Die Sicht des Raiffeisen-Chefökonomen: Komplex vor der Materie

Martin Neff

von Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

Unlängst gab es hierzulande einen gewaltigen Rutsch ins Grüne. Ich meine damit die Triumphe der Grünen bzw. Grünliberalen an den Wahlurnen in Zürich, Luzern oder Baselland. Seit den nationalen Wahlen im Jahr 2015 hat keine Partei mehr Kantonsratssitze hinzu erobert als die Grünen. Konkret gewannen die Grünen 41 Sitze dazu. Zum Vergleich: Auf Platz zwei folgt die FDP mit 30 Zugewinnen. Die Grünliberalen verbuchten 15 Sitze mehr. Ob das nun eine irreversible Wende darstellt oder ob es sich dabei lediglich um eine langlebigere Eintagsfliege handelt, ist gar nicht so sehr entscheidend. Politologen und Sozialforscher vertreten dazu unterschiedliche Standpunkte.

Aktuell ist Grün aber jedenfalls wieder ziemlich en vogue und man rätselt oder fabuliert über die Gründe des Erfolgs. Vielleicht ist es ja nur auf Grund „des einen Freud des anderen Leid“. Sprich Grün legt zu, weil Rot, Gelb oder Schwarz das Umweltthema in den Augen der Wähler zu sehr vernachlässigen und deshalb Stimmen verlieren. Oder es war der heisse Sommer 2018, den wir im Unterbewusstsein als Beweis der globalen Erderwärmung wahrnehmen? Über die Gründe zu philosophieren, bringt uns wahrscheinlich nicht viel weiter, wenn das Fazit längst steht. In der Politik hat sich Grün etabliert, genauso wie in unserer Gesellschaft. In der Wirtschaft geht alles aber etwas langsamer. Es gibt Bioprodukte, Nachhaltigkeit schreiben sich selbst Firmen auf die Fahnen, die zu den grössten Luftverpestern gehören und die dritte Welt entsorgt unsern Müll. Was läuft da falsch?

Gute Theorie, schwache Praxis
Ob eine Übernutzung der knappen Ressource Umwelt vorliegt, soll hier nicht hinterfragt, sondern als gegeben betrachtet werden, ungeachtet nicht weniger, sogenannter Klimaleugner, wie u.a. die deutsche AfD oder die FPÖ in Österreich, die den menschlichen Einfluss auf das Klima komplett in Frage stellen. Dies geschieht hier aus einem einfachen Grunde. Sollten letztere sich irren, sind die Folgen des Nichtstuns sicherlich fataler als diejenigen des möglicherweise übertriebenen Aktivismus von sogenannten Umweltschützern. Und wer sich der Umweltfrage nur im Grundsatz nähert, wird auch nichts zur Veränderung beitragen.

Doch zurück zur Wirtschaft. Vielleicht erinnern Sie sich an die Katastrophe von Schweizerhalle am 1. November 1986. Als wäre die Katastrophe allein damals nicht schon schlimm genug gewesen, öffneten deutsche Chemiewerke ihre Vorfluter und französische Kaliwerke pumpten zusätzlichen Dreck in den Rhein. Die armen Niederländer mussten dann die ganze Suppe auslöffeln. Ende der Achtzigerjahre gab es schon ökonometrische Modelle, welche diesen Fall – die sogenannte Oberlieger-Unterlieger-Situation – exakt nachbildeten, um zu simulieren, was alles schief gelaufen ist. Das Hauptproblem: Es verging zu viel Zeit, bis das Unglück und sein Ausmass kommuniziert wurden.

Das ermöglichte den Franzosen und Deutschen, auf dem Trittbrett mit zu fahren. Sie konnten fast sicher sein, für den zusätzlichen Dreck, den sie in den Rhein leiteten, nicht zur Kasse gebeten zu werden. Der gesamte Schaden wäre zudem deutlich tiefer ausgefallen, hätte die Schweiz verhandelt, anstatt lange zu schweigen. Die Theorie besagt ferner, dass die Umwelt eigentlich ein freies Gut ist, das jedem zur Verfügung steht. Doch ordnet die Theorie die Umwelt auch als „halb“-öffentliches Gut ein. Es gilt zwar das für öffentliche Güter typische Nicht-Ausschlussprinzip, wonach die Nutzung der Umwelt (z.B. reine Luft) kaum verboten werden kann. Aber das zweite für öffentliche Güter typische Prinzip der Nicht-Rivalität des Konsums gilt hingegen nicht: Denn kommt es zur Übernutzung der Umwelt, dann beinträchtigen zusätzliche Konsumenten den Nutzen anderer. Die Lösung sind Preismodelle. Nur der Preis steuert in einer Marktwirtschaft letztlich Angebot und Nachfrage effizient. Leider sucht die Praxis auch heute noch nach dem richtigen Preis für die Umwelt.

Umweltspekulanten nutzen Intransparenz
Ein Ansatz ist der Handel von Emissionszertifikaten. Die Industrie kauft sich sozusagen Verschmutzungsrechte und bezahlt z.B. für jede Tonne CO2, die sie ausstösst. Es werden nur so viele Zertifikate gehandelt, wie die Politik zulässt. Es werden also nur so viele Emissionszertifikate emittiert, dass die einmal festgelegten Ziele – z.B. CO2-Werte im Jahre X – eingehalten werden können. Mehr Verschmutzungsrechte gibt es nicht. Den Rest regelt der Markt. Die emissionsintensiven Industrien müssen, um zu wachsen, entweder Zertifikate kaufen oder sie reduzieren ihren CO2-Ausstoss.

Das funktioniert mehr schlecht als recht, ist leider auf die Industrie – Landwirtschaft und Privathaushalte sind ausgenommen – beschränkt und es gibt noch immer zu viele Ausnahmen. Zudem wird mit Emissionszertifikaten spekuliert, sie werden teils gehortet, der Markt ist intransparent, weil man nicht weiss, wer über wie viele Zertifikate verfügt und dann sind auch noch Anleger, Investoren oder Rohstoffproduzenten im Markt, denen es nicht um die Umwelt geht. Die spekulieren auf die Preise, welche stark schwanken. Nachbesserungen sind zwar im Gang, das Problem erkannt, aber die Mühlen der Politik mahlen langsam.

Reines Gewissen zu Dumpingpreisen
Greta Thunberg fährt bekanntlich und wohl auch ostentativ Zug, egal ob ans WEF in Davos oder an eine „Fridays for Future“ Demonstration in Paris, Brüssel, Hamburg oder wo auch immer. Zeit ist bekanntlich (auch) Geld, nach Davos benötigte sie offenbar 65 Stunden. Das ist happig und ich kann mir nicht vorstellen, dass sich dieses Modell durchsetzen wird, selbst wenn die Fahrzeit halbiert würde. Was aber, wenn die Fahrt (fast) gratis wäre, der Flug Stockholm – Zürich hingegen ein halbes Vermögen kostet? Würde der Preis dann seine Signalfunktion besser erfüllen? Ich glaube schon. Dass Fliegen „zu“ günstig ist, ist keine neue Weisheit. Einst war die Fliegerei ein Luxusgut, heute ist ein Flugticket ein Discountprodukt. Und wenn ich mich klimasensibel zeige, dann kompensiere ich wenigstens meine CO2-Emissionen. Myclimate.org z.B. investiert meinen Kompensationsbeitrag dann in Klimaschutzprojekte in Entwicklungs- und Schwellenländern.

Greta würde mit dem Flugzeug von Stockholm nach Zürich 309 kg CO2 „ausstossen“. Vergleichsgrössen gefällig? Eine Jahresleistung von 12‘000 km mit einem Mittelklassewagen erzeugt 2‘000 kg CO2 – in Indien liegt die Pro-Kopf-Jahresemission bei 1‘600 Kilogramm. Greta verhält sich jedenfalls ökonomisch völlig ineffizient, denn der Kompensationsbeitrag würde sie „lächerliche“ 8 Euro bzw. 9 Franken kosten. Das ist also der Preis für ein „gutes Gewissen“, wenn ich das Flugzeug nutze. Und doch wird gerade einmal rund 1% der Flüge kompensiert. Dieser Ablasshandel kommt kaum in Schwung und selbst wenn, wird sich unser Verhalten nicht ändern, solange es nur so wenig weh tut. Leider muss man konstatieren, dass der Markt auch hier versagt. Die Politik sollte im Umweltdossier das Zuckerbrot des erhobenen Zeigefingers durch die Peitsche ersetzen. Das gefährdet dann aber die Wiederwahl. So einfach ist (Umwelt)Politik, von wegen komplexe Materie.

Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen

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