Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Wo sind die Tempomacher?

Martin Neff

von Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

St. Gallen – Die globalen Aktienmärkte haben seit rund vier Monaten einen guten Lauf. Der amerikanische Aktienindex S&P 500 beispielsweise legte in diesem Zeitraum mit +14% stark zu. Ein ähnlich grosses Plus verzeichneten auch einige Schwellenländeraktien sowie der Schweizer SMI. Die europäischen Aktienindizes notieren im Allgemeinen ebenfalls höher, wenn auch nicht ganz so deutlich.

Der Startschuss für diese Aufwärtsbewegung kam paradoxerweise ausgerechnet von der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten, die im Vorfeld als Risikofaktor galt, nicht nur wegen dessen protektionistischer Rhetorik. Doch die Märkte haben sich arrangiert, die Sorgen sehr schnell beiseitegeschoben und stattdessen auf wirtschaftsfreundliche Massnahmen der neuen Regierung gehofft, vor allem auf niedrigere Steuern und höhere Infrastrukturausgaben. Positive Impulse für die globalen Aktienmärkte kamen gleichzeitig von besseren Unternehmensergebnissen und Konjunkturdaten. Anders als zu Beginn von 2016, als sogar eine weltweite Rezession befürchtet wurde, sind Wachstumssorgen mittlerweile kaum ein Thema. China hat mit enormen Staatssummen die Wirtschaft wieder auf Kurs gebracht und in Europa ist die Unternehmensstimmung auf einem hohen Niveau.

Hohe politische Risiken in Europa
Die Aufwärtsbewegung an den Aktienmärkten ist nun aber ins Stocken geraten. Die Aktienkurse tendieren seit zwei Wochen seitwärts. Dafür gibt es mehrere Gründe. Gerade in Europa liegt noch einiges im Argen. Erstens ist da das schlechte Verhältnis zwischen der EU und der Türkei zu nennen. Das entwickelt sich immer mehr zu einem Unsicherheitsfaktor. Der türkische Präsident Erdogan strebt eine Verfassungsänderung an, die ihm mehr Macht geben würde. Für das Referendum vom 16. April zeichnet sich ein knappes Ergebnis ab und daher wirbt Erdogans Partei auch bei der türkischen Diaspora im Ausland aktiv für Stimmen, was in Europa grosse Irritationen auslöst und teilweise sogar zu Einreiseverboten geführt hat. Die diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei sind auf einen Tiefpunkt gefallen und die Tragweite dieser Entwicklung ist noch nicht wirklich abzuschätzen. Aus der Sicht Deutschlands und der gesamten EU ist das Flüchtlingsabkommen von zentraler Bedeutung. Wenn die Türkei das Abkommen bricht, würde wohl erneut ein grosser Flüchtlingsstrom Richtung Deutschland ziehen, und damit Bundeskanzlerin Angela Merkel noch mehr unter Druck setzen, deren politisches Überleben wohl davon abhängt, dass der Deal hält. Eine Normalisierung der Beziehungen dürfte aber noch schwieriger werden, wenn es Präsident Erdogan gelingen sollte, seine bereits umfangreiche innenpolitische Macht weiter auszubauen.

Zweitens ist es nach den Parlamentswahlen in den Niederlanden noch zu früh für Entwarnung, denn wirklich kritisch wird erst die Präsidentschaftswahl in Frankreich, die am 23. April und 07. Mai  (2. Wahlgang) stattfindet und vermehrt in den Marktfokus rückt. Der französische Wahlkampf erinnert immer mehr an das politische Theater und die Schlammschlacht im US-Wahlkampf. Mittlerweile gilt Emmanuel Macron als knapper Favorit, aber auch ihm wird nun Günstlingswirtschaft vorgeworfen wie bereits seinen Konkurrenten François Fillon und Marine le Pen. Die Skandale häufen sich und egal wer gewinnt, das neue Staatsoberhaupt dürfte einen schwierigen Start haben. Wird der europafreundliche Macron tatsächlich der erste Präsident, der nicht einer der beiden grossen Parteien angehört, ist ein allfälliger EU-Austritt Frankreichs zwar vom Tisch, dafür droht aber ein politisches Patt, denn Macron besitzt keine eigene Hausmacht im Parlament.

Washingtons Mühlen mahlen unverändert langsam
Dass es an den Aktienmärkten in den letzten Wochen nicht mehr blind nach oben ging, liegt nicht zuletzt auch an der politischen Entwicklung in den USA. Im Fokus liegt dort nun ganz klar die Reform von Obamacare, während andere Vorhaben in den Hintergrund gerückt sind, darunter z.B. Steuersenkungen oder neue Infrastrukturprojekte, in die die Märkte so grosse Hoffnungen legen. Erstmals zeigte sich bei den Republikanern nun auch grosse Uneinigkeit darüber, wie mit Obamacare fortzufahren ist. Das verschlechtert die Chancen auf eine schnelle Gesetzesänderung, insbesondere nachdem das unabhängige Budgetbüro des US-Kongresses eine erste Schätzung veröffentlichte, wonach Millionen von Amerikanern der Verlust der Krankenversicherung droht. Präsident Trump, der mit dem Versprechen zur Wahl angetreten ist, den «Sumpf in Washington auszutrocknen» stösst nun auf grossen parlamentarischen Widerstand. Bereits ist bei Beobachtern davon die Rede, dass Obamacare den Kongress noch monatelang beschäftigen wird und das erhoffte Konjunkturpaket wohl frühestens zum Jahres-ende hin wahrscheinlich aber erst 2018 zur Abstimmung kommt.

Wo sind die Tempomacher?
Das amerikanische Fiskalpaket lässt auf sich warten und in Europa bleibt die politische Entwicklung unberechenbar. Keine wirklich guten Perspektiven für die bereits hoch bewerteten Aktienmärkte also. Dazu kommt noch die zögerliche aber voranschreitende Normalisierung der US-Geldpolitik. Die amerikanische Federal Reserve hat nach dem Zinsschritt im Dezember nachgelegt und den Leitzins um einen Viertel Prozentpunkte auf 1% erhöht. Vom Markt wurde dieser Zinsschritt schon vor Wochen problemlos eingepreist. Zinserhöhungen der Fed lösen zwar kein grosses Unbehagen mehr aus, sie können den Aktienmärkten aber auch nicht wirklich neue Impulse geben. Letzteres gilt auch für die guten Konjunkturdaten, denn die können sich kaum mehr weiter verbessern, zumindest ohne fiskalischen Stimulus. Neue Tempomacher, welche die globalen Aktienmärkte weiter nach oben treiben könnten, sind also nicht wirklich in Sicht und die Risiken bleiben hoch. Die Wahrscheinlichkeit bleibt hoch, dass den Aktien in den nächsten 2-3 Monaten die Luft ausgeht. (Raiffeisen/mc/ps)

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