Christian Koch, Leiter Investment Team, BB Biotech AG, im Interview

von Robert Jakob
Moneycab.com: Herr Koch, mit der Bewertung Ihres diversifizierten Biotech-Portfolios können Sie nicht zufrieden sein…
Christian Koch: In der Tat blicken wir auf eine der längsten Korrekturphasen der vergangenen Jahrzehnte zurück. Seit dem Peak im Jahr 2021, als die Pandemie einen regelrechten Biotech-Boom auslöste, sind viele kleine und mittelgrosse Unternehmen unter Druck geraten. Steigende Zinsen und zu hohe Erwartungen an einzelne Technologien führten zu einer Marktbereinigung – schwächere Modelle verschwanden, Kapital wurde disziplinierter eingesetzt.
Sie sehen aber sehr grosses Aufholpotenzial, richtig?
Heute sehen wir klare Zeichen für eine Erholung. Die fundamentalen Treiber sind intakt: Die Nachfrage nach innovativen Therapien wächst stetig, Big Pharma muss Patentausläufe in dreistelliger Milliardenhöhe kompensieren, und die Bewertungen liegen historisch auf sehr attraktiven Niveaus. Das sind seltene Konstellationen, die oft den Beginn einer nachhaltigen Erholungsphase markieren.
«Big Pharma muss Patentausläufe in dreistelliger Milliardenhöhe kompensieren, und die Bewertungen liegen historisch auf sehr attraktiven Niveaus.»
Christian Koch, Leiter Investment Team, BB Biotech AG
Sie nutzten Ihre Barreserven im H1 um die bestehenden Positionen in Immunocore, Akero Therapeutics, Edgewise Therapeutics und Scholar Rock auszubauen. Letztere entwickelt ein Mittel gegen Adipositas. Kann das ein Blockbuster werden?
Wir investieren gezielt in Unternehmen, die über eine starke wissenschaftliche Basis verfügen, eine klare Wertschöpfungsperspektive haben und ein attraktives Risiko-Ertrags-Profil bieten. Dabei fokussieren wir uns bewusst auf innovative Mid Caps, die sich häufig in der Übergangsphase von Forschung und Entwicklung zur Kommerzialisierung befinden – also dort, wo das grösste Aufwärtspotenzial liegt. Scholar Rock beispielsweise hat in der Adipositas-Forschung gezeigt, dass sein Wirkstoff die fettfreie Körpermasse bewahrt – ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal gegenüber gängigen GLP-1-basierten Therapien. Solche Innovationen bergen erhebliches Potenzial, insbesondere wenn sich die positiven klinischen Daten in den nächsten Phasen bestätigen.
Der schwache Dollar hat im ersten Halbjahr den Nettoinventarwert ins Minus gedrückt. Trump will den Greenback weiter schwach. Was kann man da tun?
Wir betreiben kein systematisches Hedging der Währung. Wechselkurse können unser Ergebnis kurzfristig verzerren – wie zuletzt geschehen. Entscheidend ist aber die fundamentale Entwicklung unserer Portfoliounternehmen, und die hat sich deutlich positiv gezeigt. Dank unserer Struktur als Investmentgesellschaft können wir diese Schwankungen aushalten und unseren Fokus konsequent auf die wissenschaftliche Substanz und die klinischen Fortschritte der Unternehmen richten.
Glauben Sie, dass er diesmal das Most-Favored-Nation (MFN)-Modell durchdrücken kann?
Die Diskussion um das Most-Favored-Nation-Modell hat in diesem Jahr erneut an Bedeutung gewonnen und fällt zeitlich zusammen mit der zweiten Verhandlungsrunde im Rahmen des Inflation Reduction Act. Dabei geht es darum, dass sich die Preise von Medicare künftig an den niedrigsten internationalen Referenzwerten orientieren würden.
Ein solches Modell hätte erhebliche Konsequenzen, denn heute stammen rund 80 Prozent der weltweiten Gewinne im Pharmasektor aus dem US-Markt. Das maximale Risiko wäre, dass Unternehmen neue Medikamente in Europa gar nicht mehr einführen, um das Preisniveau in den USA zu schützen. Erste Fälle in dieser Richtung gibt es bereits.
Gleichzeitig ist aber wichtig festzuhalten, dass nicht der gesamte Markt betroffen wäre. Der kommerzielle Markt, der nicht von Medicare oder Medicaid reguliert wird, unterliegt gemäss US-Verfassung weiterhin einer freien Preisfindung. Genau das erklärt, weshalb Unternehmen wie Neurocrine Produkte gezielt ausschliesslich in diesem Segment lancieren und dort hohe Umsätze erzielen können – unabhängig von politischen Eingriffen.
Ob das MFN-Modell letztlich durchgesetzt wird, bleibt offen. Politische Mehrheiten, juristische Rahmenbedingungen und praktische Umsetzungsfragen sind noch nicht geklärt. Klar ist jedoch: Schon die Debatte führt zu Unsicherheit.
Was würde das für das BB Biotech Portfolio bedeuten?
Ein Most-Favored-Nation-Modell würde die Rahmenbedingungen für viele Unternehmen verändern. Für uns als aktiven Investor entstehen daraus jedoch auch Chancen: Preisregulierungen betreffen Geschäftsmodelle sehr unterschiedlich, und gerade in solchen Phasen entstehen Bewertungsverzerrungen. Durch aktives Management können wir gezielt Kapital in jene Firmen lenken, die auch unter neuen Preisstrukturen robuste Wertschöpfungsperspektiven bieten. So lassen sich Risiken abfedern und gleichzeitig attraktive Opportunitäten nutzen.
Schreckt das erratische Verhalten der Trump Administration Anleger ab?
Politische Unsicherheiten helfen dem Sektor natürlich nicht, wir sehen darin aber keine Gamechanger. Selbst bei möglichen Eingriffen bleibt ein wesentlicher Teil des US-Marktes von staatlicher Regulierung unberührt und erlaubt weiterhin freie Preisbildung. Entscheidend ist, dass sich langfristig wissenschaftliche Innovation durchsetzt – und darauf richten wir unseren Fokus.
Es bleibt weiterhin dabei: Die Musik der Biotechbranche spielt in den USA. Woran liegt es, dass die Schweiz seit drei Jahrzehnten so gut wie auf keinen grünen Zweig kommt?
Der US-Markt hat strukturelle Vorteile, die ihn zur Wachstumsmaschine für Biotech machen: Er verfügt über ein deutlich grösseres Volumen an Risikokapital, erlaubt höhere Margen durch freie Preisgestaltung und bietet damit jungen Unternehmen die nötigen finanziellen Mittel, um innovative Therapien bis zur Marktreife zu bringen. Auch die Nähe zu grossen Kapitalmärkten, spezialisierten Investoren und ein hohes Tempo bei regulatorischen Entscheidungen tragen dazu bei, dass die Mehrzahl der bahnbrechenden Innovationen in den USA entsteht. Das heisst aber nicht, dass die Schweiz leer ausgegangen ist. Wir hatten auch hierzulande einzelne sehr erfolgreiche Beispiele – etwa Unternehmen, die mit klar fokussierten Ansätzen internationale Relevanz erlangt haben. Aber ich gebe Ihnen recht, es handelt sich hier eher um Einzelfälle.
«Die Schweiz ist im Biotech Business nicht leer ausgegangen. Wir hatten auch hierzulande einzelne sehr erfolgreiche Beispiele, aber es handelt sich hier eher um Einzelfälle.»
Sie sind von Haus aus Chemoinformatiker. Wirkstoff-Forschung läuft bereits seit vielen Jahren immer mehr mit Hilfe von Algorithmen. Erleichtert auch hier die KI sowohl klinische Forschung als auch Zulassung?
Definitiv. Künstliche Intelligenz hält seit Jahren Einzug in die Wirkstoffforschung und spielt inzwischen in vielen Bereichen eine zentrale Rolle – von der Identifizierung neuer Zielmoleküle bis hin zur Optimierung von Studiendesigns. Auch wir arbeiten bereits seit mehreren Jahren mit KI-gestützten Systemen, die Millionen wissenschaftlicher, klinischer, regulatorischer und marktspezifischer Datenpunkte analysieren.
Wie sieht das in Einzelfällen aus?
Unsere Pilotprojekte erkennen schwache Signale, hinterfragen Investmentthesen in Echtzeit und helfen uns, klinische und regulatorische Entwicklungen frühzeitig zu bewerten. Das verschafft uns mehr Geschwindigkeit, Präzision und Tiefe in der Analyse – und gibt unseren Analysten den Freiraum, sich auf die wirklich entscheidenden Aspekte einer Investition zu konzentrieren. Der nächste Schritt ist die kontrollierte Skalierung: Wir werden diese Systeme plattformweit ausrollen, damit sie unsere Entscheidungsprozesse noch konsistenter unterstützen. Für uns ist klar: Das Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine verbessert die Qualität der Entscheidungen und wird uns helfen, Chancen im Biotech-Sektor früher zu identifizieren – ein klarer Mehrwert für unsere Aktionäre.