Schweizer Bundesrat: Krise schaffen ohne Waffen

Aussenminister Ignazio Cassis ist in seinem Amt problemlos bestätigt worden.

Mitten im Krieg Russlands gegen die Ukraine schafft es der Schweizer Bundesrat durch Zögern und eine katastrophale Kommunikationsleistung das internationale Scheinwerferlicht ein wenig auf sich zu lenken. Nicht zu seinem und dem Vorteil des Landes.

Von Helmuth Fuchs

Die Neutralität der Schweiz ist ein wichtiges Gut, das ihr erlaubt, in Krisenzeiten ihre Dienste als Vermittlerin anzubieten. Das hat sich auch in der jüngsten Zeit immer wieder bewährt, indem sich zerstrittene Parteien in der Schweiz zu Gesprächen treffen oder die Schweiz zum Beispiel seit 2008 ein Schutzmandat für Georgien innehat. Die Neutralität, militärisch, politisch oder wirtschaftlich, entbindet jedoch nicht davon, offensichtliche Verbrechen zu benennen und auch zu ahnden.

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine erfordert als Erstreaktion keine lang überlegte, fein ausgewogene, alle Interessen berücksichtigende, strategisch wasserdichte Antwort. Ein einfaches, klares «Njet» genügt. Diese kam von der EU, den Amerikanern und der NATO umgehend, bekräftigt durch ein Paket von Sanktionen in den Bereichen Energie, Finanzen, Transport, Exportkontrollen und Visabeschränkungen.

Den Anfang hat der Bundesrat noch gut hinbekommen mit einer Verurteilung der kriegerischen Aktion Russlands, ohne wenn und aber oder irgendwelchen Erklärungsversuchen, weshalb Putin so handelt, wie er es tut.

Dann scheitert er aber bei der Balance, beim Versuch, die Rolle der Schweiz als neutrale Mediatorin in internationalen Krisen und Konflikten auch für die Zukunft abzusichern.

Nicht mitmachen geht nur, solange man einen gleichwertigen alternativen Plan hat

Es ist zwar richtig, nicht sofort einfach alle Massnahmen zum Beispiel der EU, USA oder eines Bündnisses wie der Nato zu übernehmen (ausser im Fall der EU besteht dafür auch keine rechtliche Grundlage), sondern diese zuerst einmal zu diskutieren und dann auf die besondere Rolle der Schweiz zu adaptieren. Das funktioniert aber nur, wenn die Schweiz dabei umgehend eine einfach verständliche, mindest ebenso wirksame Alternative bieten kann.

Dabei, und jetzt kommt die wahrscheinlich gefährlichste Klippe, darf es nicht so sein, dass der (berechtigte oder unberechtigte) Anschein erweckt wird, dass die Schweiz opportunistische Rosinenpickerei zum eigenen Vorteil betreibt. Wenn die Sanktionen nicht vollständig mitgetragen werden und dabei der Eindruck entsteht, die Schweiz wolle nur ihren Bankenplatz und den lukrativen Rohstoffhandel schützen, ist die Glaubwürdigkeit als Vermittlerin genau so dahin, wie wenn sie sich diksussionslos der EU anschliessen würde.

In einer denkwürdigen, weil grottenschlecht durchgeführten Medienkonferenz, verliest Bundespräsident Ignazio Cassis am 24.02.2022 ein gut siebenminütiges Statement und verlässt danach sofort den Saal, um an einer OSZE-Krisensitzung teilzunehmen. Zurück bleiben ein Raum voll konsternierter Journalisten und einige ziemlich überforderte Expertinnen und Experten des Bundes um den Botschafter Erwin Bollinger.

Botschafter Bollinger erläutert, dass die Schweiz keine eigenen Sanktionen anordnet, sondern lediglich diejenigen der EU nachvollzieht.

Dies alles basiert auf der Verordnung, welche aufgrund der Annexion der Krim durch Russland im 2014 erlassen wurde. Beim Nachvollzug kann es einen gewissen Spielraum geben, indem zum Beispiel statt eines Verbotes eine Bewilligungspflicht eingeführt wird, oder statt einer Bewilligungspflicht eine Meldepflicht. Im Namen der Neutralität können aber auch weitergehende Massnahmen getroffen werden, wie zum Beispiel ein Lieferverbot von Rüstungsmaterial an alle involvierten Parteien.

Technisch lag der Bundesrat also noch richtig: Die Verhinderung von Umgehungsmassnahmen, die «grundsätzliche» Übernahme der Liste der EU gegen 336 Personen und der gelisteten Banken, die Übernahme des Handelsverbotes mit den beiden «unabhängigen Republiken», alles im grünen Bereich der von der EU gewünschten Unterstützung durch Partner und Nachbarländer in Europa. Weitere Massnahmen der EU, welche einer Verschärfung der existierenden Verordnung gleichkommen, muss der Bundesrat jedoch, nachdem die genauen Verordnungen und Beschlüsse der EU vorliegen, zuerst verabschieden, da dies nicht in der Kompetenz der Ämter liegt. Verständlich und als Basis für eine kurze Verzögerung vermittelbar.

Unverständnis und Kritik erntet der Bundesrat bei der Entscheidung, die Gelder von Duma-Mitgliedern und Putin-nahen Personen nicht wie die EU und die Amerikaner einzufrieren, sondern nur Neuanlagen zu verhindern. Das ermöglicht den Personen auf der Liste weiterhin den Abzug der Gelder von bestehenden Konten in der Schweiz. Die ellenlangen Ausführungen, dass die schweizerischen Massnahmen fast gleich seien in der Wirkung wie diejenigen der EU, werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten und sind zudem faktisch falsch. Die Schweiz ist der weltweite grösste Handelsplatz für Rohstoffe und der weltweit grösste Finanzplatz für russische Vermögen. Daraus erwachsen besondere Verpflichtungen und Risiken im Kontext des Krieges Russlands gegen die Ukraine, denen der Bundesrat nicht gerecht geworden ist.

Kommunikation als Negativbeispiel für die Lehrbücher

Einmal mehr hat der Bundesrat in der Kommunikation katastrophal versagt. Die Pressekonferenz mit dem sofortigen Abgang von Bundespräsident Ignazio Cassis, ohne irgendwelche Fragen zu beantworten, die Abwesenheit des eigentlich zuständigen Bundesrates Guy Parmelin und die zurückgelassenen «Experten und Expertinnen» um den Botschafter Erwin Bollinger boten auf der Bühne mit internationaler Beobachtung eine jämmerliche Darbietung einer heillos überforderten Laienschauspiel-Truppe. Da fragt man sich schon, was eigentlich ganze Departements und Heerscharen von Kommunikationsspezialisten und Berater in der Vorbereitung auf Krisen und deren Kommunikation so den lieben langen Tag tun.

Die Neutralität, welche der Schweiz eine Rolle als Mediatorin und Vermittlerin ermöglicht (z.B. Schutzmacht-Mandat für Georgien), ist vor allem eine militärische Neutralität, deren Auswirkungen im politischen und wirtschaftlichen Belangen jeweils sorgfältig geprüft werden muss, damit eben nicht der Eindruck von egoistischem Opportunismus entsteht, was sämtliche Bemühungen als neutrale Vermittlerin in Frage stellt.

Mit dem Hinweis darauf, dass die endgültigen Texte zu den Sanktionen der EU, inklusive der Erweiterung zur Einfrierung der Vermögen von Präsident Wladimir Putin und Aussenminister Sergei Lawrow, noch nicht alle verabschiedet sind, hat der Bundesrat noch eine letzte Möglichkeit, die Sanktionen in Eigenregie zu verschärfen (zum Beispiel Einfrierung der Vermögen und Aussetzung des Rohstoffhandels bis zur Einstellung von Kriegshandlungen). Dies ist aber ein ganz enges Zeitfenster, da in der Zwischenzeit im Krieg Russlands gegen die Ukraine Menschen ihr Leben verlieren im Kampf um ihre Freiheit und Unabhängigkeit.


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