Atomkraft: Orient schwimmt gegen den Strom

Atomkraft: Orient schwimmt gegen den Strom

Obwohl die Sonne in den Wüstenstaaten fast ganzjährig scheint, setzen sie auf die Kernenergie.

Deutschland nimmt Abschied vom Atomstrom. Bis 2022 sollen alle 17 Meiler vom Netz gehen. Bundeskanzlerin Merkel will damit den scheinbar unaufhaltsam an die Macht strebenden Grünen den Wind aus den Segeln nehmen. «Atomkraft? Nein Danke!» ist nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima Knall auf Fall salonfähig geworden.

Atomkraft? Ja, bitte.
Anders im Nahen Osten. Insbesondere die Golfregion scheint vom Atomvirus infiziert. Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) bauen im nur schwach besiedelten Westen des Landes bis 2020 vier Kernmeiler. Den Auftrag dazu im Wert von 20,4 Mrd. Dolar erhielt Korean Electric Power Co., kurz Kepco. Kepco hat dem Golfstaat höchste Sicherheitsstandards garantiert. Allerdings wurde die Führung von Kepco nach dem Reaktorunglück von Fukushima bereits zu Konsultationen nach Abu Dhabi zitiert. Eine offene Debatte über den Sinn der Kernenergie findet in den Scheichtümern nicht statt.

Saudiarabien plant bis 2030 gleich 16 Kernkraftwerke zu errichten, Kuwait will sich mit vier Atommeilern begnügen.

Der US-Ökonom Jeremy Rifkin verfolgt die neue Atomwelle im Orient mit Befremden. «Im Vergleich zur Sonnen- und Windenergie, die in Arabien erzeugt werden kann, erscheint der Energiewert der Erdölreserven wie eine marginale Grösse,» sagte Rifkin gegenüber Moneycab.

Verschiedene Beweggründe
Die Golfstaaten verfolgen dabei zwei Ziele. Zum einen sind sie bestrebt, angesichts ihrer schnell wachsenden Bevölkerung ausreichend Elektrizität selbst produzieren, ohne dafür ihre lukrativen Eportgüter Öl und Gas für den Eigenbedarf zu «verheizen». Zum anderen wollen sie mit der Islamischen Republik Iran auf Augenhöhe bleiben, dem jüngsten Mitglied im globalen Atomenergieclub. Der israelische Atomreaktor in Dimona dient allein militärischen Zielen. Israel droht dem Iran permanent, den Meiler in Busher am Persischen Golf zu bombardieren, um sein Monopol als einzige Nuklearmacht in Nahost aufrechtzuerhalten.

Uneinheit in Europa
Und die Schweiz? Energieministerin Doris Leuthard hat den bundesrätlichen Entscheid zum Atomausstieg bereits relativiert: Falls die Kernfusion gelingen sollte, werde die Kernenergie wieder ein Thema, sagte sie. Frankreich betreibt weiterhin 54 Kernkraftwerke und deckt damit vier Fünftel seines Strombedarfs ab. Ein Ausstieg steht in Paris nicht zur Debatte. Die Kernmeiler erfüllen auch ihren militärische Zweck. Im Frieden dienen sie zur Abschreckung, im Ernstfall sollen sie genügend spaltbares Material für taktische Atomwaffen der «Force de Frappe», die atomare Eingreiftruppe der l‘Armée Française, bereitstellen können.

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