OBT: Neues Aktienrecht – Pflichten bei Kapitalverlust und Überschuldung

OBT: Neues Aktienrecht – Pflichten bei Kapitalverlust und Überschuldung
(Foto: OBT)

St. Gallen – Seit einem Jahr sind im Aktienrecht neue Regelungen in Bezug auf drohende Zahlungsunfähigkeit, Kapitalverlust und Überschuldung in Kraft. Daraus ergeben sich sowohl für die Revisionsstelle als auch für den Verwaltungsrat Pflichten. In diesem Artikel fassen wir die wichtigsten Punkte dazu zusammen.

Im neuen Aktienrecht stellt die Unterscheidung zwischen «geschützten gesetzlichen Reserven» und gesetzlichen Reserven, die den Aktionären ausbezahlt werden können, die grösste Änderung bei der Berechnung des Kapitalverlusts dar. Zudem vermindern Eigenkapitalanteile, die direkt gehalten werden, das frei verfügbare Eigenkapital. In Bezug auf die Auswirkungen von Covid- und Härtefallkrediten hat sich nichts geändert. Diese werden weiterhin nicht als Fremdkapital berücksichtigt, wenn es um die Berechnung der Deckung von Kapital und Reserven nach Art. 725a Abs. 1 OR sowie die Feststellung einer Überschuldung nach Art. 725b OR geht.

Pflichten des Ver­wal­tungsrats bei einem Ka­pi­tal­verlust
Weist die letzte Jahresrechnung einen Kapitalverlust auf, muss der Verwaltungsrat (VR) Massnahmen ergreifen, um den Kapitalverlust zu beseitigen. Der VR muss entsprechende Sanierungsmassnahmen lancieren oder der Generalversammlung solche vorschlagen, sofern diese in deren Zuständigkeit liegen (Art. 725a Abs. 1 OR).

Seit dem 1. Januar des vergangenen Jahres sieht das Gesetz (Art. 725a Abs. 2 OR) vor, dass Gesellschaften ohne Revisionsstelle (Opting-out), bei denen ein Kapitalverlust vorliegt, die letzte Jahresrechnung vor der Genehmigung durch die Generalversammlung einer eingeschränkten Revision unterziehen müssen. Der VR hat somit einen zugelassenen Revisor oder eine zugelassene Revisorin mit dieser Prüfung zu beauftragen. Eine Prüfung kann nur ausgesetzt werden, wenn der VR eine Nachlassstundung beantragt. Rangrücktritte entbinden ihn nicht von seinen Pflichten gemäss Art. 725a OR.

Prüfung be­schränkt sich auf Jah­res­rechnung
In diesem Fall erfolgt eine eingeschränkte Revision im Auftragsverhältnis gemäss den Schweizer Standards zur eingeschränkten Revision, wobei sich der Auftrag auf die Prüfung der Jahresrechnung beschränkt. Jegliche Anträge an die Generalversammlung, z.B. zur Verrechnung des Bilanzverlusts oder zur Verwendung von Reserven, unterliegen nicht dieser Prüfung.

Für die Revisionsstelle gibt es keine weiteren Melde- oder Handlungspflichten, was bedeutet, dass sie nicht verpflichtet ist, die Generalversammlung gemäss Art. 699 Abs. 1 OR erneut einzuberufen oder das Gericht gemäss Art. 729c OR zu benachrichtigen. Gibt es begründete Besorgnis, dass eine Überschuldung besteht, ist für den zugelassenen Revisor oder die zugelassene Revisorin auch keine Pflicht zur Durchführung einer zusätzlichen Prüfung gemäss Art. 725b OR vorgeschrieben. Hingegen hat der VR die auferlegten Pflichten gemäss Art. 725b OR zu beachten.

Über­schuldung er­fordert Zwi­schen­ab­schluss
Bei einer Überschuldungssituation ist das Eigenkapital der Gesellschaft durch Verluste vollständig aufgebraucht. Die Pflichten gemäss Art. 725a OR (Kapitalverlust) bestehen weiterhin. Die Jahresrechnung einer Opting-out-Gesellschaft muss daher auch dann einer eingeschränkten Revision unterzogen werden, wenn es eine begründete Besorgnis bezüglich einer Überschuldung gibt oder sich buchmässig eine Überschuldung zeigt. Der VR muss seine Bemühungen zur Sanierung fortsetzen.

Schon der begründete Verdacht einer Überschuldung führt zu zusätzlichen Pflichten gemäss Art. 725b OR. Das bedeutet, dass der VR unverzüglich einen Zwischenabschluss zu Veräusserungs- und Fortführungswerten erstellen muss. Aktuelle Zwischenabschlüsse müssen zudem gemäss den Schweizer Standards zur Abschlussprüfung (SA-CH) überprüft werden, um festzustellen, ob tatsächlich eine Überschuldung vorliegt oder nicht. Manifestiert sich eine Überschuldung buchmässig, kann ein Gang vor Gericht durch Rangrücktritte vermieden werden. Der Rangrücktritt befreit ein Unternehmen jedoch nicht von der Pflicht, einen Zwischenabschluss zu erstellen. Einzig eine vollständige Sanierung, die beispielsweise mithilfe eines Forderungsverzichts erfolgen kann, befreit von den Pflichten nach Art. 725b OR.

Un­ab­hän­gigkeit ist ein Muss
Bei einer eingeschränkten Revision der Jahresrechnung gemäss Art. 725a OR handelt es sich um eine gesetzliche Prüfung, und es gelten dieselben Bestimmungen wie bei einer eingeschränkten Revision durch die Revisionsstelle. Demnach ist beispielsweise unter bestimmten organisatorischen und personellen Bedingungen sowie bei entsprechender Offenlegung im Prüfbericht die Mitwirkung bei der Buchführung gestattet (Art. 729 OR).

Führt die Revisionsstelle eine eingeschränkte Revision durch und wirkt sie gleichzeitig im Rahmen von Art. 729 Abs. 2 OR bei der Buchführung mit, sind auch die Prüfungen der Zwischenabschlüsse gemäss Art. 725b Abs. 2 OR mit der Unabhängigkeit vereinbar.

Zeit­nahe Er­gän­zungen be­achten
Die Pflichten des VR und der Revisionsstelle sowie die Berechnungslogiken gemäss den neuen Art. 725 und 725a–725c OR gelten seit dem 1. Januar 2023 und finden auch für Abschlüsse mit Bilanzstichtagen vor dem 1. Januar 2023 Anwendung.

Für Unternehmen, die in der Vergangenheit bereits Kapitalverluste oder Überschuldungen in ihrer Jahresrechnung ausgewiesen haben, gibt es keine Erleichterungen. In Bezug auf bestehende Rangrücktritte, die Zinsforderungen nicht ausdrücklich umfassen, empfiehlt es sich, die Vereinbarungen zeitnah zu ergänzen, um einen Gang vor Gericht zu vermeiden und die Risiken für den VR und die Revisionsstelle aufgrund dieser Rechtsunsicherheit einzuschränken. (OBT/mc/ps)

Fazit
Mit der Einführung des neuen Aktienrechts am 1. Januar 2023 wurden die Pflichten bei einem Kapitalverlust und bei einer Überschuldung sowohl für den Verwaltungsrat (VR) als auch für die Revisionsstelle verschärft (Art. 725a und 725b OR). Wichtig ist, dass sie insbesondere vom VR konsequent beachtet und angewendet werden. Bei Nichtbeachtung kann in gewissen Fällen die Genehmigung der Jahresrechnung durch die Generalversammlung nichtig sein, oder es können sich für den VR sogar Haftungsfälle ergeben. Zudem ist es ratsam, bestehende Rangrücktritte den neuen Anforderungen anzupassen, um Rechtsunsicherheiten zu vermeiden.

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