Medien Schweiz: Neubau statt Farbanstrich des morschen Gebildes

Medien Schweiz: Neubau statt Farbanstrich des morschen Gebildes
(Bild: AdobeStock 304865711)

Von Helmuth Fuchs

Die Coronakrise hat in der Schweiz eine andere Krise gnadenlos aufgedeckt: Die Medienkrise. In einer Zeit der ausufernden Nachrichtenlage, rekordhoher Klick-, Leser-, Zuhörer- und Zuschauerzahlen schicken die grössten börsenkotierten Medienhäuser und die gebührenfinanzierte SRG viele ihrer Mitarbeitenden in die Kurzarbeit. Von der vierten Macht im Staate zur staatsabhängigen Ohnmacht.

Statt die sonst allen anderen Unternehmen verschriebene Medizin bei sich selbst anzuwenden (Strategieanpassung, innovative Konzepte zu Neukundengewinnung, Kosten senken, Verzicht auf Dividendenausschüttung…) wird sofort in die für Kleinunternehmen in Notlage gedachte ALV-Kasse gegriffen und politisch Druck gemacht für die Ausweitung staatlicher Unterstützungsbeiträge. Simonetta Sommarugas Nothilfepaket von 78 Millionen Franken scheiterte zwar im ersten Anlauf (WOZ am 19.04.2020), dafür darf sich die SRG über 50 Millionen Franken zusätzlicher Gebühren freuen, die ihr der Bundesrat beschert (Klein Report am 17.04.2020).

Stützen eines nachweislich gescheiterten Online-Modelles
Zusätzlich zu den 50 Millionen Franken indirekter Presseförderung will Sommaruga mindestens weitere 100 Millionen den grossen Medienhäusern zukommen lassen, davon 50 Millionen für Online Bezahlmedien (Handelszeitung vom 19.10.2019). Dies vor dem Hintergrund, dass das neue Bundesgesetz über elektronische Medien (BGeM), welches einen rechtlichen Rahmen für die Entwicklung der elektronischen Medien in der Schweiz definiert hätte, nicht wie gewünscht voran kam und deshalb auf Eis gelegt wurde.

Das jetzige Vorgehen würde sicherstellen, dass das nicht funktionierende Bezahlmodell der grossen Medienhäuser belohnt würde, während all diejenigen, die Inhalte den Lesern kostenlos zu Verfügung stellen, leer ausgehen. Sozusagen eine bundesrätlich verordnete Marktbereinigung zugunsten derjenigen, die sich im Markt am wenigsten behauptet haben. Dass für diese gezielte Online-Förderung die rechtliche Grundlage fehlt, scheint die zuständige Bundesrätin wenig zu stören.

Distanzlose Sprachrohre statt kritische Beobachter
Die Krise bietet gerade eine hervorragende Gelegenheit, die Medienlandschaft der Schweiz, deren Stellung als vierte Macht und deren Förderung zu überdenken, neu zu gestalten und auf ein stärkeres Fundament zu stellen.

In der Krise haben die SRG und auch die anderen Bundeshaus-akkreditierten Medien ihre Rolle als kritische Beobachter weitgehend über Bord geworfen und sind zu distanzlosen Sprachrohren mutiert. Wer Beweise dafür benötigt, soll sich die Pressekonferenzen des Bundesrates und des BAG (Bundesamt für Gesundheit) anschauen und die Qualität der Fragen beachten. #Zämmeschtah, #Mitenand und all die weiteren Solidaritäts-Bekundungen in den Sozialen Medien sind für die Schweiz ein Erfolgsausweis und im privaten Bereich auch für Journalisten eine bewundernswerte Haltung. In ihrer beruflichen Arbeit sind aber kritische Distanz, Recherche und hinterfragen angesagt.

Das weitgehende Versagen der Medien als vierte Gewalt in der Coronakrise kann in der ungewöhnlichen Situation zu Beginn entschuldigt werden, hielt aber leider über Wochen an. Die vermeintlich eigene Wichtigkeit führte nicht zu einer gesunden Distanz, sondern zum Schulterschluss mit den Entscheidungsträgern der Politik und den im Rampenlicht stehenden Experten. Der Zürcher Medienprofessor Otfried Jarren kritisiert dies als «Systemjournalismus» und «Hofberichterstattung», Professor Vinzenz Wyss fordert mehr Eigenkompetenz, Distanz, Recherche und Vielfalt.

Wes Brot ich ess
Die meisten Medien, welche schnelle Zuflucht zu Kurzarbeit und staatlicher Unterstützung suchen, leiden seit Jahren am Rückgang der Werbeeinnahmen im Printbereich. Die zu spät entdeckte Bedeutung des Onlinegeschäftes, welches zwar hohe Werbeerträge generiert, aber eben fast nur für die grossen Branchenfremden wie Google und Facebook, soll nun ebenfalls durch staatliche Zuschüsse in der Höhe von mindestens 50 Millionen Franken pro Jahr kompensiert werden. Die oft gleichen privaten Anbieter, welche mit ganz wenigen Ausnahmen schon im Radio- und Fernsehgeschäft fulminant gescheitert sind und ohne die Brosamen der SRG nicht überleben könnten, möchten jetzt mit Staatshilfe sich ihr nicht funktionierendes Online-Geschäft finanzieren lassen. Das wäre nur ein weiterer Schritt in eine Abhängigkeit, welche den viel beschworenen, aber selten gelieferten «Qualitätsjournalismus» zusätzlich und nachhaltig beschädigen würde.

Eine Stiftung für den systemrelevanten Teil des Journalismus
Unabhängiger und guter Journalismus ist ein Eckpfeiler einer funktionierenden Demokratie. Punkt. Dafür müssen wir auch bereit sein, Mittel zu Verfügung zu stellen. Diese sollen aber nicht einfach an die lautesten Lobbyisten, verkalkte Verbände oder unternehmerische Schönwetterkapitäne verteilt werden, sondern an eine unabhängige Stiftung fliessen, ohne dass damit politische Bedingungen oder wirtschaftliche Forderungen (über diejenigen einer gesetzlich korrekten und nachhaltigen Geschäftsführung hinaus) verbunden werden. Auch dürfen keine Verbände oder einzelne Medienunternehmen Anteile an der Stiftung oder Einfluss auf diese haben. Wie es nicht funktioniert zeigt die in Dauerschieflage geschäftende Keystone-SDA.

Teile, welche in die unabhängige Stiftung eingebracht werden müssten:

  • Eine breit aufgestellte Schweizer Nachrichtenagentur für alle Inhaltsformen (Text, Ton, Bild, Film). Die Inhalte der Agentur werden allen Medienanbietern und der Öffentlichkeit kostenlos zu Verfügung gestellt.
  • Ein Journalisten-Ausbildungszentrum speziell für Kompetenzen wie Datenjournalismus, Wissenschaftliche Berichterstattung, politische Recherche etc.

Finanzierung der Stiftung
Anstelle der Fördergelder von jährlich über 100 Millionen Franken an die einzelnen Medienunternehmen für völlig unklare Leistungen und die Erhaltung nicht funktionierender Angebote und Strukturen bezahlt der Bund mindestens diesen Betrag an die Stiftung für journalistische Inhalte.

Medienunternehmen können für Dossiers, welche Inhalte bieten, die im Sinne eines wissensbildenden Service Public einen Beitrag für die Allgemeinheit liefern, ebenfalls Gelder aus der Stiftung beantragen. Die dadurch entstehende Inhalte sind dann ebenfalls kostenlos anzubieten.

Keine Werbung mehr bei der SRG
Die SRG profitiert heute von Gebühren (1200 Millionen Franken) und Werbegeldern (400 Millionen). Die Quasi-Monopolistin sich auch noch im Werbemarkt bedienen zu lassen und so eine unnötige Konkurrenz zu den privaten Medien zu schaffen, muss beendet werden. Der Wegfall der 400 Millionen Franken bei verbleibenden 1.2 Milliarden Franken ist für die SRG verschmerzbar, wenn sie sich dafür auf echte Service Public-Inhalte ohne Rücksicht auf Werbekunden konzentrieren kann.

Unabhängigkeit statt Belohnung für Wohlverhalten
Die privaten Anbieter bekommen keine Gelder von der SRG mehr, um die eigene und die Unabhängigkeit der SRG zu gewährleisten. Dadurch stehen der SRG zusätzliche 83 Millionen Franken zu Verfügung. Die 400 Millionen Franken Werbeeinnahmen, welche nicht mehr bei der SRG platziert werden können, sollten die wegfallenden Gelder der SRG zumindest teilweise kompensieren können.

Die Diskussion um funktionierende Medien, welche einen Beitrag als kritische, informierende, wissensbildende und im besten Sinne unterhaltende Stimme sind, muss jetzt dringend geführt werden. Das grosszügige Geldverteilen des Staates an genehme Medien hat mit zum katastrophalen Zustand beigetragen. Zeit, es besser zu machen.


Nachtrag: Das Recht auf die ALV-Gelder
Die immer wieder angeführte Aussage, dass die ALV als Versicherung ja von den Unternehmen finanziert werde und es deshalb kein Problem sei, wenn sie sich in Zeiten der Not daraus bedienten, greift zu kurz. Die vom Bund in einer ersten Tranche in die ALV eingebrachten 6 Milliarden Franken waren in wenigen Tagen weg, da sich statt direkt betroffene KMU vor allem auch nicht direkt betroffene grosse Unternehmen der Gelder bedient haben. Waren in der Finanzkrise 2009 100’000 ArbeiterInnen für Kurzarbeit angemeldet, sind aktuell schon über 1.85 Millionen Anträge auf Kurzarbeit eingereicht worden. Bundesrat Ueli Maurer rechnet mit Forderungen von mindestens 15 Milliarden Franken, welche auf die ALV zukommen können. Jetzt schon sind die Forderungen der Arbeitgeber auf dem Tisch, dass der Bund nochmals Geld einschiessen müsse. Das heisst, auch hier bezahlt die Allgemeinheit mit.

Besonders stossend ist die Lockerheit, mit der sich nicht direkt betroffene, börsenkotierte und staatliche oder durch Gebühren finanzierte Unternehmen bei der ALV bedienen. Die SRG, die zum grössten Teil gebührenfinanziert ist und die wegen eines Umsatzrückgangs bei den Werbeeinnahmen von knapp 3% gleich 600 Mitarbeitenden Kurzarbeit verordnete, obschon der Rückgang dann umgehend durch eine Aufstockung der Gebühren ausgeglichen wurde. Nicht viel besser ist das Verhalten der börsenkotierten TX Group (vormals Tamedia) und der NZZ, welche an die Aktionäre weiterhin Dividenden ausschütten und scheinbar weder die Börse als Option nutzten, um sich frisches Geld zu beschaffen, noch auf die eigenen Reserven oder die zinslosen Darlehen zurückgreifen mochten, um ihren Geldbedarf zu decken. Privatisieren der Gewinne, Sozialisieren der Kosten in Reinkultur.


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