Prof. Dr. Maurice Pedergnana, Chefökonom Zugerberg Finanz AG, im Interview

Prof. Dr. Maurice Pedergnana, Chefökonom Zugerberg Finanz AG, im Interview
Prof. Dr. Maurice Pedergnana, Chefökonom und Leiter des Anlageausschusses der Zugerberg Finanz AG (Foto: Zugerberg Finanz)

Von Karin Bosshard

Moneycab.com: Wie erleben Sie die aktuelle Stimmung der Unternehmungen und Investoren?

Prof. Dr. Maurice Pedergnana: Bei den Investoren ist die Stimmung negativer als bei Unternehmern. Es kommt allerdings stark auf die Branche und die Region an. Ich war kürzlich in Indien. Da ist die Stimmung überaus positiv. Der Aktienmarkt hat auch im schwierigen Jahr 2018 um 5 Prozent  zugelegt. Für die kommenden Jahre werden zweistellige Gewinnzuwachsraten prognostiziert. Ist man dagegen Luxusgüterverkäufer in China, ist die Euphorie einer neuen Nüchternheit gewichen.

«Bei den Investoren ist die Stimmung negativer als bei den Unternehmern.» Prof. Dr. Maurice Pedergnana, Chefökonom und Leiter des Anlageausschusses der Zugerberg Finanz

Wie investmentfreudig sind die Unternehmungen zurzeit?

«Freudig» ist ein Unternehmen nie. Es braucht jedoch, um im Wettbewerb bestehen zu können, die Produktivität zu erhöhen, neue Modelle zu generieren usw. Der stete Druck führt dazu, dass man alle Möglichkeiten der Produktivitätssteigerungen in Betracht zieht. Selbst in China sind die Lohnstückkosten mittlerweile derart hoch, dass ganze Roboterkolonnen die Fabrikhallen prägen. Ein Auto zum Beispiel von Dacia in Rumänien zu produzieren ist günstiger als eines in China zu fertigen. Aber da ist nun mal der grösste Automobilmarkt der Welt, und die Unternehmen müssen näher zur Kundschaft. Die sogenannte «Time to Market» wird immer geringer und die Zeit von der Automobilausstellung bis zur ersten Strassenfahrt immer kürzer. Man muss rasch und nah agieren, auch als Automobilzulieferer jüngste Trends aufgreifen und kostengünstig die Lösungen über die gesamte Lieferkette zum Kunden bringen.

Wird dieser Trend anhalten?

Ja, und er wird sich sogar noch verstärken. Amazon gibt sich nicht nur mit «Amazon Prime» –  Liefergarantie innert 24 Stunden – zufrieden, immer mehr wollen «Amazon Prime Now», d.h. die ultraschnelle Auslieferung innert zweier Stunden. Das erfordert enorme Anpassungen an den gesamten logistischen Prozess vom Einkauf des Rohmaterials bis zur Endlieferung. Allein für Amazon fliegen derzeit schon 30 Boeing 767-300 Frachtflugzeuge rund um den Globus. In die Logistik und Digitalisierung, Automatisierung und Robotik werden derzeit enorme Summen investiert, damit man nicht im Wettbewerb zurückfällt.

«In Logistik und Digitalisierung, Automatisierung und Robotik werden derzeit enorme Summen investiert.»

Investieren die Unternehmungen Ihrer Ansicht nach strategisch richtig?

Ich bin beispielsweise gerne in Kühne+Nagel investiert. Solche Unternehmen, mit einer hervorragenden Marktstellung in der Luft- und Seefracht können Tür-zu-Tür-Lösungen anbieten, die immer mehr zunehmen werden – mit dem Onlinemarkt ohnehin. Auch Lonza, ein herausragender Serviceprovider in der Biotech- und Pharmaindustrie, hat ausgezeichnete Investitionsschritte unternommen, um das Unternehmen noch besser zu positionieren. Das gilt auch für die «kleine Lonza» Siegfried.

Wie können Unternehmungen noch besser investieren?

Die beste Investition ist jene in die relative Qualität. Egal, in welchem Markt man sich bewegt, die Gewinner sind stets jene, denen es mit ihren Investitionen gelingt, die Kundschaft besser zu bedienen – relativ besser gemessen am Wettbewerbsdurchschnitt. Vielen Banken gelingt das beispielsweise nicht. Deren IT-Investitionen generieren seit vielen Jahren keinen Mehrwert, verschlingen aber Milliarden.

«Die beste Investition ist jene in die relative Qualität.»

Welche Fragen soll sich ein Unternehmen bzgl. seiner Investmentstrategie stellen?

Im B2C-Geschäft spielt die Optimierung zwischen physischem und digitalem Vertrieb eine zentrale Rolle. «Phygital» muss man vorwärtskommen, d.h. dass ein Fokus auf Flaggschiff-Läden und der andere Fokus auf den digitalen Vertrieb gelegt wird. Das sind Themen für Firmen von H&M bis Swiss Life.

Im B2B-Geschäft macht es die Globalisierung wesentlich komplizierter. Wie will sich ein Unternehmen positionieren, zum Beispiel ein globales Pharmaunternehmen, und wie will sich der Zulieferer mitentwickeln, zum Beispiel Lonza. Weil der asiatische Raum stark wächst, geht es auch für die Zulieferindustrie darum, wie stark sie sich in China, Japan und Indien positioniert. Auch Givaudan gehört zu jenen Schweizer Perlen, die in dieser Hinsicht die richtige Weichenstellung frühzeitig vorgenommen hat.

«Im B2C-Geschäft spielt die Optimierung zwischen physischem und digitalem Vertrieb eine zentrale Rolle. Im B2B-Geschäft macht es die Globalisierung wesentlich komplizierter.»

Stellen sich die Unternehmungen diese Fragen? Wenn nein, warum nicht?

Ja, immer mehr. Wichtig ist dabei die Zusammensetzung des Verwaltungsrates. Kompetenz alleine reicht nicht mehr. Vielmehr bedarf es einer Diversifikation auch von unternehmerischer Erfahrung, insbesondere der asiatische Erfahrungshintergrund ist bei vielen Schweizer Unternehmen noch unterentwickelt. Damit läuft ein Unternehmen Gefahr, einen zentralen Trend zu spät zu erkennen. Das Beispiel von Studer Revox, dem ich schon in meiner Dissertation nachgegangen bin, ist ein Stück schweizerische Industriegeschichte. Wer sich allzu stark von der Gegenwart leiten lässt und die technologischen Neuerungen verpasst, kann durch die drauffolgende disruptive Technologie selbst als Weltmarktführer untergehen.   

Welche Finanzinnovationen sind in der Pipeline?

In neue Finanzstartups wird nur noch wenig investiert. Am meisten Neugeld fliesst derzeit in jene Lösungen, die sich mehr und mehr durchsetzen. Insofern ist es nicht untypisch, dass Wirecard in den DAX aufgenommen wurde, die Deutsche Bank dagegen mit knapp 100’000 Mitarbeitenden und 150 Jahre nach ihrer Gründung nicht mehr wert ist als beispielsweise der fokussierte Private Market Spezialist Partners Group aus Zug, der von 20 Jahren gegründet wurde und über 1’200 Mitarbeitende verfügt.

«In neue Finanzstartups wird nur noch wenig investiert

Was erwarten Sie punkto Digitalisierung der Investmentbranche?

Für mich zählt immer noch die indische HDFC zu den «Ikonen» der neuen Finanzwelt. Was ich in Indien an Multibanking vom physischen Vertrieb bis hin zum Smartphone-Banking beobachtet habe, schlägt vieles von dem, was wir hier erfahren können. In Europa haben sich viele Fintechs am Markt vorbei entwickelt. Sie treffen nicht den Nerv der Kunden. Ohne ersichtlichen Mehrwert sind digitale Wüsten entstanden: viel Sand im Getriebe und kein Mensch weit und breit. Vielerorts wird zudem die Finanzkompetenz überschätzt. Bei weit über 90 Prozent der Bevölkerung ist sie nicht derart hoch, dass man auf eine Beratung und Betreuung vollends verzichten könnte.

«In Europa haben sich viele Fintechs am Markt vorbei entwickelt, sie treffen nicht den Nerv der Kunden.»

Was bedeutet Digitalisierung für die Unternehmungen, welche investieren wollen?

Viele haben zu lange verschlafen, was zu tun wäre. Das rächt sich nun. Dagegen war ich beeindruckt, wie zukunftsorientiert asiatische Unternehmen aufgestellt sind. Das hängt gewiss auch mit den Volumina zusammen, die bewältigt werden müssen. Stell dir mal eine Bank bei uns vor, die innert dreier Tage nach Monatsende 40 Millionen Kontoausdrücke verschickt haben will. Generell haben Asiaten einen leichteren Umgang mit Innovation und Digitalisierung. Bei meinem kürzlichen Besuch in Indien war ich überrascht, wie modern und ausgereift das Management Cockpit einer Zementfabrik aussieht, inklusive Cash Flow Bewegungen durch Verkaufsaktivitäten in Echtzeit.

«Generell haben Asiaten einen leichteren Umgang mit Innovation und Digitalisierung.»

Was sollte sich volkswirtschaftlich ändern, damit es dem Investmentmarkt und den Unternehmungen weiterhin gut geht?

Volkswirtschaftlich muss man in jeder Konjunkturphase und in jedem regulatorischen Umfeld bestehen können. Das erfordert Agilität. Im Kern bleibt jedoch nichts anderes übrig, als sich mit dem eigenen Unternehmen zu unterscheiden – mit einem klaren Profil, mit einer fokussierten (Ziel-)Kundschaft und mit Unternehmer-Persönlichkeiten in der Führung. Das beziehe ich nicht nur auf die Zugerberg Finanz. Was mir gefällt, ist beispielsweise, wie Michael Bär, Ur-Enkel des deutsch-schweizerischen Bankiers Julius Bär, eine neue Industrie- und Handelsbank «MBaer Merchant Bank» eröffnet hat. Die Bank, die sich an Unternehmer, ihre Familien und ihre Firmen richtet, wird Anfang 2019 mit gut 12 Mitarbeitern ihren Geschäftsbetrieb aufnehmen. Bär selbst wird den Chef-Posten übernehmen. Das gefällt mir und wird Kunden wie Investoren gleichermassen erfreuen.

«Volkswirtschaftlich muss man in jeder Konjunkturphase und in jedem regulatorischen Umfeld bestehen können. Das erfordert Agilität.»

Wie werden sich die unternehmerischen Fragestellungen und deren Konsequenzen für Investments in den nächsten fünf bis zehn Jahren Ihrer Ansicht nach verändern?

Kundenorientierung bleibt die oberste Maxime. Das ist in allen Branchen immer dasselbe, und ich will das an einem eigenen Beispiel erläutern. Bei uns in der Zugerberg Finanz, einer Vermögensverwaltungsgesellschaft mit knapp 40 Mitarbeitenden, bleibt der Kern seit vielen Jahren immer auf das Anlagegeschäft ausgerichtet. Es hätte hundert «Opportunitäten» gegeben, um sich zu verzetteln. Darauf nicht einzugehen erfordert Disziplin. In der Geschäftsführung bleibt unser Blick konsequent fokussiert. Unterstützt von einem mitdenkenden Verwaltungsrat. Im Grunde genommen haben wir noch viele Jahre vor uns, in denen wir uns als wichtiger Marktteilnehmer etablieren können. Aus dieser Erfahrung heraus prüfen wir bei Anlagen insbesondere das Geschäftsmodell, bevor wir investieren. Da gibt es leider immer wieder Beispiele, wie das Kapital nicht konsequent genug eingesetzt wird, und die vermeiden wir in unseren Depots. 

Zum Gesprächspartner
Maurice Pedergnana studierte von 1984 bis 1988 an der Universität St. Gallen Wirtschaftswissenschaften. Von 1992 bis 1993 war er als Stipendiat an der Sophia-Universität in Tokio. Zurück an der Universität St. Gallen promovierte er mit einer Dissertation über «Wettbewerbsfähigkeit und Erfolgsfaktoren von schweizerischen Unternehmungen in fremden Märkten (am Beispiel Japan)».

Anschliessend war er in der Unternehmensberatung tätig, u.a. beim Malik Management Zentrum in St. Gallen. Seit 2000 ist Maurice Pedergnana an der Hochschule Luzern tätig, wo er in einer teilzeitlichen Anstellung eine Professur innehat. Sein Schwerpunkt gilt heute seiner geschäftsführenden Funktion in der Zugerberg Finanz AG in Zug, wo er den Anlageausschuss leitet und als Chefökonom wirkt.

Maurice Pedergnana bei LinkedIn

Zum Unternehmen
Die Zugerberg Finanz AG ist eine inhabergeführte Vermögensverwaltung mit Domizil im historischen Lüssihof in Zug. Zur Kernkompetenz zählt die aktive, der Marktsituation angepasste, unabhängige Vermögensverwaltung für Kunden mit Domizil Schweiz. Die aktive Vermögensverwaltung innerhalb der vom Kunden vorgegebenen Bandbreiten pro Anlageklasse machen deren  Vermögensverwaltungsmandate auf dem Schweizer Markt einzigartig. Dazu gehört auch ein professionelles Risikomanagement in Verbindung mit der Nutzung von fundamentalen und quantitativen  Warnsignalsystemen. 

www.zugerberg-finanz.ch

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