Eurozone und Übertragungswege der Krise: Eine Lehre

Eurozone und Übertragungswege der Krise: Eine Lehre

Von Dr. Edoardo Beretta. (Foto: zvg)

Aus der europäischen Schuldenkrise lassen sich mehrere Erkenntnisse gewinnen. Auch über die Rolle, die monetäre Vergangenheit und finanzielle Unterschiede unter Mitgliedsländern spielen.

Das Damoklesschwert der Grossen Rezession, das in Teilen Europas immer noch präsent ist, hat manch einen (zuvor vernachlässigten) Faktor struktureller Schwäche hervorgehoben. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben einerseits (damals noch für anachronistisch gehaltene) Panikwellen im Banken-, Finanz- und Versicherungssektor erfahren. Am anderen Ufer des Ozeans haben öffentliche Verschuldung in Kombination mit pandemieähnlichen Rezessionserscheinungen andererseits die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion lange in Schach gehalten. Das europäische Schuldenproblem hat nebenbei jede Menge neuer Erkenntnisse in Sachen fester Wechselkursregimes und Währungsunionen eingebracht: ein besonders nennenswertes Beispiel zielt darauf hinaus, dass Solidität öffentlicher Bilanzen vielleicht noch mehr als in monetär unabhängigen Ländern zählen könnte. Eine erste Beweisführung zu dieser Hypothese sollte jedenfalls folgende Faktoren nicht ausser Acht lassen:

  1. die fehlende Selbstständigkeit bei der Festlegung geldpolitischer Massnahmen;
  2. strukturelle Ungleichheiten bei fundamentalen Wirtschaftsvariablen wie Wachstums-, Inflations-, Arbeitslosenraten oder BIP pro Kopf, in denen Mitgliedsländer sich markant voneinander unterscheiden.

Der Beitritt zur Eurozone hat deren Mitglieder bekanntermassen nur mit geringen Spielräumen in Sachen Währungshoheit zurückgelassen. Solche erschwerten Voraussetzungen haben zum deutlichen Anstieg des Rückgriffs zum Steuerhebel geführt, mit dem Mitgliedsstaaten sowohl Verlust der eigenen Währungsautonomie als auch eingeschränkte Manövrierfähigkeit der Budgetpolitik zu kompensieren versuchen. Dass der am 11. Dezember 2011 unterzeichnete Europäische Fiskalpakt Staaten langfristig nicht mehr ermöglicht, mehr als 0,5 Prozent Neuverschuldung [1] (im Vergleich zum „lockereren“ Maastrichter EU-Konvergenzkriterium von 3 Prozent gegenüber dem BIP aus dem Jahre 1992) einzufahren, ist auch Fakt. Unter solchen Voraussetzungen sind Nationalwirtschaften entweder vital und staatliche Apparate schaffen es, genügend Steuererträge zu verbuchen, oder bei schwächelnder Konjunktur würde es gesamtwirtschaftlich sehr belastend sein, den öffentlichen Finanzierungsbedarf nur durch Steuerressourcen zu decken. Festgefahrene Ungleichgewichte unter Mitgliedsländern schmälern zudem das effektive Ergebnis jeder gemeinsamen Wirtschaftspolitik. Die Strategie der „kollektiven Grösse“ (one size fits all), die europäische Organe mittels der Aufsetzung gemeinschaftlicher Konvergenzkriterien vertreten, hat sogar bewiesen, in schweren Zeiten Grund genug dafür zu sein, die Nachhaltigkeit des Konzepts eines „gemeinsamen Europas“ in Frage zu stellen. Der Glaubwürdigkeit des europäischen Währungsraums haftet auch ein „Urfehler“ (original sin) an – dies scheint zumindest aus den jüngsten Krisenepisoden hervorzugehen −, der auf die „Währungsvergangenheit“ einzelner Mitgliedsnationen zurückzuführen ist. In Zeiten lebhafter Wirtschaftskonjunktur scheinen Investoren sich davon weniger bewusst gewesen zu sein (oder zumindest keinen allzu grossen Wert darauf gelegt zu haben), aber nach sich eintrübenden Wirtschaftsaussichten haben bereits vorhandene Ungleichgewichte die Aufmerksamkeit von Ratingagenturen und Anlegern noch mehr auf sich gelenkt: das Endergebnis ist eine übergrosse Vertrauenskrise gewesen, die an der Resilienz der Eurozone gerüttelt hat.

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Eine Krisenerscheinung hat im (zeitweise dramatischen) intraeuropäischen Gefälle bei den Renditen 10jähriger Staatsanleihen von kriselnden Ländern im Vergleich zu „sicheren“ deutschen Bundesanleihen gelegen. Solch bedeutende Diskrepanzen im vereinten Europa scheinen eine Nebenerscheinung dafür zu sein, dass Wechselkurse unter kontinentalen Währungen trotz weit auseinanderliegender wirtschaftlicher Performance auf ein künstliches „Eins-zu-Eins-Niveau“ nivelliert worden sind:

1 „europäischer“ € = 1 „deutscher“ € = 1 „französischer“ € = 1 „griechischer“ € usw.

Renditen sind also zum bevorzugten Ventil mutiert, um reale (und nie geebnete) Unterschiede unter Ländergruppen des europäischen Währungsraums zu signalisieren. Das Phänomen, das die Eurozone in ihrer jüngsten Vergangenheit erlebt hat, ist durchaus mit einem hydrogeologischen Mechanismus mit dem Namen „Mäanderdurchbruch“ vergleichbar: da Wechselkursschwankungen nicht mehr möglich sind, verläuft die Signalübertragung realer Unterschiede über den Weg von Renditedifferenzen. Die Konkurrenzfähigkeit schwächerer Mitgliedsländer droht geschmälert zu sein, weil der Nennwert der gemeinsamen Währung nicht immer die effektive Wirtschaftsleistung aller Nationen der Eurozone widerspiegelt und bekanntermassen sowohl für reichere als auch ärmere Mitglieder gleich ist. Leistungsbilanzdefizite und Auslandsverschuldung öffentlicher sowie privater Wirtschaftsakteure werden zudem durch Kompetitivitätsschwund angetrieben. Die jüngste Krise hat gezeigt, wie inmitten globaler wirtschaftlicher Turbulenzen Gemeinschaftswährungen sogar anfälliger für Reputationsschäden sein können, weil sie de facto, nämlich im schlimmstmöglichen wirtschaftlichen Szenario und als extreme Ratio, zu nationalen Geldeinheiten zurückverwandelt werden können. Aus diesem neuen Bewusstsein der Wirtschaftsakteure lassen sich folgende Prinzipien ableiten:

  1. Staatsfinanzen sollten schon vor Beitritt zur Eurozone in geordnetem Zustand sein, weil Währungsbündnisse in bereits konjunkturschwachen Ländern sogar die Anhäufung öffentlicher Verbindlichkeiten anregen können;
  2. falls Staatshaushalte mancher Länder schon vor EWU-Beitritt als nicht besonders solide gelten sollten, könnte dieser Zustand in Zeiten wirtschaftlicher Baisse ein weiteres unkalkulierbares Turbulenzrisiko an den internationalen Finanzmärkten darstellen könnte;
  3. Staaten mit unausgeglichenen Haushalten sind noch weniger in der Lage, antizyklische Wirtschaftsmassnahmen zu verabschieden, ohne:
    a.    ihre Schuldenquote weiter in die Höhe zu treiben;
    b.    sich damit noch heftigeren Spekulationswellen auszuliefern;
    c.    die Wirtschaftslage öffentlicher sowie privater Akteure mehr zu gefährden.

Auch die These, nach der in Währungsunionen Staatsverschuldung von Renditen 10jähriger Staatsanleihen anders widerspiegelt wird, sollte nicht allzu abwegig klingen: schliesslich sind kausale Zusammenhänge zwischen Variablen wie Reputation oder Wirtschaftsperformance vor EWU-Zeiten von schwieriger Deutung – umso mehr in einer bisher nie dagewesenen Währungskonstellation. Trotz (teils auch hoher) öffentlicher Verschuldung seitens „tugendhafter“ Länder scheinen deren Staatsanleihen einigermassen „wohlwollender“ evaluiert worden zu sein. Und wie hat sich die Lage bisweilen entwickelt? Es trifft natürlich zu, dass Zinsen nun auf einem Tiefststand liegen, aber der erwähnte Übertragungsweg zählt nun endgültig zu den schon befahrenen und wartet nur darauf, in Krisenzeiten wiederentdeckt zu werden. In Kombination mit reichlichem Gegenwind spekulativer Manöver und mangelnden prompten sowie mitbestimmten Interventionismus ist das Potenzial zur explosiven Mischung mehr als gegeben. Gestern sowie heute.

Über den Autor:
Dr. sc. ec. (PhD) Edoardo Beretta ist Assistent des Examensdelegierten, Post-Doc Forschungs- und Lehrassistent an der Università della Svizzera italiana (USI) – Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät(USI).
Bisherige Publikationen: http://search.usi.ch/people/a332478da15cca587c46aad28af14814/Beretta-Edoardo/publications

 [1] Bei einem öffentlichen Schuldenstand unter 60 Prozent gegenüber dem BIP könnte der Höchstbetrag auf 1 Prozent angehoben werden.
[2] http://ec.europa.eu/eurostat/tgm/table.do?tab=table&init=1&plugin=1&language=en&pcode=tipsgo10
[3] http://sdw.ecb.europa.eu/browse.do?node=bbn4864

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