Wir müssen reden: Über den Preis der Gesundheit, der Freiheit und über den Tod

Wir müssen reden: Über den Preis der Gesundheit, der Freiheit und über den Tod
Bundesrat Alain Berset, Vorsteher EDI

Kommentar von Helmuth Fuchs

Das Coronavirus zeigt uns aktuell einige Grenzen auf: Die Grenzen des Gesundheitswesens, der Technologie bei der Virusbekämpfung, die Grenzen der Kontrollmöglichkeiten und die Grenzen der Grenzen in einer globalisierten Welt. Also müssen wir uns darüber unterhalten, welchen Preis wir für die Aufrechterhaltung unhaltbarer Grenzen zu zahlen bereit sind.

War die willkürliche Grenze für Menschenansammlungen vor kurzem noch bei 1’000 Personen, wurde sie jetzt auf 150 gesenkt, in der Stadt Chur auf 50 Personen. Alain Berset rechtfertigt bei jeder Pressekonferenz die zunehmend restriktiver werdenden Massnahmen mit dem Mantra: «Wir versuchen die Leute zu schützen. Die Gesundheit hat die oberste Priorität für den Bundesrat».

Einstellen auf eine Koexistenz
Der Hintergrund der Massnahmen ist der richtige Versuch, für jeden einzelnen Infizierten die Infektionskette lückenlos aufdecken zu können, um so die Verbreitung des Viruses wenn auch nicht ganz verhindern, dann doch wenigsten verlangsamen zu können. Realistischerweise muss man in Zeiten der Globalisierung der Personenströme, der nicht vollkommenen digitalen Überwachung und einer Latenzzeit des Coronaviruses von bis zu zwei Wochen eingestehen, das eine Verlangsamung der Ausbreitung bis zur Entdeckung eines Gegenmittels oder eines Impfstoffes schon ein Erfolg wäre. Die Menschheit wird sich wahrscheinlich mit dem Virus arrangieren und eine Form der Koexistenz finden müssen, wie wir das mit anderen Grippeviren ebenfalls tun.

«Die gute Nachricht vorneweg: Mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit werden Sie nicht an Corona sterben. Die schlechte hinterher: Sterben werden Sie trotzdem. Ich kann Ihnen sogar sagen, woran: Vermutlich an einer kardiovaskulären Erkrankung – zumindest statistisch gesehen. An Viren zu sterben ist voll Achtziger, der moderne Mitteleuropäer stirbt vorwiegend an seinen schlechten Gewohnheiten, die ihm irgendwann die Gefäße dichtmachen. Und jetzt kommt Corona und trifft uns da, wo es am meisten weh tut: In unserem bedingungslosen Fortschrittsglauben, dass wir alles im Griff und für jedes Problem eine Lösung haben.» Dr. Barbara Plagg, Dozentin für Hygiene, Prävention und Sozialmedizin an der Universität Bozen

Unter diesen Voraussetzungen stellt sich dann die Frage, welchen Preis wir bereit sind zu bezahlen für die Bekämpfung des Viruses und weshalb bis anhin nach der Devise «koste es, was es wolle» verfahren wurde. Das zweite lässt sich damit erklären, dass Sars-CoV-2 neu ist und zu Beginn die Hoffnung bestand, dass man die Ausbreitung kontrollieren und eine Pandemie verhindern könne. Diese Hoffnung hat sich mittlerweile zerschlagen, beim Coronavirus handelt es sich um eine weltweite Pandemie. Bleibt also die Frage, welchen Preis wir für die Bekämpfung der Pandemie zu zahlen bereit sind.

Eine hoch emotionale Frage, für deren Beantwortung man einige Fakten berücksichtigen (Budensamt für Statistik, Todesursachen) sollte:

  • Grippewellen fordern in der Schweiz jährlich einige hundert Menschenleben
  • Die Alkoholische Leberzirrhose (Säuferleber) fordert jährlich in der Schweiz ein Mehrfaches an Menschenleben wie die Grippe
  • In der Gruppe der 14-65-Jährigen fordern in der Schweiz Unfälle und Gewalteinwirkungen ein Hundertfaches an Menschenleben wie die Grippe

Der mediale Hype und die teilweise panische Reaktionen der Bevölkerung haben Politiker und Märkte unter Druck gesetzt und mittlerweile zu realen und nachhaltigen wirtschaftlichen Schäden geführt (Kursturz an fast allen Börsen, existentielle Bedrohung einzelner Sektoren (Event-Veranstalter, Reiseorganisationen))

Alkohol bringt mehr Leute um als das Coronavirus, droht jetzt ein Verbot?
In diesem Licht darf man die Aussage von Alain Berset «Wir versuchen die Leute zu schützen. Die Gesundheit hat die oberste Priorität für den Bundesrat» durchaus auch kritisch hinterfragen. Weshalb werden, wenn dies zutreffen würde, nicht mit gleicher Vehemenz wie der Virus Alkohol und Tabak bekämpft, oder der Fett- und Zuckeranteil in Nahrungsmitteln? All das ist für unsere Gesundheit und somit die Wirtschaft massiv viel schädlicher als das aktuelle Coronavirus.

Verstehen Sie mich nicht falsch, ich will kein Alkohol-, Zucker- oder Fettverbot. Ich finde, es soll jeder für sich entscheiden dürfen, wie viel er seinem Körper zumuten darf (solange er dann zumindestens zum Teil auch für die Folgekosten der mutwilligen Beschädigung seiner Gesundheit aufkommt).

Wenn es aber darum geht, mit pressewirksamer Entschiedenheit einen Virus zu bekämpfen und jedes Todesopfer als eigentlich nicht hinnehmbaren Staatsverlust zu bekämpfen, verlieren wir die Dimensionen und damit auch die Möglichkeiten, finanzielle Mittel und öffentliche Aufmerksamkeit auf Themen zu lenken, die gesamtwirtschaftlich und für einen grösseren Teil der Gesellschaft einen höheren Nutzen hätten.

Was, wenn Medikamente oder Impfstoffe knapp werden?
Das Coronavirus hat ebenfalls klar aufgezeigt, wie abhängig die Welt von Medikamenten und Wirkstoffen aus China ist. Rund 80% der Inhaltsstoffe für Generika werden alleine in China und Indien hergestellt. Das heisst, sowohl zahlreiche Medikamente als auch Generika sind in der Schweiz nur so lange verfügbar, wie China uns diese liefert. Was geschieht aber bei Lieferengpässen oder einer Verknappung?

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat dazu verschiedene Szenarien ausarbeiten lassen. Der von den Wissenschaftlern favorisierte Verteilschlüssel sieht vor, dass zuerst Kinder und Jugendliche sowie eine kleine Gruppe von Medizinalpersonen mit dem überlebenswichtigen Impfstoff versorgt werden. Dann sind Schwangere und Risikopatienten an der Reihe: zuerst die jüngeren Risikopatienten, dann die älteren. Noch rüstige Rentner müssen warten, bis die ganze Schweiz durchgeimpft ist. Alternativ könnten die Medikamente auch verlost werden, was aber für die Bekämpfung zum Beispiel einer Epidemie wenig zielführend wäre.

Das heisst im Falle des Coronaviruses, dass die am anfälligste Gruppe von alten Menschen mit geschwächtem Gesundheitszustand auch bei einer beschränkten Verfügbarkeit von Impfstoffen ebenfalls wahrscheinlich die Gruppe wäre, die zuletzt damit bedient würde. Will man das umgehen, müsste die Schweiz die Produktion von für sie wichtigen Impfstoffen und Medikamenten wieder selbst und im eigenen Land bewerkstelligen. Im Moment ist man hier fast vollumfänglich vom Ausland abhängig.

Heisst von China lernen, siegen zu lernen?
In China sieht es aktuell so aus, als hätte man die Ausbreitung eingedämmt (abnehmende Zahl von Neuinfektionen, zunehmende Zahl von Geheilten). Das ist erfreulich, kommt aber mit einem Preis. China hat den Ursprungsherd des Viruses, die Stadt Wuhan und die Provinz Hubei, schon zu Beginn radikal abgesperrt und umfassende Kontrollen eingeführt. Die Bürger werden heute in den Städten schon fast lückenlos überwacht und solche Ereignisse, zusammen mit der Digitalisierung, werden dies noch forcieren.

Technisch wäre das bei uns auch möglich, da praktisch jeder ein Mobiltelefon hat und so sein Aufenthaltsort heute schon lückenlos mitverfolgt werden könnte. Zudem werden die meisten Finanztransaktionen ebenfalls schon digital getätigt und die ersten Stimmen, welche Bargeld als Virus- und Krankheitsträger endlich ganz abschaffen möchten, sind auch schon hörbar.

Nur, wollen wir das wirklich? Wollen wir, um die partielle Ausbreitung einer nicht übermässig tödlichen und vor allem für alte Menschen und solche mit geschwächter Gesundheit gefährlichen Krankheit unsere Wirtschaft nachhaltig schädigen, unser Sozialleben fundamental neu gestalten und auf noch grössere Distanz zu allem Mitmenschen gehen? Wollen wir die totale Überwachung zu einem kaum messbaren Zugewinn an Sicherheit, nicht vor dem statistischen Durchschnittsalter unser Leben zu beenden? Wollen wir chinesische Verhältnisse?

Home Office gerne, soziale Distanz eher nicht
Die Alternative ist, dass man damit leben muss, dass Epidemien Menschenleben kosten, dass es immer neue Krankheiten geben wird, welche vor allem unsere älteren Mitbürger überdurchschnittlich betreffen, da diese zum Glück auch immer älter werden. Die Alternative ist, nicht jeden Todesfall als persönliche Niederlage der Gesellschaft medial zu inszenieren, vor allem, wenn wie im Falle des Coronavirus, dieser praktisch nur in Kombination mit zuvor schon vorliegenden Krankheiten eintritt. In dieser Konstellation ist die Fokussierung darauf, was uns glücklich macht, in der Zeit, in der wir leben, vielleicht wichtiger. Zum glücklich sein sind soziale Kontakte und Freunde wichtig, Umarmungen und Nähe, eine gewisse Grundsicherheit, dass erarbeitetes Vermögen nicht schlagartig vernichtet wird durch irrationale Reaktionen von Politikern und Börsen, befeuert von hyperventilierenden Medien.

Die richtigen Kämpfe ausfechten
Wenn wir als Gesellschaft glauben, dass wir jede neue Krankheit, die uns temporär ein wenig schwächt, aber nicht existentiell bedroht und sogar immun zurück lässt, mit allen verfügbaren Mitteln und mit den damit verbundenen exorbitanten Kosten bekämpfen müssen, haben wir eine ziemlich freudlose Zukunft vor uns und werden von einer Niederlage in die nächste stolpern. Oder wir lernen, mit Viren zu koexistieren, einige zu dulden und die wirklich gefährlichen mit allen Mitteln zu bekämpfen.

Bundesrätliche Führungsqualität 4.0
Zum Schluss etwas zusätzlich Positives der bundesrätlichen Aktionen: Der Bundesrat hat gezeigt, dass er in der Lage ist, die Führung zu übernehmen, den Föderalismus zu überwinden, wenn es um ein Thema geht, das die ganze Schweiz betrifft und dringend ist.

Jetzt steht er aber umso mehr in der Pflicht, dies dort anzuwenden, wo es viel mehr um die Zukunft der Schweiz geht als beim Coronavirus:

  • Der Bildung und Ausbildung der jungen Menschen, damit diese im internationalen Wettbewerb auch konkurrenzfähig bleiben
  • Der Altersvorsorge, die auch wirklich allen alten Menschen ein Leben in Würde ermöglicht
  • Dem Verhältnis der Schweiz zu unseren Nachbarn und wichtigsten Handelspartnern, der EU
  • Der Bekämpfung der Armut in den Krisenherden der Welt, damit nicht Verteilkriege die Bevölkerung in die Migration zwingen

Man darf gespannt sein, wie die neugewonnene Führungskompetenz des Bundesrates bei den wirklich grossen Problemen eingesetzt wird. Godspeed!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert