Initiative zur Abschaffung der Heiratsstrafe hat schweren Stand

Nationalratssaal. (Bild: admin.ch)

Bern – Die Volksinitiative der Mitte für eine Abschaffung der Heiratsstrafe stösst im Nationalrat auf wenig Gegenliebe. Wie die vorberatende Kommission und der Bundesrat verwies eine Mehrheit auf die Individualbesteuerung. Das Volksbegehren zementiere Überholtes. Der Rat setzt die Debatte am Mittwoch fort.

Die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats (WAK-N) hatte die Initiative «Ja zu fairen Bundessteuern auch für Ehepaare – Diskriminierung der Ehe endlich abschaffen» mit 13 zu 12 Stimmen zur Ablehnung empfohlen.

Ihre Sprecherin Kathrin Bertschy (GLP/BE) sagte am Montag, die Initiative wolle das Einkommen von Ehepaaren für die Bundessteuer zusammenzählen und niemanden gegenüber Ehepaaren besserstellen.

Das führe zu Steuerausfällen zwischen 700 Millionen und 3 Milliarden Franken je nach Modell. Profitieren würden Ehepaare mit hohen bis sehr hohen Einkommen. Die bereits beschlossene Individualbesteuerung sei vorzuziehen, denn sie sei vom Zivilstand unabhängig.

Leo Müller (Mitte/LU) warb für die Initiative. Einfach umzusetzen, verlange sie keinen Systemwechsel bei den Kantonen. 21 der 26 Stände lehnten die Individualbesteuerung ab. Ausser bei der Bundessteuer sei die Heiratsstrafe abgeschafft. Die Initiative biete eine elegante Lösung ohne 1800 neue Steuerbeamte, Systemwechsel und Eingriff in Kantonskompetenzen.

Zweifel an Höhe der Steuerausfälle
Unterstützung fand die Initiative bei der SVP und den beiden kleinen Parteien EVP und EDU. Paolo Pamini (SVP/TI) nannte die Individualbesteuerung ein gefährliches Präjudiz. Demnächst könnte man so auch die Sozialversicherungsleistungen individualisieren, bei denen man doch ein Splitting kenne.

Neben Voten für die Familie als Keimzelle und Kitt der Gesellschaft bezweifelten die Befürworter die genannten Steuerausfälle beim Bund. Das seien reine Fantasiegebilde, solange das Parlament die Tarife und Modelle nicht in enger Zusammenarbeit mit den Kantonen erarbeitet habe, sagte Markus Ritter (Mitte/SG).

Bürokratiemonster auf beiden Seiten
Beide Seiten warfen sich die Schaffung von Bürokratiemonstern vor. Die Befürworter führten die 1,7 Millionen zusätzlichen Steuererklärungen bei der Individualbesteuerung an. Zudem müsste das Vermögen jeweils separat aufgeführt werden – ein Alptraum etwa bei Wohn- oder Mieteigentum und Vermögenserträgen.

Die Gegner wollten wissen, welchen Aufwand das im Raum stehende alternative Berechnungsmodell der Ehepaarbesteuerung verursacht. Dabei müsste die Steuererbemessung eines Ehepaars mit der von Einzelpersonen oder Konkubinatspaaren verglichen werden. Die günstigere Variante sollte dann beim Ehepaar zum Tragen kommen.

Gesellschaftspolitische Grundsatzfragen
Nicht allein die Ratslinke warf der Mitte und der konservativen Ratsseite vor, in einer Gesellschaft unterschiedlicher Partnerschafts- und Lebensformen eine Form zu privilegieren und ein überholtes Gesellschaftsmodell zu zementieren. Jürg Grossen (GLP/BE) erklärte, mit der Individualbesteuerung sei das Steuersystem endlich in der Gegenwart angekommen.

Franziska Ryser (Güne/SG) sagte, die Initiative komme allein den einkommensstärksten zehn Prozent der Bevölkerung zugute. Die anderen müssten die Steuerausfälle von 2,4 Milliarden Franken bei einem Vollsplitting-Modell schlucken.

Die Präsidentin der FDP-Frauen, Bettina Balmer (FDP/ZH), erklärte, die individuelle Besteuerung sei seit 40 Jahren eine unerfüllte Forderung des Bundesgerichts. Die Initiative blende das aus und schaffe neue Tarifunterschiede. Die FDP-Frauen sind als Urheberinnen der Steuergerechtigkeits-Initiative die Patinnen der Individualbesteuerung.

Lange Vorgeschichte
Die Initiative der Mitte will auf Verfassungsstufe festschreiben, dass das Einkommen von Ehepaaren in der Steuererklärung zusammengerechnet wird. Die heute geltende Gemeinschaftsbesteuerung von Ehepaaren soll bleiben. Allerdings soll der Gesetzgeber sicherstellen, dass Ehepaare gegenüber anderen Personen nicht benachteiligt werden.

Vier Kantone (OW, SG, TI, VS) haben bereits das Kantonsreferendum gegen die Individualbesteuerung beschlossen, für das acht Kantone nötig sind. Die Konferenz der kantonalen Finanzdirektoren lehnt den Systemwechsel ab. Gleichzeitig sammeln SVP, Mitte, EVP und EDU Unterschriften für das fakultative Referendum.

2016 hatte das Stimmvolk die Volksinitiative der damaligen CVP «Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe» äusserst knapp abgelehnt. Weil der Bund falsche Zahlen vorgelegt hatte, entschied das Bundesgericht später, dass die Abstimmung aufzuheben sei. Die Mitte gleiste das Volksbegehren danach neu auf. (awp/mc/ps)

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