Kaveri Camire, CMO, DXC Technology: “Das goldene Zeitalter der künstlichen Intelligenz beginnt“

Kaveri Camire, CMO DXC Technology, arbeitete 20 Jahre bei IBM und leitete dort die Transformationskampagne für IBM AI. Nun unterstützt Camire die Transformation von DXC Technology, einem führenden globalen Technologie-Dienstleister aus den Fortune 500 mit 120.000 Mitarbeitern weltweit. Camire besuchte die Stanford Graduate School of Business Executive Education und hat einen Bachelor-Abschluss der Universität Delhi, Indien.
Die neue deutsche Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit des Landes zu stärken. Künstliche Intelligenz (KI) wird dabei als wichtiger Motor für Veränderungen angesehen.
Kaveri Camire, Sie sagen, wir befinden uns in einer entscheidenden Phase in Bezug auf KI – was sind hier die wichtigsten Themen?
Wir sind – wie ich es gerne nenne – in ein «goldenes Zeitalter» der technologischen Disruption eingetreten, in dem sich das Tempo der KI-Innovation exponentiell beschleunigt. KI ist nicht mehr auf die B2B-Welt beschränkt, sondern für Unternehmen jeder Grösse und auch für Verbraucher zugänglich. Sie wird rasch in der gesamten Wertschöpfungskette eingesetzt. Das fördert Kreativität, Experimentierfreude und wird sich im realen Leben auswirken. Durch KI erleben wir eine Demokratisierung des Wissens wie nie zuvor. Im Handumdrehen können wir auf kollektives globales Wissen und Erfahrung zurückgreifen und so die Wettbewerbsbedingungen verbessern.
KI ist also ein Wachstumstreiber?
KI hat unbestreitbar das Potenzial, Wachstum und Wandel voranzutreiben. Wichtig dabei ist, das KI-Systeme nur so gut sind wie der Kontext, den sie verstehen – und dieser Kontext ist der Mensch. Unternehmen verschiedenster Branchen arbeiten derzeit mit diesem Fokus an konkreten Projekten: Bei Finanzdienstleistungen ermöglicht KI schnellere und genauere Kreditentscheidungen und Risikobewertungen. Versicherer nutzen sie, um Policen präziser zu kalkulieren, während KI im Gesundheitswesen bei klinischen Entscheidungen hilft – von der Diagnose bis zur Behandlung von Patienten. DXC unterstützt beispielsweise das Singapore General Hospital bei der Nutzung von KI, um genauere Entscheidungen über den Einsatz von Antibiotika zu treffen.
Hier in Europa und insbesondere in Deutschland arbeiten wir eng mit führenden Automobilherstellern wie Mercedes-Benz, Porsche und Volkswagen zusammen, um KI-gestützte Fahrerlebnisse möglich zu machen. Es geht darum, die Zukunft der Mobilität mit personalisierten, intelligenten Interaktionen für Fahrer und Passagiere zu gestalten. Mit mehr als 3.500 Automobilexperten und jahrzehntelanger Erfahrung in diesem Bereich ist DXC führend in diesem Bereich. Acht der zehn grössten Automobilhersteller arbeiten mit DXC-Technologie, und mehr als 50 Millionen Fahrzeuge weltweit sind mit dieser DXC-Technologie ausgestattet.
Wir hatten bereits in der Vergangenheit KI im Einsatz. Sie wurde hauptsächlich für analytische Aufgaben eingesetzt. Aber jetzt eröffnet sich mit generativer KI eine neue Ebene. Können Sie uns einige Einblicke in diese Entwicklung geben?
KI hat sich dramatisch weiterentwickelt, von Business Intelligence und Analytik zu prädiktiver Modellierung und jetzt zu generativer und agentenbasierter KI. Frühe KI-Modelle waren nur so gut wie die in sie eingespeisten Daten und erforderten eine sorgfältige Bereinigung, Verwaltung und Validierung. Dies machte die Einführung langsam, kostspielig und weitgehend auf grosse Unternehmen beschränkt.it dem Aufkommen der generativen KI änderte sich alles. Mit der Fähigkeit, alle Arten von Daten sofort zu verarbeiten, haben Tools wie ChatGPT, Claude und Copilot den Zugang zu KI demokratisiert und jedem, der über einen Rechner und eine Internetverbindung verfügt, leistungsstarke Funktionen an die Hand gegeben. Innovation wird damit nicht mehr durch das Budget begrenzt, sondern durch Vorstellungskraft, Strategie und unsere Fähigkeit, neue Tools einzusetzen. Wir helfen unseren Kunden dabei, GenAI schnell in ihren Organisationen einzusetzen. So arbeiten wir beispielsweise mit der Europäischen Weltraumorganisation zusammen, um sichere GenAI-Agenten zu entwickeln, die Tausenden von Wissenschaftlern, Ingenieuren und Mitarbeitern helfen, Probleme schneller zu lösen und institutionelles Wissen effektiver in ganz Europa zu teilen.
Wir treten nun in die Ära der agentenbasierten KI ein, das sind KI-Systeme, die selbstständig Ziele setzen, Entscheidungen treffen und Massnahmen ergreifen können. Im Gegensatz zu herkömmlichen Tools agiert die agentenbasierte KI als proaktiver Mitarbeiter, der die Produktivität steigert und Erkenntnisse in allen Unternehmensbereichen gewinnt. Im Kundenservice kann sie Probleme selbstständig einordnen und lösen. In Lieferketten kann sie die Nachfrage prognostizieren, die Logistik umleiten und mit Lieferanten in Echtzeit verhandeln. Sie kann sogar weitere KI-Modelle erstellen. Dies markiert einen tiefgreifenden Wandel von der Verwendung von KI als Werkzeug hin zur Zusammenarbeit mit ihr als Partner bei der Transformation.
Stichwort Daten: Einige Experten sagen, dass Daten das neue Öl für die Industrie der Zukunft sind. Glauben Sie, dass die Europäer in bestimmten Branchen, wie der Automobilindustrie und dem verarbeitenden Gewerbe, einen Vorteil haben?
Heute würde ich sagen, dass es sich eher um Raketentreibstoff handelt, wobei die KI der Motor für die Transformation ist. Ohne Daten können selbst die leistungsfähigsten KI-Modelle nicht abheben. Europa war schon immer ein Vorreiter bei der Datenverwaltung und hat die grosse Chance, diese Führungsrolle zu nutzen, um eine verantwortungsvolle KI-Einführung zu fördern. In der Automobilindustrie zum Beispiel setzt Europa einen neuen Standard, der die Produktivität und Innovation durch intelligente Fabriken und autonome Systeme auf der Grundlage von Vorschriften verbessert.
Die Richtlinien und Vorschriften unterscheiden sich je nach Branche und Region erheblich. Wie sehen Sie das?
DXC ist ein zuverlässiger Partner für unsere Kunden auf der ganzen Welt und entwickelt Lösungen, die Branchen und Unternehmen voranbringen. Was uns von anderen abhebt, ist unsere umfassende Branchenkenntnis. Wir sind nachweislich führend in verschiedenen Branchen – Versicherungen, Banken, Gesundheitswesen, Reisen, Automobil. Grundsätzlich gilt: Wenn es um KI geht, darf man nicht vergessen, dass es sich bei dieser Technologie nicht um eine fertige Lösung handelt. Sie erfordert eine sichere, gesetzeskonforme Bereitstellung mit menschlicher Aufsicht sowie das Know-how und die Partnerschaften, um die Ergebnisse zu skalieren und voranzutreiben. Dazu gehört auch, dass wir die richtigen branchen- und regionalspezifischen Vorschriften erfüllen und gleichzeitig die Anforderungen an die digitale Souveränität beachten.
Wenn Sie auf das eigene Unternehmen schauen: Was haben Sie über die Auswirkungen von Veränderungen von KI auf das Management gelernt?
DXC ist ein sehr grosses Unternehmen mit 120.000 Mitarbeitern, die in mehr als
70 Ländern tätig sind. Auf Unternehmensebene müssen wir daher immer über die Skalierung von Innovationen nachdenken. Ein wichtiges Merkmal des organisatorischen Wandels ist eine unternehmerische Wachstumsmentalität bei allen Mitarbeitern. Wir befinden uns in der Anfangsphase der Auswirkungen von KI und Unternehmen, die nicht in der Lage sind sich schnell und innovativ zu verändern, werden zurückbleiben. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, eine Kultur der – wie ich sie nenne – „Super-Lerner“ zu haben. Das sind Teams, die neugierig und agil sind und sich ständig weiterentwickeln. Diese Menschen sehen technologische Innovation als einen Weg, stärker und besser in ihrer Arbeit zu werden. Als CMO eines der weltweit grössten Unternehmen für technische Dienstleistungen ist es für mich von höchster Priorität, sicherzustellen, dass mein Team ständig von Unternehmergeist und Neugierde angetrieben wird. Ich fordere mein Team ständig auf, neue Technologien zu nutzen, damit wir die Produktivität und Effektivität in grossem Umfang verbessern können.
Würden Sie sagen, dass es in Zukunft auch einen bestimmten Typ von Führungskraft braucht, um dies voranzutreiben? Brauchen wir vielleicht mehr junge Menschen?
Ich glaube nicht, dass es altersabhängig ist. In der Ära der KI muss man lernen, schnell zu scheitern, sich zu erholen und die Richtung zu ändern. Ich denke, es geht um Training und die richtigen Schulungsprogramme, um sicherzustellen, dass KI im gesamten Unternehmen demokratisiert wird. Man braucht grossartige Führungskräfte, die unternehmerisch denken und an kontinuierliches Lernen und Lehren glauben. Die erfolgreichsten Führungskräfte von heute sind extrem Co-kreativ und kooperativ und ermutigen ihre Mitarbeiter, Risiken einzugehen. Sie verfügen über die Fähigkeiten und Werkzeuge, um Ideen und Wissen nicht nur aus ihrem eigenen Unternehmen, sondern aus ganzen Branchen, Ökosystemen und globalen Gemeinschaften zu nutzen. (DXC/mc/hfu)