OBT: Ausländische Verwaltungsratsmitglieder – Chancen und Herausforderungen

St. Gallen – Die Besetzung von Verwaltungsräten mit ausländischen Mitgliedern kann ein strategischer Erfolgsfaktor sein. Neben den Chancen, die sich durch kulturelle Vielfalt, internationale Netzwerke und zusätzliche Marktkenntnisse ergeben, sind jedoch auch komplexe rechtliche Fragestellungen zu beachten. Dieser Beitrag beleuchtet die Chancen und Herausforderungen aus unternehmerischer und rechtlicher Perspektive und zeigt anhand konkreter Beispiele, wie sich selbst scheinbar geringfügige Mandate auf die Sozialversicherungspflicht auswirken können.
In einer zunehmend globalisierten Wirtschaftswelt wird es für Unternehmen immer wichtiger, auch auf Führungsebene international aufgestellt zu sein. Bei grenzüberschreitenden Verwaltungsratsmandaten führen insbesondere steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Regelungen regelmässig zu Unsicherheiten und Risiken. Dies sowohl für die betroffenen Personen als auch für die Unternehmen. Allerdings können ausländische Verwaltungsratsmitglieder für ein Unternehmen im internationalen Umfeld auch erhebliche strategische Vorteile bieten. Dazu zählen insbesondere:
- Internationales Know-how und Markterfahrung: Ausländische Verwaltungsräte bringen wertvolles Wissen über internationale Märkte, Kundenverhalten, Wettbewerb und wirtschaftliche Rahmenbedingungen mit – ein klarer Vorteil für Unternehmen mit globaler Ausrichtung oder Expansionsplänen.
- Zugang zu Netzwerken: Durch ihre lokalen Kontakte zu Politik, Wirtschaft und Branchenverbänden können sie Türen öffnen, Kooperationen initiieren und strategische Partnerschaften fördern.
- Diversität in Perspektiven und Entscheidungsfindung: Unterschiedliche kulturelle und berufliche Hintergründe bereichern den Verwaltungsrat. Sie fördern breiter abgestützte, kreativere Entscheidungen und verbessern erwiesenermassen das Risikomanagement sowie die Nachhaltigkeit der Unternehmensführung.
- Stärkung des Unternehmensimages: Eine internationale Zusammensetzung des Verwaltungsrats signalisiert Offenheit, globale Kompetenz und Professionalität und stärkt so das Vertrauen von Investoren, Kunden und Partnern.
- Sprachliche und kulturelle Kompetenz: Ausländische Verwaltungsräte verstehen kulturelle Gepflogenheiten, Kommunikationsstile und Erwartungen im internationalen Geschäft – ein Vorteil bei Verhandlungen, Konfliktvermeidung und Marktauftritten.
Neben den genannten Chancen sind mit der Bestellung von ausländischen Verwaltungsräten auch steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Fragen verbunden. Unter einem ausländischen Verwaltungsrat wird eine natürliche Person verstanden, die im Ausland ansässig ist und in der Schweiz – ausser durch das Mandat – über keine weiteren steuerlichen Anknüpfungspunkte verfügt. Nachfolgend zeigen wir die unterschiedlichen Herausforderungen auf.
Steuerpflicht in der Schweiz
Gemäss dem Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer (DBG) unterliegt ein im Ausland ansässiges Mitglied des Verwaltungsrats einer schweizerischen Gesellschaft für seine Vergütung der Steuerpflicht in der Schweiz. Diese Pflicht gilt unabhängig davon, ob die Vergütung direkt an die Person oder indirekt an Dritte (z.B. eine ausländische Gesellschaft) bezahlt wird.
In internationalen Konstellationen sind die einschlägigen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) zu berücksichtigen. Nach dem OECD-Musterabkommen liegt das Besteuerungsrecht für Verwaltungsratsvergütungen regelmässig beim Sitzstaat der Gesellschaft – also in diesem Fall bei der Schweiz.
Steuerbar sind alle Einkünfte, insbesondere Tantiemen, Sitzungsgelder, feste Entschädigungen, Einkünfte aus Mitarbeiterbeteiligungen und ähnlichen Vergütungen, die der steuerpflichtigen Person in ihrer Eigenschaft als Mitglied der Verwaltung des Unternehmens ausgerichtet werden.
Die Kantone haben unterschiedliche Quellensteuertarife zwischen 15 und 30 Prozent festgelegt. Der Kanton Basel-Stadt, beispielsweise, erhebt eine Quellensteuer in Höhe von 25 Prozent. Bei Verwaltungsräten handelt es sich (im Unterschied zu anderen Arbeitnehmenden) um einen festen und nicht progressiv mit der Lohnhöhe ansteigenden Quellensteuertarif. Er unterscheidet sich auch vom begrenzten pauschalen Tarif für Grenzgänger.
Bei einer zeitgleichen Verwaltungsratstätigkeit sowie einer unselbständigen Erwerbstätigkeit in demselben Unternehmen empfiehlt es sich somit, die Vergütungen vertraglich für die jeweiligen Tätigkeitsgebiete gesondert festzuhalten und in der Folge diese Vergütungen auch separat abzurechnen und auszuweisen.
Sozialversicherungspflicht nach EU-Recht
Gemäss Art. 11 Abs. 1 der EU-Verordnung 883/2004 unterliegt eine Person grundsätzlich nur den Sozialversicherungsvorschriften eines Mitgliedstaates. Eine doppelte Beitragspflicht ist ausgeschlossen.
Art. 13 Abs. 3 der Verordnung regelt, dass bei gleichzeitiger Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Tätigkeit in unterschiedlichen Ländern der Staat der unselbständigen Beschäftigung zuständig ist. Allerdings beurteilt jeder Staat selbst, ob eine Tätigkeit als selbständig oder unselbständig einzustufen ist.
In der Schweiz werden Organtätigkeiten wie Verwaltungsratsmandate generell als unselbständig qualifiziert. In anderen Ländern – z.B. Deutschland – können solche Tätigkeiten als selbständig gelten (z.B. Geschäftsführer einer GmbH).
Sozialversicherungspflicht nach Schweizer Recht
Übt eine Person in der EU eine selbständige Tätigkeit aus und übernimmt zusätzlich ein Verwaltungsratsmandat in der Schweiz, kann dies zur Folge haben, dass das Schweizer Sozialversicherungsrecht zur Anwendung kommt:
Die Schweiz sieht Verwaltungsratsmandate immer als «bedeutende Tätigkeit», unabhängig von deren Umfang und Honorar. Die Folge: Sozialversicherungspflicht in der Schweiz auf das gesamte Erwerbseinkommen, auch wenn dieses überwiegend im Ausland erzielt wird.
Praxisbeispiel 1 – Symbolisches VR-Honorar mit Folgen
Hansueli Canetti, Schweizer in München, ist als Sportmediziner in seiner eigenen GmbH tätig (Einkommen 320’000 Euro). Als VR einer kleinen Basler-Läckerli-Fabrik bezieht er lediglich 100 Franken monatlich als symbolisches Honorar.
Nach einer anonymen Meldung an die Ausgleichskasse Basel-Stadt wird festgestellt, dass das VR-Mandat eine bedeutende Tätigkeit darstellt. Aufgrund seiner unselbständigen Tätigkeit in Deutschland wird Hansueli Canetti in der Schweiz sozialversicherungspflichtig – auf das VR-Honorar und auf sein gesamtes Einkommen aus Deutschland.
Praxisbeispiel 2 – Expansion mit Nebenwirkungen
Urban Jacomet ist als Unternehmer in Deutschland tätig. Seine unternehmerischen Aktivitäten werden dort in einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) geführt, bei der er als alleiniger Gesellschafter fungiert. Die GmbH erwirtschaftet jährliche Gewinne in der Höhe von rund 900’000 Euro. Im Rahmen einer Expansion gründet Urban Jacomet eine Aktiengesellschaft (AG) mit Sitz in der Schweiz. In deren Verwaltungsrat nimmt er persönlich Einsitz und bezieht dafür ein jährliches Verwaltungsratshonorar in Höhe von 30’000 Franken.
In Deutschland wird eine beherrschende Stellung in einer GmbH sozialversicherungsrechtlich als selbständige Erwerbstätigkeit qualifiziert. In der Schweiz hingegen gilt eine Verwaltungsratsfunktion bekanntlich als unselbständige Erwerbstätigkeit.
Folglich liegen im Fall von Urban Jacomet eine selbständige Tätigkeit in Deutschland und eine unselbständige Beschäftigung in der Schweiz vor. Gemäss der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 unterliegt eine Person mit Erwerbstätigkeit in mehreren Mitgliedstaaten grundsätzlich nur in einem Staat der Sozialversicherungspflicht. Im Falle des Zusammentreffens von selbständiger und unselbständiger Erwerbstätigkeit erfolgt die sozialversicherungsrechtliche Unterstellung gemäss Art. 13 Abs. 3 VO 883/2004 im Staat der unselbständigen Tätigkeit. Bei Urban Jacomet ist dies die Schweiz. Die Höhe des Einkommens und deren Relation zueinander sind dabei nicht relevant.
Diese Rechtslage hat für Urban Jacomet die aus seiner Sicht nachteilige Konsequenz, dass nicht nur das Verwaltungsratshonorar, sondern sein gesamtes Erwerbseinkommen, einschliesslich der in Deutschland erzielten Einkünfte aus der GmbH, der schweizerischen Sozialversicherungspflicht unterliegt.
In der Praxis stellt sich oft die Frage nach der Beitragsbemessung des Einkommens in der Schweiz. Per se ist Urban Jacomet in diesem Falle verpflichtet, auf dem deutschen Einkommen die schweizerischen Arbeitnehmerbeiträge zu entrichten. Sollten keine Lohnzahlungen nachgewiesen werden können, greifen Ausgleichskassen gern auf den Reingewinn der deutschen GmbH zurück und behandeln diesen als das Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit. Dies führt in den meisten Fällen zu einer höheren Bemessungsgrundlage, führt jedoch dazu, dass die Pflichtbeiträge an gewisse Arbeitnehmerversicherungen wie ALV, UVG und BVG entfallen.
Nebst der Sozialversicherungspflicht hat das Engagement in der Schweiz auch für das Einkommen steuerliche Folgen für Urban Jacomet. Gemäss dem Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und der Schweiz sind Verwaltungsratshonorare in der Schweiz vollumfänglich steuerbar. Das erzielte Einkommen wird mittels der Quellensteuer besteuert. Speziell ist hier zu beachten, dass Verwaltungsratshonorare von den Kantonen mit einem festen Prozentsatz und nicht mit einem progressiven Prozentsatz besteuert werden. Die Kantone haben jeweils Bandbreiten von 15 bis 30 Prozent festgelegt. Es empfiehlt sich, den Prozentsatz mit dem für den Kanton zuständigen Amt abzuklären. Die Verantwortung für die korrekte Abrechnung mit dem Verwaltungsrat und die Begleichung der Verbindlichkeiten trägt der Arbeitgeber.
Im Falle von Deutschland ist gemäss DBA vorgesehen, dass Urban Jacomet die entrichtete Quellensteuer in der Schweiz auf seine in Deutschland anfallende Steuerlast anrechnen kann.
Praxisbeispiel 3 – Schweizer Verwaltungsrat – französisches Start-up, internationale Folgen
Claire Mathys, französische Staatsbürgerin mit Wohnsitz in Bordeaux, ist Gründerin und CEO eines Start-ups im Bereich Life Sciences. Sie ist ausschliesslich in Frankreich unternehmerisch tätig, bezieht dort ihr Einkommen und unterliegt dem französischen Sozialversicherungssystem.
Auf Einladung eines ehemaligen Studienkollegs übernimmt sie ein Verwaltungsratsmandat bei einem Schweizer Recyclingunternehmen mit Sitz in Montreux. Ihre Motivation ist ideell, und sie erhält lediglich eine pauschale Entschädigung von 2’000 Franken pro Jahr.
Ein Jahr später wird das Mandat im Rahmen einer Betriebsprüfung bei der Schweizer Gesellschaft thematisiert. Die Ausgleichskasse stuft das Mandat als bedeutend ein, obwohl der zeitliche Aufwand minimal ist und die Vergütung gering erscheint. Da Claire Mathys in Frankreich eine selbständige Tätigkeit ausübt, die Schweiz jedoch das VR-Mandat als unselbständige Tätigkeit qualifiziert, greift die Regelung der EU-Verordnung 883/2004.
Folge: Claire Mathys wird in der Schweiz vollumfänglich sozialversicherungspflichtig – und zwar auf ihr gesamtes Erwerbseinkommen, inklusive des Gewinns aus ihrem französischen Start-up.
Fazit
Internationale Verwaltungsratsmandate bieten grosse Chancen – sie bringen jedoch auch erhebliche steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Risiken mit sich. Eine sorgfältige Prüfung und die frühzeitige Klärung der rechtlichen Rahmenbedingungen sind unerlässlich, um unerwünschte Konsequenzen zu vermeiden.
Es empfiehlt sich, vor der Annahme eines ausländischen VR-Mandats die weiteren Beschäftigungsverhältnisse sowie deren Entlöhnung zu prüfen. So kann eine nicht erwünschte Sozialversicherungspflicht verhindert und die Quellensteuer korrekt abgerechnet werden. (OBT/mc/ps)