Tracing-App: Zu Risiken, Verschleppung und Nebenwirkungen fragen Sie Bundesrat und Parlament

Was sich schon beim Thema der digitalen Signatur, jetzt in der Krise im Bundesamt für Gesundheit (BAG) und der ungenügenden Datenaufbereitung abzeichnete, wird durch das Vorgehen des Bundesrates beim Thema «Swiss PT-App» (Swiss Proximity Tracing App) bestärkt: Statt eine Vorreiterrolle zum Thema digitale Innovation einzunehmen und die Schweiz im internationalen Wettbewerb um Zukunftskompetenzen zu stärken, verspielen Bundesrat und Parlament eine gute Ausgangslage mit unnötigen mehrfachen Testläufen, vorgeschobenen fehlenden Rechtsgrundlagen und politischem Geplänkel.

Von Helmuth Fuchs

Selbstverständlich muss die App, welche von einem möglichst grossen Teil der Bevölkerung eingesetzt werden soll, maximale Anforderungen bezüglich Sicherheit und Privatsphäre erfüllen. Und sie muss eingebettet sein in einen umfassenden Plan des Bundes zur Bekämpfung der Epidemie und zur Rückkehr in einen neuen Normalzustand.

Freiwillig, transparent, anonym und sicher
Das Projekt DP3T (Decentralized Privacy-Preserving Proximity Tracing), die dezentrale Schweizer Alternative zum zentralen Projekt PEPP-PT, hat eigentlich alles richtig gemacht. In einer Kooperation von EPFL, ETH, dem Bundesamt für Informatik und der Firma Ubique wurde auf Basis des Open Source Projektes eine transparente, sicherere, dezentrale und anonyme Lösung erstellt. Über Bluetooth, ohne dass irgendwo zentral Daten gespeichert werden, wird auf dem eigenen Telefon anonym und verschlüsselt eine künstliche ID eines anderen Smartphones gespeichert, wenn man sich länger als 15 Minuten und weniger als 2 Meter in dessen Nähe aufhält.

Sogar Apple und Google liessen sich von der Schweizer Lösung inspirieren und sind daran, eine Schnittstelle (API) zu entwickeln, die Lösungen für beide Plattformen einfach ermöglicht (Google API, Apple API). Sobald die beiden APIs offiziell verfügbar sind, wird die Swiss PT-App diese integrieren, sie sind aber nicht Voraussetzung für die Schweizer Lösung.

Gleichzeitigkeit der Lockerungsmassnahmen und der Tracing-App
Noch vor Kurzem galt das vom BAG bestätigte Ziel, gleichzeitig mit den Lockerungsmassnahmen vom 11. Mai auch die Tracing-App zu lancieren. Das wäre überaus sinnvoll gewesen, um möglichst zeitnah bei neuen Fällen deren Kontakte warnen und so eine weitere Ausbreitung eindämmen zu können. Der anfängliche Schwung des Bundesrates wurde jedoch in der Mai-Session gestoppt, mit einer Motion, welche zuerst eine gesetzliche Grundlage verlangt.

«Es ist dringend und wichtig, der Gesellschaft die Proximity-Tracing-App so bald als möglich zur Verfügung zu stellen, um die schrittweise Lockerung des Lockdowns zu unterstützen.» Stellungnahme Bundesrat vom 01.05.2020 zur Motion der beiden Räte

Scheinheiligkeit des Parlaments
Die Scheinheiligkeit besteht darin, dass die Motion etwas fordert, das die Lösung inhärent schon umgesetzt hat: Keine zentrale Speicherung von personenbezogenen Daten und die Freiwilligkeit der Anwendung.

Zudem wird eine gesetzliche Grundlage gefordert, da es sich um einen potenziellen Eingriff in die Grundrechte handle. Den beiden Räten scheint entgangen zu sein, dass der Bundesrat, nachdem die Räte sich nicht schnell genug in die Verantwortungslosigkeit retten konnten, seit Wochen schon mit Notrecht und massiven Beschneidungen der Grundrechte regiert. Im Vergleich dazu ist ein freiwilliger Einsatz einer App mit anonymen, nicht zentral gespeicherten Daten, um für einmal ins Neudeutsche zu verfallen, Peanuts.

Bevölkerung mehrheitlich positiv gegenüber einer App des Bundesrates
Dass der Bundesrat, statt, wie es das Notrecht ermöglichen würde, die App zugleich mit den Lockerungen freizugeben jetzt auf die Bremse tritt, erstaunt, zumal die grundlegenden Bedingungen der Motion erfüllt sind, er selbst von der Notwendigkeit überzeugt ist und gemäss einer Umfrage der ETH Zürich 72 Prozent der Befragten sogar eine weiter gehende Tracking-App mit Standortinformationen installieren würden.

Die verschiedenen Phasen, die jetzt vom BAG und dem Bundesrat definiert wurden, zuerst eine Verordnung zur Pilotphase, dann eine Pilotphase mit begrenzter Teilnehmerzahl, dann eine Vorlage zur Änderung des Epidemiegesetzes, eine Beratung in der Sommersession und zum Schluss eine breite Einführung tönen zwar nach kontrolliertem Vorgehen und dem Traum eines jeden bedächtigen «nur nöd gschprängt»-Beamten, tragen aber weder der Dringlichkeit der Situation noch der bis anhin guten Ausgangslage der Schweiz um eine international einsetzbare Lösung Rechnung. Es erinnert stark an die gemächlichen «Wasserfall»-IT-Projekte der 70-er Jahre, weniger an die agilen Innovationsprozesse, die heute gefordert sind.

Auffallend ist in der Kommunikation und der Planung des Bundesrates zur Einführung der App der fast gänzlich fehlende Bezug zum Thema Testen. Bei der Einführung der App müsste bei einem Alarm auch zugleich eine einfache Möglichkeit zum sofortigen Test gegeben sein.

Gesundheit der Bevölkerung vor politischen Machtspielen
Mit dem jetzt vorgelegten Zeitplan dürfte es Juli werden, bis die App in der Bevölkerung breit eingesetzt werden kann. Damit geht wertvolle Zeit verloren, in welcher sich der Teil der Bevölkerung, der das möchte, informierter verhalten und besser schützen könnte. Die Gesundheit der Bevölkerung, welche der Bundesrat bis anhin als oberste Maxime seines Handelns anführte, scheint plötzlich gesetzlichen und politischen Bedenken des Parlaments untergeordnet zu werden.

Das könnte man jetzt als Schritt zurück in die politische Normalität werten, dann sollte der Bundesrat aber auch konsequenterweise diesem Schritt umgehend den nächsten folgen lassen und die «ausserordentliche» Lage beenden, statt sein Notrecht-Regime bis in den September aufrecht zu halten. Für das Verschleppen von Entscheiden genügt auch ein parlamentarischer Normalbetrieb.

Eine App wie jede andere
Die Alternative wäre, diese App, wie das mit allen anderen Apps auch geschieht, als erste Version denjenigen frei zu Verfügung zu stellen, die sie einsetzen möchten. Einen ersten Testlauf gab es schon mit Militärangehörigen, ganz erfahrungslos ist man also hier nicht. Die «Early Adopter» kann man dazu nutzen, die App zu verbessern, erste Erfahrungen damit zu gewinnen, welchen Einfluss auf das Verhalten und die Eingrenzung weiterer Ansteckungen sich durch die Nutzung der App ergeben. Die Österreicher sind vor bald einem Monat mit ihrer Tracing-App gestartet (entwickelt unter anderem mit Software des Schweizer Startups Uepaa), haben mittlerweile rund 600’000 Nutzer und überlegen sich, sobald die Schweizer App vorhanden ist, eventuell diese als verbesserte Grundlage zu nehmen. Man muss also nicht alles von Beginn weg perfekt hinbekommen, sondern kann die Lösung Schritt für Schritt entwickeln und anpassen.

Der Bundesrat hat sich hier erst einmal verstolpert, hoffentlich fasst er wieder Tritt und beschleunigt die Einführung. Schnelles Handeln ist für einmal wichtiger als allen recht getan.



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