Meta, Tiktok, X – als harmlose Kommunikationsplattformen gestartet, sind sie mittlerweile Massenmedien, die den öffentlichen Diskurs prägen, als Gatekeeper für Informationen fungieren und massgeblich mitbestimmen, wessen Stimme gehört wird und wie laut sie zu vernehmen ist. Möglich machen dies die Empfehlungssysteme, also die Algorithmen, die definieren, welche Inhalte wem angezeigt werden, wie oft das geschieht und was potenziell viral geht.
Ganz simpel ausgedrückt lässt sich feststellen, dass Inhalte, die zu mehr Interaktion führen – also mehr Klicks und Kommentare generieren – vermehrt angezeigt werden. Dies führt dazu, dass polarisierende und emotionale Reaktionen evozierende Inhalte vermehrt gepusht werden und die öffentliche Debatte in einen stärker polarisierten Kampf der extremen Meinungen um Aufmerksamkeit abdriftet. Doch nicht nur die Anzahl Klicks und Interaktionen bestimmen, was angezeigt wird – die Empfehlungssysteme agieren je nach Techgigant dahinter weitaus perfider. So wurden beispielsweise auf X vor den Bundestagswahlen in Deutschland AFD-Posts messbar stärker gepusht, während auf TikTok generell Inhalte von dickeren Personen oder POC’s unterdrückt werden, also nicht angezeigt werden, ohne dass die postende Person dies registriert.
Diese krassen Eingriffe in die öffentliche Debatte und die willkürliche Moderationsfunktion in den Händen weniger globaler Player widersprechen jeglichen journalistischen Qualitätsnormen und stellen eine echte Bedrohung für die Demokratie dar, deren Fundament die Partizipation aller Menschen am öffentlichen Diskurs darstellt. Heute beziehen rund die Hälfte aller Schweizerinnen und Schweizer ihre Informationen ausschliesslich aus digitalen Kanälen, was die Machtposition und die Gefahr des Einflusses der grossen Plattformen noch einmal verdeutlicht.
Diesem Problem scheint sich nun nach langen Verzögerungen auch der Bundesrat annehmen zu wollen, indem er seinen Entwurf zur Regulierung der grossen Plattformen präsentiert hat. Angekündigt auf März 2024, wurde der Druck aus Gesellschaft und Politik nun zunehmend grösser und hat offenbar endlich zum Handeln geführt – und einmal mehr hinkt die Schweiz der EU weit hinterher. Vor zwei Jahren traten dort nämlich mit dem «Digital Markets Act» und dem «Digital Services Act» weitreichende neue Regularien für die Informations- und Digitalbranche in Kraft. Konkret schafft der Digital Services Act ein sicheres digitales Umfeld durch klare Regeln zur Bekämpfung rechtswidriger Inhalte, Transparenzpflichten für Plattformen und stärkere Durchsetzungsmechanismen. Der Digital Markets Act hingegen sorgt für die Förderung des Wettbewerbs durch spezifische Vorgaben für marktmächtige Plattformen («Gatekeeper»), um Monopolisierungstendenzen einzudämmen, was insbesondere für die erwähnten Techgiganten von grosser Bedeutung ist.
Zwei Jahre nach diesen Gesetzen – die notabene von Menschen wie Friedrich Merz, der nun nicht unter Verdacht steht, pointiert links zu politisieren, an vorderster Front vorangetrieben wurden, präsentiert nun also auch der Bundesrat seine Variante, die leider wichtige Bereiche aus der Regulierung ausschliesst und dem Digital Services Act nicht gerecht wird. Dies obwohl die Bürgerlichen in Europa sogar noch weiter gehen möchten. So hat Emmanuel Macron Ende Oktober diesen Jahres zu einer “viel kraftvolleren Regulierung der sozialen Netzwerke” aufgerufen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich einmal Manuel Macron zitieren werde, aber hier lohnt es sich: Heute sind “die größten Käufer von Fake-Accounts die Russen (…) um die europäischen Demokratien zu destabilisieren”, meinte er.
Laut ihm werden die Plattformen “von einem Prozess angetrieben, der darauf abzielt, maximale Aufregung zu erzeugen, die den maximalen Verkehr erzeugt, um ihre Werbeseiten zu maximieren, und somit wird die gesamte Verdienstrangordnung, die unsere Demokratien begründete, ein Verhältnis zur Argumentation, zur Wahrheit, völlig auf den Kopf gestellt”.
Es scheint, als hätten die europäischen Bürgerlichen begriffen, was unsere hiesigen Konservativen nicht wahrhaben wollen, schliesslich stemmen sich in erster Linie SVP und FDP gegen die stärkere Regulierung der Plattformen. So ist es auch wenig überraschend, dass der Entwurf aus der Feder von Albert Rösti nicht eben schlecht, aber verglichen mit dem Digital Services Act auch kein grosser Wurf ist. Positiv zu bewerten ist, dass Nutzende Hassrede auf Plattformen einfacher melden können und die Plattformen in die Pflicht genommen werden, darauf zu reagieren. Wenn beispielsweise eine Nutzerin auf Instagram gesperrt wird, muss Meta dies transparent begründen. Ausserdem muss Werbung als solche deklariert werden, es muss jedoch nicht offengelegt werden, wer hinter einer Werbeanzeige steht. Zu guter Letzt müssen grosse Social-Media-Plattformen und über eine Rechtsvertretung in der Schweiz verfügen und, der in meinen Augen wichtigste Punkt, sie müssen ihre Empfehlungssysteme und Algorithmen offenlegen, also transparent machen, wie sie funktionieren. Eine ganz zentrale Schwäche der Vorlage besteht jedoch in der Exkludierung des ganzen Bereichs der generativen KI und Chatbots, Bild- oder Videogeneratoren wie ChatGPT und co.: Diese haben schon heute einen grossen Einfluss auf die Art und Weise, wie wir Zugang zu Informationen erhalten und unsere Meinung bilden. Sie werden von Menschen genutzt, um sich – auch in sensitiven Situationen – beraten zu lassen. Wenn diese vom Gesetz nicht erfasst sind, droht ein Schutzvakuum, das wohl in Zukunft nicht kleiner, sondern grösser wird, wie auch Algorithm Watch richtigerweise bemängelt. Wenn sogar ein Emmanuel Macron die Gefahr von Fake Accounts für unsere Demokratie, auf die wir so stolz sind, erkennt und griffigere Massnahmen fordert, wäre es zu wünschen, dass auch unsere Bürgerlichen sich den europäischen Kollegen anschliessen und zumindest in der Regulierung nicht hinter dem Digital Services Act zurückbleiben, wie es aktuell der Fall ist. Positiv stimmt auf jeden Fall, dass der öffentliche und politische Druck Wirkung gezeigt hat und uns motivieren muss, weiter dranzubleiben und uns für eine tatsächlich lückenlose Regulierung einzusetzen.
https://cms.news.admin.ch/dam/de/der-schweizerische-bundesrat/JHS1l1GdjmSX/Vorentwurf_DE.pdf
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