komplexe Mechanismen zu vereinfachen, entwickelte Natalie Tanczak eine benutzerfreundliche Vorrichtung zur Wiedererlangung der Greiffähigkeit. (Bild: Stefan Schneller / ETH Zürich)

Zürich – Forschende der ETH Zürich haben ein neuartiges Exoskelett für die Hand entwickelt. Es unterstützt Patient:innen nach einem Schlaganfall, Greifbewegungen wiederzuerlernen. Mit seiner ziehharmonikaähnlichen Struktur ist es leicht, robust und einfach in den Alltag zu integrieren.

Jedes Jahr erleiden weltweit über 12 Millionen Menschen einen Schlaganfall. Die Betroffenen sind oft langfristig beeinträchtigt und müssen die einfachsten Dinge wiedererlernen, wie zum Beispiel das Greifen. Etwas nicht in die Hand nehmen zu können, beeinträchtigt den Alltag und die Lebensqualität enorm. Exoskelette, also äussere Bewegungshilfen, die man am Körper trägt, können die verlorenen Fähigkeiten ausgleichen. Sie helfen, die Finger zu beugen und zu strecken, und kompensieren den Verlust der motorischen Funktionen. So tragen sie zur Genesung bei und unterstützen die Unabhängigkeit der Patienti:innen.

Ein Exoskelett so leicht wie ein Smartphone
In der Regel sind Exoskelette für die Hand sehr komplex, um die filigranen Bewegungen der Finger zu unterstützen. Oft sind sie sperrig, bestehen aus vielen mechanischen Bauteilen oder gehen schnell kaputt und sind unbequem zu tragen.

Natalie Tanczak, Doktorandin am Rehabilitation Engineering Laboratory (RELab) der ETH Zürich, hat ein Exoskelett entwickelt, das ohne Hydraulik- oder Pneumatikantrieb auskommt und mechanisch einfach aufgebaut ist. Motoren am Unterarm versetzen es in Bewegung. Die mittlerweile zum Patent angemeldete Vorrichtung hat mit 270 Gramm gerade mal das Gewicht eines Smartphones. Bis auf einen USB-Anschluss kommt sie ohne Kabel aus, die dem Bewegungsfluss im Weg wären, und die aus Nylon im 3D-Druck gefertigte Oberflächenstruktur ist angenehm zu tragen. «Unser Exoskelett lässt nach einem Schlaganfall ein intensives, persönliches Training zu», erklärt Tanczak. «Wir können Patienten helfen, ihre Bewegungsfähigkeit wiederzuerlangen, indem sie einfach ihre alltäglichen Dinge tun.»

«Es ist das eleganteste und kompakteste Design, das solche komplexen Bewegungen ermöglicht», sagt Roger Gassert. Er leitet zusammen mit Olivier Lambercy das RELab, an dem schon mehrere frühere Prototypen des Hand-Exoskeletts entwickelt wurden. Die früheren Modelle kamen allerdings noch nicht an die Leichtigkeit und zugleich Robustheit heran. «Die Schönheit der neuen Exoskelett-Finger liegt in ihrer Einfachheit. Andere Modelle bestehen aus unzähligen Teilen. Unseres aus lediglich zwei», sagt Lambercy.

Eines der beiden Bauteile ist eine Blattfeder aus rostfreiem Stahl. Sie muss einerseits steif genug sein, um einen angemessenen Widerstand zu bieten, anderseits aber auch biegsam. Die grösste Innovation liegt allerdings im zweiten Bauteil, einer ziehharmonikaähnlichen Aussenstruktur. Sie ist das Rückgrat, das es der Blattfeder ermöglicht, eine lineare Bewegung in eine senkrechte Greifkraft umzuwandeln, und steuert das Biegen und Strecken auf natürliche Weise.

Technik, die den Alltag zurückbringt
Auf der Suche nach einer geeigneten Form, die sich sowohl zusammenzieht als auch streckt, liess sich Tanczak von einer Ziehharmonika inspirieren. Daraus entwickelte sie die markante Struktur und stellte in Zusammenarbeit mit dem Ingenieur Jay Song ein einziges Bauteil her, durch das die Blattfeder gleitet. Der 3D-Druck ermöglicht es, das Exoskelett so anzupassen, dass es sich je nach Handgrösse und Fingerlänge perfekt an die Hand eines jeden Benutzers anpasst. Dies verstärkt seine unterstützende Wirkung und den Komfort zusätzlich.

Vom Finger bis zum Knie – Potenzial für viele Gelenke
Insgesamt drei Jahre hat Tanczak daran gearbeitet. Begonnen hat sie damit am Future Health Technologies Labor des Singapore-ETH Centre. Zur technischen Entwicklung kam sie ans RELab nach Zürich, wo sie auf die gesammelte Erfahrung in der Herstellung solcher Modelle zurückgreifen konnte. Mittlerweile hatte Tanczak die Chance, ihr Produkt in realer Umgebung zu testen. Sie begleitete acht Schlaganfallpatient:innen, die das Exoskelett über zwölf Wochen benutzt haben, und sagt zu ihrer Erfahrung: «Als Maschinenbauingenieurin freut es mich besonders, zu sehen, welche Auswirkungen die Technologie auf die Nutzer:innen hatte. Ihre Fortschritte waren enorm und ihre Dankbarkeit ist unbezahlbar.»

Nicht erst dadurch hat Tanczak gemerkt, welchen entscheidenden Unterschied Rehabilitationstechnik in der Wiedererlangung der Beweglichkeit spielen kann. Ihr Design der ziehharmonikaähnlichen Struktur könnte genauso gut zur Unterstützung des Ellbogens, der Knies oder jedes anderen Gelenks des menschlichen Körpers eingesetzt werden – und das auf elegante Weise. (ETH/mc/pg)

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