Nun also auch noch Chlorhühner. Nichts scheint zu abwegig, um es Trump in der Hoffnung auf einen besseren Zolldeal anzubieten. Der Bundesrat erwägt, amerikanische Chlorhühner in der Schweiz zuzulassen als Verhandlungsmasse im Streit um die 39% Zoll, also Hühner, die nach der Schlachtung in ein Chlorbad getaucht werden, um Salmonellen abzutöten. Diese Praxis ist in der Schweiz bis anhin verboten und der Widerstand und Aufschrei war gross – aus der Bevölkerung wie von Seiten Detailhandel. Auch der Präsident des Schweizer Geflügelverbandes, Adrian Waldvogel, hält eine Zulassung der umstrittenen Chlorhühner für inakzeptabel und ein Sprecher der Migros sagt, der Fokus liege auf Importen aus Ländern, die «den hohen Qualitäts- und Tierschutzstandards der Migros entsprechen». Markus Ritter, Präsident des Schweizer Bauernverbandes hingegen zweifelt an, ob Schweizerinnen und Schweizer chlorbehandeltes Poulet überhaupt nachfragen würden, gemäss ihm gebe es dafür keinen Markt.
Ich wünschte mir den Optimismus von Herrn Ritter, denn die Erfahrung zeigt: Was günstig angeboten wird, wird auch gekauft. Die wenigsten Menschen beachten Packungshinweise zu Herkunft und Produktion – wie sonst ist es zu erklären, dass auch in der Migros mit ihren sogenannt hohen Qualitäts- und Tierschutzstandards Poulet aus Brasilien angeboten wird, das bei Weitem nicht Schweizer Standards bezüglich Tierschutz entspricht, und dass dieses auch gekauft wird?
Würden mehr Menschen wissen, welche Tierhaltung hinter der beliebten Marke “Don Pollo” steckt, würde sie wohl kaum eine so starke Position im Markt haben – zumindest wäre das im Sinne des Glaubens an das Gute im Menschen zu wünschen. Chlorhühner wären vermutlich einfach ein weiteres Produkt, das zu Dumpingpreisen mit kleinen Packungshinweisen auf die Chlorbehandlung im Detailhandel erhältlich wäre und oft unwissentlich auch gekauft würde. Und selbst wenn die hiesigen Grossverteiler darauf verzichten würden – in Gastronomie und Fast Food – Ketten würde es aufgrund des Preises vermutlich zum Einsatz kommen und dort auch seinen Absatz finden, da bei der Konsumation ausser Haus kaum auf Herkunft und Deklaration der Tierprodukte geachtet wird. Es bleibt also nur zu hoffen, dass der Widerstand aus Bevölkerung und Landwirtschaft anhält und den Bundesrat noch einmal innehalten lässt in seiner zunehmend erratischen, leicht verzweifelt anmutenden Art, alle möglichen Zugeständnisse an Trump in Betracht zu ziehen. Denn einmal importiert, wird es auch abgesetzt, dessen bin ich mir sicher.
Interessant an der ganzen Debatte finde ich allerdings die Heftigkeit der Reaktionen aus der Bevölkerung, die sich über die Chlorhühner empören und jene der Detailhändler, die die Gelegenheit nutzen, ihre hohen Standards noch einmal hervorzuheben. Klar, die Behandlung mit Chlor ist unschön und in der Schweiz verboten, aber gerade was die Standards in der Mastpoulethaltung anbetrifft, hätten Migros und Coop allen Grund, leiser zu treten. So zeigen Videoaufnahmen vom Sommer 2025 aus einem Mastbetrieb von Micarna in Waadt Hühner, die hinken oder sich nur mühsam fortbewegen können, andere mit entzündeter Haut oder mit Beinen, die unter dem Gewicht eingeknickt sind. Die Tiere gehören zur Masthühnerrasse Ross 308, eine speziell gezüchtete Rasse, die besonders schnell gemästet werden kann. So erreichen die Küken, die bei der Geburt etwa 40 Gramm wiegen, in 35 Tagen etwa zwei Kilo, also das 50-fache ihres ursprünglichen Gewichts. Dann sind sie schlachtreif. Ross 308 gehört zu den weltweit am meisten eingesetzten Rassen und wird von der Industrie bevorzugt, um in Rekordzeit möglichst viel Fleisch zu produzieren.
Schweizer Fleisch schreibt über die Rasse auf ihrer Website Folgendes: Pouletfleisch stammt heute meist von spezialisierten Mastrassen, die schnell wachsen und an den richtigen Stellen Fleisch ansetzen. Ross 308 ist eine davon. Hühner und Hähne der Rasse Ross 308 haben alles, was ein modernes Mastpoulet braucht: weisse Haut, weisse Beine, sie sind robust und schnellwüchsig. Ross 308 ist die weltweit am meisten eingesetzte Rasse für die Produktion von Pouletfleisch. Bei richtiger Fütterung verfünfzigfachen diese Tiere innerhalb von ca. 37 Tagen ihr Gewicht. Am Schluss machen Brust und Schenkel rund 46 % des geschlachteten Tieres aus. Die Rasse wird für ihre produktionseffizienten Merkmale ausgelobt, was in Anbetracht der damit einhergehenden Qualen für die Hühner geradezu zynisch anmutet. Das Huhn als Produktionsmittel, aus dem in kürzester Zeit möglichst viel herausgepresst werden soll, scheint hier common sense zu sein; eine Tatsache, die mich leicht konsterniert zurücklässt. Dabei ist die qualvolle Schattenseite dieser Rasse international bekannt und anerkannt: Immer mehr Unternehmen, darunter Burger King und LDC, der führende europäische Hühnerproduzent, verzichten auf die schnell wachsende Rasse. Wird dies auch in der Migros bald der Fall sein? «Wenn man von uns verlangt, etwas anderes zu produzieren, werden wir das tun. Es ist eher der Markt, der diktiert», antwortet Jacques Clément, Mitglied der Geschäftsleitung des Schweizerischen Geflügelproduzentenverbands (SGP).
Nun denn, es scheint an der Zeit zu sein, auch in Bezug auf Qualzuchten und nicht nur bezüglich Chlorbehandlungen ein klares Veto aus der Bevölkerung einzulegen. Es gilt nun, das Momentum zu nutzen und auch einen Blick auf die hiesige Hühnerhaltung zu werfen: Qualzuchten wie Ross 308 gibt es auch hier und wenn sich die Tiere aufgrund der schnellen Gewichtszunahme kaum bewegen können, hilft ihnen der Stall nach den Richtlinien “besonders tierfreundlicher Stallhaltung” auch nicht weiter. Selbstverständlich wollen wir keine Chlorhühner. Aber wir wollen auch keine Qualhühner, sondern genau das, was Migros verspricht: hohe Qualitäts- und Tierschutzstandards, im Inland und beim Import.
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