Bern – Die Personenfreizügigkeit mit der EU bewährt sich aus Sicht des Staatssekretariats für Wirtschaft. Inländische Arbeitskräfte werden laut einem Bericht nicht verdrängt, vielmehr wird das Angebot an Arbeitskräften ergänzt. Für die Sozialwerke ergibt sich demnach insgesamt keine Mehrbelastung.
Vertreter des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) und der Sozialpartner stellten am Dienstag die Ergebnisse des jährlichen Berichts zu den Auswirkungen der Personenfreizügigkeit auf Arbeitsmarkt und Sozialwerke vor. Staatssekretärin Helene Budliger Artieda nahm anders als ursprünglich angekündigt nicht an der Medienkonferenz teil.
Insgesamt handelte es sich um den 21. derartigen Bericht. EU-Bürger kämen in erster Linie in die Schweiz, um zu arbeiten, lautet dessen Fazit. Angesichts der demografischen Alterung solle der Arbeitsmarkt auch in Zukunft offen und integrativ bleiben, argumentierte das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) in der zugehörigen Medienmitteilung.
Die Nettozuwanderung aus Europa in die ständige Schweizer Wohnbevölkerung betrug letztes Jahr 53’700 Personen, rund 10’000 weniger als 2023.
Ergänzung, nicht Ersatz
Die starke Zuwanderung in den Arbeitsmarkt in den letzten Jahren ging dem Jahresbericht zufolge für die Schweizer Erwerbsbevölkerung mit einer dauerhaft niedrigen Arbeitslosenquote und einer höheren Erwerbsquote einher.
Die Zuwanderung aus der EU ergänze also die einheimische Erwerbsbevölkerung und ersetze sie nicht, so das Seco. Die Zuwanderung helfe auch, die demografische Alterung zu bremsen.
Die Zuwanderung entwickle sich zum grossen Teil parallel zur Entwicklung der Wirtschaft, betonte Jérôme Cosandey, Leiter der Direktion für Arbeit im Seco: «Die Leute kommen in die Schweiz, um einem Job nachzugehen.»
Cosandey legte dar, die Erwerbsquote von Frauen sei bei der einheimischen Bevölkerung seit 2010 stark gestiegen. Bei den Männern sei sie konstant hoch geblieben, und bei älteren Arbeitnehmenden habe es ebenfalls einen Anstieg gegeben.
Schweizer Unternehmen rekrutierten auch in der EU, um Arbeitskräfte im Gastgewerbe, im Baugewerbe und in der Industrie zu finden, unterstrichen die Autorinnen und Autoren des Jahresberichts. In diesen Branchen reichten die einheimischen Arbeitskräfte nicht mehr aus. Die Schweizer Wirtschaft brauche diese Mitarbeitenden, hob Cosandey hervor.
«Die ausländischen Arbeitskräfte bringen genau das mit, was wirklich gebraucht wird», sagte Roland Müller, der Direktor des Schweizerischen Arbeitgeberverbands. Die Zuwanderung trage entscheidend dazu bei, dass der Alltag in der Schweiz funktioniere. Sie schaffe Wohlstand.
Die Austritte aus dem Arbeitsmarkt seien aber zu zahlreich, um allein durch Migration kompensiert zu werden, so Müller. «Weniger Arbeitskräfte bedeuten weniger Produktion und damit weniger Wohlstand.» Langfristig werde man um eine Erhöhung des Rentenalters nicht herumkommen.
Thema bei neuen EU-Verträgen
Generell erzielen Bürgerinnen und Bürger von Mitgliedstaaten der EU und der Efta gemäss dem Seco bei ähnlichen Merkmalen im Durchschnitt ähnliche Löhne wie Schweizerinnen und Schweizer. Ein höheres Risiko für tiefere Löhne bei Grenzgängern besteht allerdings im Tessin. Auch im Jurabogen sehe man teils markante Unterschiede, während in Genf, der Nordwestschweiz und in der Ostschweiz kaum eine Differenz erkennbar sei, führte Cosandey aus.
Das bestehende Abkommen über die Personenfreizügigkeit wird im Rahmen der Verhandlungen mit der EU angepasst. Der Bundesrat und die Sozialpartner haben sich auf Massnahmen geeinigt, um das Schweizer Lohnniveau zu schützen.
Unternehmen seien auf Planungssicherheit angewiesen, sagte dazu Müller. Die bilateralen Verträge mit der EU seien dabei zentral.
Das Niveau der Diskussion über die Personenfreizügigkeit sei bedenklich, kritisierte Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB). Es werde Kritik geübt, ohne dass eine Alternative aufgezeigt werde.
Die Personenfreizügigkeit mit wirksamem Lohnschutz bewähre sich besser als Kontingentsysteme, unterstrich Lampart. Er verwies darauf, dass Kontingente in der Vergangenheit zu unwürdigen Arbeitsbedingungen und Integrationsproblemen geführt hätten.
Die Gleichung «Personenfreizügigkeit gleich hohe Immigration» sei «kreuzfalsch», so Lampart. Er forderte, die konkreten Probleme der Menschen zu lösen, insbesondere bei der Lohnentwicklung und mit einer Stärkung der Berufslehre. Skeptisch zeigte sich der SGB-Chefökonom, ob die vom Bundesrat mit Brüssel ausgehandelte Schutzklausel etwas bringt.
Die AHV profitiert
In Bezug auf die finanzielle Situation der Sozialwerke habe die Personenfreizügigkeit je nach Versicherung unterschiedliche Auswirkungen, schrieb das Seco.
Demnach zahlen Zugewanderte aus der EU und den Efta-Staaten anteilsmässig deutlich mehr an Beiträgen in die AHV ein, als sie an Leistungen beziehen.
Umgekehrt verhalte es sich bei der Arbeitslosenversicherung, hiess es. Grund ist laut dem Seco, dass viele Zugewanderte in Branchen arbeiteten, in denen die Beschäftigungsstabilität gering ist. Dies betrifft etwa Bereiche, in denen Saisonstellen üblich sind. (awp/mc/ps)