VP Bank: Neue Hoffnung für chinesische Aktien

China

(Adobe Stock)

Zahlreiche Aktienindizes haben im Verlauf von 2025 Rekordstände erreicht. Nicht so in China: Dort befindet sich der Aktienmarkt seit dem Hoch im Jahr 2021 in einer Korrektur.

von Manfred Hofer, Senior Investment Strategist VP Bank

Der Pessimismus der Anleger gegenüber China ist tiefgreifend und wurde durch eine Reihe belastender Faktoren ausgelöst: Die Immobilienkrise schwächte nicht nur den Bausektor, sondern auch die Konsum- und Investitionsbereitschaft. Gleichzeitig führten zentralistische Eingriffe im Technologiesektor zu einem angespannten Marktumfeld. Die Kombination aus politischer Unsicherheit, Wachstumsabschwächung und Kapitalabflüssen liess chinesische Aktien für viele Investoren „nicht investierbar“ erscheinen.

Erste wirtschaftspolitische Lockerungen, gezielte Konjunkturmassnahmen und eine teilweise Deregulierung zugunsten ausländischer Kapitalzuflüsse sorgten ab 2024 für eine allmähliche Stabilisierung. Im laufenden Jahr zeichnet sich nun eine Trendwende ab. Trotz der Immobilienkrise, die noch nicht überwunden ist, und der verhaltenen Entwicklung des Privatkonsums verzeichnen chinesische Aktien gemessen am MSCI China eine kräftige Kursentwicklung von 33 % seit Anfang des Jahres. Dennoch liegen die Notierungen noch deutlich unter dem letzten Höchststand von 2021, doch das Sentiment hellt sich auf.

Warum Investoren umdenken
Aus unserer Sicht beruht die Skepsis der internationalen Anleger gegenüber China vor allem auf zwei weit verbreiteten Fehlinterpretationen: Zum einen wird China als nicht mehr innovativ wahrgenommen und zum anderen gilt das Land als Hauptleidtragender des US-Handelskriegs. Beide Annahmen halten einer differenzierten Analyse jedoch nicht stand.

Die Annahme, China könne nicht mehr innovativ sein, greift zu kurz. Zwar haben die USA im Oktober 2022 Exportverbote für Hochleistungs-Computerchips verhängt, um Chinas Zugang zu Schlüsseltechnologien zu beschränken. Diese Chips, insbesondere jene des führenden Herstellers Nvidia, sind essenziell für das Training umfangreicher Sprachmodelle für künstliche Intelligenz (KI), die in Bereichen wie autonomes Fahren, medizinische Diagnostik oder Sprachverarbeitung eingesetzt werden. Der Ausschluss von US-Hardware war eine erhebliche Hürde, doch China reagiert mit Nachdruck. Unternehmen wie Baidu, Huawei und Deepseek investieren viel Geld in die Entwicklung von chinesischen Hochleistungschips und KI-Modellen, um Chinas technologische Souveränität zu stärken.

Parallel dazu hat die chinesische Regierung mit regulatorischen Eingriffen insbesondere im Technologiesektor für Verunsicherung unter Investoren gesorgt. Massnahmen gegen grosse Plattformunternehmen wie Alibaba oder Tencent, etwa in Form von Kartellverfahren oder Börsenrestriktionen, waren Sinnbilder einer unternehmensfeindlichen Politik. Das war eine Machtdemonstration der kommunistischen Führung, die den wachsenden Einfluss dieser Konzerne und ihrer Manager begrenzen wollte.

Inzwischen betont die Regierung wieder die langfristige Strategie: Der Technologiesektor bleibt ein zentraler Pfeiler der wirtschaftlichen Entwicklung. Staatliche Förderprogramme, steuerliche Anreize und gezielte Investitionen in Schlüsseltechnologien wie künstliche Intelligenz, Halbleiter, Quantencomputing und Biotechnologie zeigen, dass Innovation politisch gewollt ist und aktiv unterstützt wird.

China kontert Zölle mit Strategie und Konfrontation
Auch die zweite Annahme, China sei Hauptleidtragender des US-Handelskriegs, greift zu kurz und verkennt die strategische Neuausrichtung der chinesischen Wirtschaft. Zwar haben die Handelskonflikte seit der ersten Amtszeit von Donald Trump zu Zöllen, Sanktionen und einer Verschärfung der wirtschaftspolitischen Beziehungen geführt, doch hat sich China als widerstandsfähig und anpassungsfähig erwiesen.

Die Bedeutung der USA als Handelspartner für börsenkotierte chinesische Unternehmen ist in den letzten zehn Jahren deutlich gesunken. Während früher ein erheblicher Teil der Exporte in die Vereinigten Staaten ging, machen diese Geschäfte heute nur noch rund 3.7 % der Umsätze chinesischer Unternehmen aus (siehe Grafik). Diese Entwicklung ist nicht nur Folge politischer Spannungen, sondern auch Ausdruck einer bewussten Diversifizierung der Handelsbeziehungen.

China hat seine wirtschaftlichen Verflechtungen gezielt ausgebaut, insbesondere mit den Staaten des südostasiatischen Bündnisses ASEAN. Südostasien hat sich so zu einem der wichtigsten Handelspartner Chinas entwickelt. Länder wie Vietnam, Indonesien, Malaysia und Thailand profitieren von der chinesischen Nachfrage nach Rohstoffen, Zwischenprodukten und Konsumgütern. Gleichzeitig nutzt China diese Partnerschaft, um neue Absatzmärkte zu erschliessen und Lieferketten zu stabilisieren, damit sie weniger anfällig für geopolitische Risiken sind. Insgesamt hat China seine Rolle im asiatisch-pazifischen Raum gestärkt.

Diese strategische Neuausrichtung geht mit einem selbstbewussteren Auftreten gegenüber den USA einher. Im Handelskonflikt setzt China daher nicht nur auf diplomatische Stärke, sondern auch auf wirtschaftliche Trümpfe – allen voran die Kontrolle über seltene Erden. Diese Rohstoffe sind essenziell für die Produktion von Hightech-Komponenten in Bereichen wie Elektronik, Luftfahrt und Rüstung.

China besitzt einen grossen Anteil der weltweiten Vorkommen und dominiert sowohl den Abbau (Marktanteil rund 70 %) als auch die Verarbeitung (90 %) dieser Materialien. So lässt sich erheblicher Einfluss auf globale Lieferketten ausüben. Bereits in der Vergangenheit wurde angedeutet, den Export seltener Erden als Reaktion auf politische Spannungen zu regulieren – ein klares Zeichen der wirtschaftlichen Stärke.

Bewertung steigt, Potenzial bleibt gross
Die Innovationskraft und die Diversifizierung der Absatzmärkte haben allmählich zu einem Umdenken nationaler und internationaler Investoren geführt. Sie kehren zunehmend in den chinesischen Aktienmarkt zurück. Unsere Investmentidee zu China aus dem vergangenen Jahr zeigte das deutliche Bewertungsgefälle zwischen den Aktienmärkten Chinas und der USA. Während US-Aktien historisch gesehen hoch bewertet waren, wies der chinesische Markt eine auffallend günstige Bewertung auf.

Aufgrund des Kursanstiegs im vergangenen Jahr liegen die Bewertungen chinesischer Aktien inzwischen höher und bewegen sich im Bereich ihres 20-jährigen Durchschnitts. Der Bewertungsabschlag gegenüber dem US-Markt ist deutlich – das Aufholpotenzial bleibt bestehen. Schnell verschwinden wird der Abschlag indes nicht.

Ruinöser Preiswettbewerb: Anti-Involution
Die niedrige Bewertung hat auch fundamentale Gründe. Während sich die Profitabilität der Unternehmen in den vergangenen Jahren weltweit verbessert hat, stagnierte sie bei chinesischen Firmen (siehe Grafik unten). Dahinter verbirgt sich ein tiefgreifendes Problem der chinesischen Wirtschaft, die «Involution», die nun adressiert wird.

Damit wird eine gesellschaftliche oder wirtschaftliche Entwicklung beschrieben, bei der immer mehr Aufwand betrieben wird, ohne dass echter Fortschritt herausschaut. Gemeint ist damit vor allem der ineffiziente Wettbewerb innerhalb Chinas. Unternehmen unterbieten sich gegenseitig im Preis, um Marktanteile zu gewinnen, ohne dass sie mit Innovationen punkten oder Produktivitätsfortschritte erzielten. Anstatt Fortschritt herrscht Stillstand – bei sinkenden Margen. Jedes zehnte börsengehandelte Unternehmen schreibt rote Zahlen, im produzierenden Gewerbe sind es gemäss offiziellen chinesischen Daten sogar über 28 %.

Es sind Überkapazitäten, die zu Preisdruck führen, genau wie zu ineffizienter Ressourcennutzung und stagnierender Produktqualität. Die chinesische Zentralregierung hat diesem Trend den Kampf angesagt: Unter dem Schlagwort «Anti-Involution» ergreift sie Massnahmen, um den ruinösen Wettbewerb zu begrenzen und die Profitabilität zu verbessern.

In der Solarindustrie unterstützt sie zum Beispiel koordinierte Produktionsabsprachen unter Polysilizium-Herstellern, um Überkapazitäten zu verringern und veraltete Anlagen aus dem Markt zu nehmen. Auch im Elektrofahrzeugsektor greifen Regulierungsbehörden zunehmend in die Preisbildung ein, um den ruinösen Wettbewerb einzudämmen. Derzeit buhlen gemäss der Beratungsgesellschaft AlixPartners 129 Elektroautobauer um Kundschaft.

Die Eindämmung der Folgen der Involution dürfte langfristig den Unternehmenssektor stabilisieren, kurzfristig jedoch zu Belastungen führen. Denn der Abbau von Überkapazitäten beginnt mit dem Stopp neuer Investitionen. Dies erklärt, warum trotz Verbesserung der Finanzierungsbedingungen, die Kreditvergabe stockt.

Zudem bleibt offen, ob sich dieses wirtschaftspolitische Problem zentral lösen lässt. China hat in der Vergangenheit mit nachfrageseitigen Impulsen – etwa Infrastrukturinvestitionen oder Konsumanreizen – erfolgreich agiert. Angebotsseitige Reformen, die strukturelle Überkapazitäten abbauen, sind komplexer und politisch schwierig umzusetzen. Die kommenden Monate werden zeigen, ob China den eingeschlagenen Kurs entschlossen verfolgt. Aufschluss dürfte die Plenarsitzung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei im Oktober geben, denn dort werden die Weichen für den 15. Fünfjahresplan gestellt, der die Prioritäten der wirtschaftlichen Entwicklung von 2026 bis 2030 regelt.

Insgesamt bietet eine Investition in chinesische Aktien Anlegerinnen und Anlegern weiterhin eine attraktive Möglichkeit zur Diversifikation. Gerade im Vergleich zu etablierten Märkten wie den USA oder Europa ist der Markt attraktiv. Wer investiert, muss sich aber bewusst sein, dass die strukturellen Herausforderungen von der Zentralregierung nicht binnen Monaten, sondern Jahren zu bewältigen sind. (VP Bank/mc)

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