Coronavirus: Mit dem Datensalat aus dem BAG – wie zeigt sich die gesundheitliche Notlage?

Coronavirus: Mit dem Datensalat aus dem BAG – wie zeigt sich die gesundheitliche Notlage?

Von Helmuth Fuchs

Das Positive vorneweg: Das BAG informiert sehr offen und regelmässig und auf sympathisch unaufgeregte Art (Daniel Koch). Leider ist die Datenbasis, welche der Öffentlichkeit zu Verfügung gestellt wird, beschämend dürftig und eigentlich beinahe unbrauchbar. Da dies die wichtigste Grundlage für die Aufrechterhaltung des “ausserordentlichen Lage” mit Alleinentscheidungsrecht des Bundesrates ist, muss die Frage nach der Verhältnismässigkeit der Massnahmen gestellt werden. In einem ersten Teil wird die Lage für das Gesundheitssystems beleuchtet. In einem zweiten Teil wird dann auf die wirtschaftliche Sicht eingegangen.

Bis anhin kann der Bundesrat auf grosse Unterstützung aus der Bevölkerung zählen. Die Massnahmen wurden schrittweise und meist mit Augenmass eingeführt, obschon einige Medien seit Beginn in teilweise hyperventilierendem Modus ihre News-Ticker in einem noch kaum je erlebten Stakkato rattern liessen, sich in Horrorszenarien für die Schweiz überboten und der politische Druck von Regierungen, welche weitergehende Massnahmen als in der Schweiz ergriffen, auch für den Bundesrat spürbar war.

Von Beginn weg war jedoch die Datenbasis für solch einschneidende Massnahmen mehr als nur brüchig. Die Zahlen aus China musste man, erwartungsgemäss, vorwiegend als Propagandamaterial verstehen, es gab und gibt keine internationalen Standards, nach denen ein Monitoring relevanter Kennzahlen möglich wäre. 

Status im Gesundheitssystem

  • Getestete Personen (nur nach Abklärung durch einen Arzt zum Test überwiesen): 140’000 (1.6% der Bevölkerung).
  • Positiv getestete Coronavirus-Fälle: 18’300 (13% der Getesteten, 0.21% der Bevölkerung).
  • Patienten hospitalisiert: 2’212 Personen (12% der positiv getesteten Coronavirus Fälle, 1,4% der getesteten Personen)
  • Patienten in Intensivbehandlung: 375 (17 Prozent der hospitalisierten Patienten)
  • Patienten an Beatmungsgeräten: 242 (1.3% der der positiv getesteten Coronavirus-Fälle)
  • Todesfälle: 515 (2.8% der positiv getesteten Coronavirus-Fälle, 0.2% der getesteten Personen, 0.006% der Bevölkerung).
  • Altersmedian der Todesfälle: 82.5 Jahre.
  • Genesene Personen: 4’013 (22% der positiv getesteten Personen)

(Quellen: BAG, Statistisches Amt Kt. Zürich, Rob Salzer, Corona-data.ch, Worldometers)

DAS BAG liefert leider nur sehr wenige Daten und keine übersichtliche Zeitreihen. Es gibt zum Beispiel keine Angaben zu Genesenen, keine Angaben zu den hospitalisierten Personen, Personen in der Intensivpflege, verfügbaren Beatmungsplätzen, Prognosen für alle Kenngrössen etc. Zudem sind Ländervergleiche völlig unmöglich anzustellen, solange die Verfahren, die Anzahl Tests pro Bevölkerung oder die Testsamples nicht wenigsten in Ansätzen vergleichbar sind.

Die Entwicklung im Gesundheitssystem, Ausblick
In den letzten Tagen hat sich gezeigt, dass die Massnahmen Wirkung zeigen und der Anstieg der Fallzahlen nicht mehr so steil ist wie zu Beginn. Die Zeit für eine Verdoppelung der Fallzahlen liegt aktuell bei ca. 11 Tagen. Die untenstehende Grafik zeigt, dass die tägliche Zunahme an Fällen trotz mehr Tests stabil ist und in der Tendenz leicht abnimmt. Das heisst, das wir zwar in der Summe weiterhin mehr Fälle und mehr Tote haben werden, aber der Weg in Richtung Umkehr stimmt («flatten the curve»).

Grafik von https://www.corona-data.ch/

Wie der Bundesrat und das BAG immer wieder betonen, dienen alle Massnahmen dazu, das Gesundheitssystem und dort vor allem die Intensivpflegeplätze mit künstlicher Beatmung nicht zu überlasten. Mangels konkreter Daten ist die Annahme, dass wir ca. 1’500 Beatmungsplätze in der Intensivpflege haben. Aktuell sind davon 242 belegt (am 28. März waren 280 belegt). Auch eine Zunahme an schweren Fällen mit Bedarf an Beatmungsplätzen sollte mit den vorhandenen Ressourcen gut zu bewältigen sein. Die Schweiz hat zwischenzeitlich auch einige Patienten aus Frankreich und Italien übernommen, eines der bedeutendsten Unternehmen zur Herstellung von Beatmungsgeräten, Hamilton Medical, produziert in der Schweiz auf Hochtouren und exportiert diese auch jetzt noch weltweit.

Die zeitweise alarmistischen Aussagen zu der dramatischen Situation im Tessin haben sich nicht bewahrheitet, es gab zu keinem Zeitpunkt einen Notstand an Behandlungsplätzen (Aussage Daniel Koch), da in der übrigen Schweiz immer genügend Plätze zu Verfügung standen.

Wie gefährlich ist nun das Coronavirus?
Das Coronavirus in der jetzt aktiven Form, das SARS-CoV-2, ist vor allem deshalb gefährlich, weil bis anhin wenig darüber bekannt ist, in der Bevölkerung noch kein Immunschutz aufgebaut werden konnte und es noch keine Impfung oder Medikamente dagegen gibt. In seinen Symptomen gleicht es der Grippe, verursacht durch Influenza Viren. Gefährlich im Sinne von lebensbedrohend ist es fast ausschliesslich für ältere Personen mit zusätzlich durch andere Krankheiten geschwächtem Immunsystem. Dies verdeutlichen alle Auswertungen der Todesfälle, bei welchen in Italien, Deutschland und der Schweiz das Durchschnittsalter der Verstorbenen bei 80 Jahren oder leicht darüber liegt und praktisch alle Personen an mindestens einer schwereren anderen Krankheit litten. Auf das Argument der überlasteten Gesundheits-Infrastruktur wurde oben schon eingegangen.

Das Virus führt also beim grössten Teil der Bevölkerung zu keinen grösseren gesundheitlichen Belastungen als eine Grippe (welche unabhängig vom Alter bei der gesamte Bevölkerung zu schwereren Verläufen führen kann). Noch nichts gesagt werden kann zu eventuellen bleibenden Beschädigungen des Lungengewebes durch das Virus, da hierzu noch keine Auswertungen vorliegen. Ein grosser Teil der Infizierten scheint jedoch die Krankheit ohne schwerere Symptome zu überstehen.

Führt das Coronavirus zu einem signifikanten Anstieg der Todesfälle?
Das BAG liefert keine genaueren Angaben zu den Todesursachen (diese finden sich teilweise beim Bundesamt für Statistik). Auch aus anderen Ländern ist bekannt, dass nicht unterschieden wird, ob jemand am Virus verstorben ist oder lediglich mit dem Virus einer anderen Krankheit erlag. Da zur Zeit in einigen Spitälern alle Patienten auf das Coronavirus getestet werden, werden positiv getestete Patienten im Todesfall als Opfer des Coronavirus gelistet, auch wenn sie zum Beispiel an einem schweren Herzversagen oder einem Tumor litten. Das heisst, die Zahl der «Coronatoten» dürfte aktuell eher zu hoch angesetzt sein.

Im Kontext der Zahl aller Toten in Europa und in den einzelnen Ländern hat das Coronavirus noch zu keinem signifikanten Anstieg geführt (die Todesfälle liegen in Europa bisher in diesem Jahr eher unter dem Durchschnitt).

Dazu die Situation in der Schweiz mit den Todesfallzahlen des Bundesamtes für Statistik: Für 2020 sieht man hier eine leicht überdurchschnittliche Zahl an Toten in der Altersgruppe der über 65-Jährigen.

Im Vergleich dazu 2017 und 2015, in welchen die Grippewelle jeweils heftiger als üblich ausfiel. Dort zählte man wöchentlich bis rund 200 Tote mehr als heute):

Woran leiden die 87%, welche getestet werden, aber nicht Coronavirus-positiv sind?
Ebenfalls interessant zu wissen wäre, an welcher Krankheit all diejenigen leiden, welche zwar von Ärzten wegen des Verdachts auf das Coronavirus zum Testen geschickt wurden, aber dann negativ waren. Von den 140’000 Getesteten waren das immerhin 121’700 Personen, oder 87%. Eine Vermutung könnte sein, dass die meisten davon an der Grippe (Influenza erkrankt sind). Würde man bei allen Toten auf Influenza-Viren testen, dürfte auch dort ein nicht unbedeutender Teil positiv testen, ohne dass diese jetzt direkt als Influenza-Tote ausgewiesen werden (dies geschieht im BAG über ein Schätzverfahren, bei welchem man die in der Grippezeit über den Durchschnitt hinaus Verstorbene als Opfer der Grippe aufführt, was zum Beispiel im 2015 zu ca. 2’500 Grippetoten führte).

Hier noch die Gesamteuropäische Sicht von euromomo. Vor allem Italien und Spanien nähern sich bezüglich der Anzahl der Toten jener der Grippewelle 2017, für die meisten anderen Ländern sieht man keine aussergewöhnlichen Ausschläge.

Was meinen die Experten?
Wie so oft, sind sich auch die Experten nicht einig, wie gefährlich das Virus ist. Einig sind sich alle bezüglich der wichtigsten Massnahmen:

  • Distanz halten zu anderen Personen
  • Sich nicht in Gruppen aufhalten
  • Hände waschen
  • Niesen oder Husten in Armbeuge oder ein Taschentuch

Bei allen weiteren Massnahmen (wer soll zu Hause bleiben, wie lange sollen Schulen geschlossen bleiben, sollen alle oder nur die Risikogruppe isoliert werden…) scheiden sich die Geister schnell.

Während Adriano Aguzzi von der Universität Zürich 60’000 Tote prognostizierte und einen völligen Lock Down auch für die Wirtschaft forderte, sieht Beda Stadler, der ehemalige Leiter der Immunologie der Universität Bern das um Einiges gelassener, Marcel Salathé vom EPFL in Lausanne schlägt ein schrittweises Lockern der Massnahmen und ein Vorgehen mit Testen, Isolieren und die positiven Fälle in Quarantäne setzen vor.

In der Vergangenheit haben sich auch die Experten oft getäuscht, wenn es darum ging, Modelle anzuwenden, um die Verbreitung und die damit verbundenen Anzahl von Todesfällen vorher zu sagen. So wurde zum Beispiel im Jahre 2000 vor 10’000 Toten wegen BSE gewarnt, welche in der Schweiz zum Glück keine Todesopfer forderte.

Das heisst nicht, dass die jetzt getroffenen Massnahmen nicht eingehalten werden sollen, sondern einfach, dass sich auch die Experten, welche heute vor 60’000 und mehr Toten in der Schweiz wegen dem Coronavirus warnen und damit noch striktere Massnahmen fordern, um Dimensionen täuschen können. Basis zur Anordnung von Massnahmen, welche fundamentale Bürgerrechte ausser Kraft setzen, sollten belastbare Daten und weder Horrorszenarien noch Wunschdenken sein. Zum Problem wird das Fehlen der Datenbasis für Entscheidungen, wenn man mit diesen der einen Krise (Coronavirus) eine zweite (Wirtschaftskrise) hinzufügt. Dazu mehr in einem folgenden Kommentar.

Was ist mit Testen und Masken tragen?
Bei all den Dingen, die das BAG sehr gut und mit Augenmass angeht, gibt es drei Themen, welche auch im Nachhinein noch der Aufarbeitung bedürfen:

  • Die unbrauchbare Datenlage und der Rückstand bei der Digitalisierung im BAG.
  • Die ungenügenden Vorbereitung für und die Vorhaltung von Tests. Vor allem jetzt, da sich die Kurve der neuen Fälle abzuflachen beginnt, müsste man damit starten, gezielt und vermehrt zu testen.
  • Die ungenügende Lagerhaltung von Masken und die unverständliche Kommunikation zum Thema Maskentragen. Das BAG betont immer noch, dass das Tragen von Masken nicht zielführend sei, obschon gerade hier viele Experten widersprechen. Zwar hat das WHO auch verlauten lassen, dass Masken für die Allgemeinheit nicht nötig seien. Der Verdacht hier, wie auch in der Schweiz bleibt, dass man schlicht nicht zugeben möchte, das Thema und die Vorratshaltung verschlafen zu haben. Wenn Masken beim Pflegepersonal nützen, sollten sie eigentlich auch bei anderen Personen dieselbe Funktion haben.

Weshalb wird das Pflege- und Spitalpersonal nicht dauernd getestet?
Beim Thema Testen fällt auf, dass an vielen (wahrscheinlich sogar den meisten) Orten das Personal (Spitäler, Pflegeheime und Altersheime) nicht und schon gar nicht kontinuierlich getestet wird. Das bedeutet, dass Personen, welche von einem Arzt zum Testen geschickt werden, Kranke und Pflegebedürftige, alles eigentlich genau jene Personen, die man speziell schützen möchte mit all den Zwangsmassnahmen, mit Fachpersonen in Kontakt kommen, die nicht getestet sind und dem entsprechend Träger des Viruses sein können, oder schon an ihm erkrankt sind. Da vor allem Spitäler zudem sonst schon Orte mit erhöhter Infektionsgefahr sind, ist es nicht einleuchtend, dass gerade hier nicht getestet wird.

Fazit
Obschon das BAG betont, dass es für Lockerungsmassnahmen noch zu früh sei, müssen jetzt Ausstiegsszenarien aufgezeigt werden. Mit gezieltem Testen und eventuell einer Tracing App muss jetzt ein Fahrplan, mit verantwortbaren Schritten, in die Normalisierung aufgezeigt werden, anstatt dauernd mit möglichen schärferen Massnahmen zu drohen. Die Mortalitätsrate, die aktuellen Todesfälle, oder die Spitalsituation rechtfertigen aktuell keine strikteren Massnahmen, die abflachende Kurve der neuen Fälle lassen solche ebenfalls kaum sinnvoll erscheinen.

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