Die Sicht des Raiffeisen-Chefökonomen: Auseinander dividiert

Martin Neff

von Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

St. Gallen – Perfektionismus wird den Deutschen angedichtet und sie sind weltweit bekannt für ihre Gründlichkeit. Doch übers Wochenende ging der Perfektionismus bachab. Perfektionismus passt ja bekanntlich wenig zu Jamaika, ein Land das in vielen Dingen exakt das Gegenteil von Deutschland repräsentiert und eher von seiner Improvisationskunst lebt. Vielleicht hätten es die Deutschen auch mal damit versuchen müssen. Dann wären die Koalitionsgespräche vielleicht doch nicht gescheitert. Nun steht man vor einem Scherbenhaufen. Und das nach vier Wochen zähen, letztendlich aber auch erfolglosen, akribischen und detailversessenen Ringens.

Heisst es nicht, die Hoffnung stirbt zuletzt? Genau das ist jetzt in Deutschland passiert. Nicht dass das politische Herz – auf welcher Seite auch immer – für eine Jamaikakoalition geschlagen hätte, aber (mit) zu regieren war mindestens für alle Jamaikaner ein Anreiz, um mit dem politischen Gegner darüber zu verhandeln. Und man hatte wohl gehofft, allen voran Angela Merkel, dass es am Ende doch noch zu einer Einigung kommen würde. Es wäre ja nicht zum ersten Mal für die Kanzlerin, dass sie mit viel Sitzfleisch am Ende doch noch zu ihren Zielen kommt. Jetzt steht sie vor einem Scherbenhaufen. Und ganz Europa argwöhnt nun, was wohl als Nächstes kommt. Die Zeit läuft allen Beteiligten davon.

FDP-Poker?
Nachdem man vier Wochen bis ins letzte Detail Positionen abgesteckt und minimalste Näherungslösungen viel zu lange hinterfragt hatte, brachte schliesslich die FDP ihre eigentliche Wahrheit ans Licht, die da lautet: faule Kompromisse sind keine guten Kompromisse oder um es in den Worten des FDP-Parteichefs zu formulieren: „Es ist besser nicht zu regieren, als falsch zu regieren“. Dabei wird man den Gedanken nicht ganz los, dass die FDP die Sache nicht ganz ernst nahm und im Grunde vielleicht gar nicht willens war, die Verhandlungen zu einem Abschluss zu bringen.

Erstens, weil die FDP vorpreschte und noch vor Beginn der Verhandlungen ankündigte, am Sonntag um 18.00 die Verhandlungen abgeschlossen zu haben. Und zweitens, weil die FDP in Windeseile, da vorbereitet, wie der Spiegel spekuliert, den Rückzug aus den Jamaika-Sondierungsgesprächen via Twitter kundtat. Dies exakt mit Lindners Wortlaut des „Lieber nicht regieren als falsch.“ Das ist kein schlechter Schachzug der FDP, die damit herausstreicht, sich nicht auf faule Kompromisse einlassen zu wollen.

Bananenrepublik
Wie es nun in Deutschland weiter geht, ist völlig offen. Das verspricht zwar in jedem Fall Spannung und der weitere politische Prozess wird noch die eine oder andere Groteske zu Tage fördern. Die politisch wenig sensiblen und oberflächlichen Finanzmärkte lässt das ganze Debakel jedoch kalt. Der deutsche Aktienindex oder die europäischen Börsen zeigten weder Montag noch Dienstag eine nennenswerte Reaktion, die als Missbilligung dessen interpretiert werden könnte, was in Deutschland in den letzten vier Wochen vergeigt wurde – ganz im Gegenteil. Offenbar nehmen die Finanzmarktakteure dieses Theater nur am Rande wahr und auch nicht besonders ernst. Im Notfall verlassen sie sich sowieso auf die Notenbanken statt auf die politische Exekutive. Aber nicht nur die Finanzmärkte auch die breite Bevölkerung nimmt recht gelassen auf, was man in Deutschland noch vor wenigen Monaten höchstens im weniger zivilisierten Ausland für möglich gehalten hätte. Deutschland, auf dem Weg zu einer Bananenrepublik? Keine Regierung, Minderheitsregierung, Neuwahlen.

Alternativlos ist gar nichts
Vielleicht sollten sich die Deutschen vor Augen führen, dass eben nichts alternativlos ist. Nur welche Deutschen eigentlich? Das knappe Drittel, das noch CDU/CSU gewählt hat, oder das Fünftel SPD-Wähler? Und was ist mit den plus minus je ein Zehntel, die AfD, FDP oder Grünen ihr Votum gaben. Was sich in der Bundestagswahl schon deutlich herausgeschält hat, wurde in den Sondierungsgesprächen gefestigt. Das Land ist ziemlich tief gespalten, vorbei die Zeiten in denen CDU oder SPD den Ton angaben und den Kanzler/die Kanzlerin stellten, das eine oder andere mit einem mehr oder verlässlichen Juniorpartner. Diese Spaltung zersetzte letztlich den Kompromissprozess, da keine Partei es sich leisten kann, seine festgezurrten Positionen allzu sehr zu lockern. Ansonsten droht ein Verlust des knappsten Gutes, der Wählerschaft.

Offenbar waren die Grünen bereit, recht weit zu gehen und wohl auch die CDU. Von der CSU weiss man das nicht so recht, aber die wird sich schwer getan haben nach der Wahlschlappe im eigenen Kernland. Alternativlos ist in der jetzigen Situation gar nichts mehr. Das sollte sich auch Angela Merkel vor Augen führen. Die klebt natürlich an der Macht. Ihr einziges Ziel ist es Kanzlerin zu bleiben, auch mit einer immer weniger durchsetzungsfähigen Partei, die Merkel selbst in den letzten Jahren mit heruntergewirtschaftet hat. Der deutsche Bundespräsident wird wohl zu allerletzt das Parlament auflösen. Zuerst wird er Sondierungsgespräche führen. Diese sind anscheinend auch alternativlos.

Ich frage mich, wie sich die Deutschen wohl fühlen, wenn sie am Ende tatsächlich eine Regierung bekommen, die sich nur nach zähem Ringen und Überredungskunst dazu entschlossen hat, die Geschicke des Landes in die Hand zu nehmen? Kommt mal sicher nicht sehr dynamisch rüber, von wegen Forschheit.

Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen 

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