Trump und Biden geben sich am letzten Wahlkampftag siegessicher

Trump und Biden geben sich am letzten Wahlkampftag siegessicher
US-Präsident Donald Trump.

Washington – Zum Auftakt des letzten Tages vor der US-Präsidentschaftswahl am Dienstag haben sich beide Kandidaten siegesgewiss gezeigt. Vor einem Kundgebungsmarathon in fünf Städten im Nordosten der USA rief Amtsinhaber Donald Trump in einer Videobotschaft dazu auf, möglichst früh und im Wahllokal zu wählen. Sein Herausforderer Joe Biden hatte zum Abschluss noch zwei Auftritte geplant und kritisierte Trumps Reise in den besonders heftig von der Corona-Pandemie getroffenen Staat Wisconsin.

Die Stadt Kenosha in Wisconsin, die am Montag bereits zum zweiten Mal seit September auf Trumps Reiseplan stand, steht beispielhaft für die aktuellen Herausforderungen der USA. Nach einem Polizeieinsatz am 23. August, bei dem der 29-Jährige Jacob Blake schwer verletzt wurde, kam es wochenlang zu teilweise gewaltsamen Protesten gegen Rassismus. Wisconsin gehört derzeit zudem zu den US-Staaten mit den meisten Corona-Neuinfektionen. Bezogen auf die Bevölkerungsgrösse liegt der Bundesstaat hinter North Dakota und South Dakota auf dem dritten Platz bei den Ansteckungen innerhalb von sieben Tagen.

Biden will Experten zuhören und der Wissenschaft vertrauen
Biden kritisierte am Montag den Besuch Trumps in Wisconsin und warf ihm vor, keinen Plan zur Eindämmung der Pandemie zu haben. «Wenn ich im Oval Office bin, werde ich an der Seite von Wisconsin stehen und den Experten zuhören, der Wissenschaft vertrauen und meinen Plan umsetzen, um das Virus unter Kontrolle zu bringen», fügte Biden hinzu.

Kenosha war am Montag das vierte Ziel bei Trumps Abschlusstour im Wahlkampf. Vorher wollte er noch in Fayetteville in North Carolina, Avoca in Pennsylvania und in Traverse City in Michigan auftreten. Letzter Programmpunkt war eine Kundgebung in Grand Rapids, ebenfalls in Michigan. Biden wollte zum Abschluss des Wahlkampfs ebenfalls im besonders heftig umkämpften Pennsylvania auftreten, wo er auf die Schützenhilfe von Lady Gaga zählen kann, sowie in Ohio, wo Umfragen ebenfalls auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen hindeuten.

Unsicherheit vor Abstimmung
Vor dem historischen Wahltag am Dienstag herrscht Anspannung und Sorge, dass die Abstimmung im Chaos enden könnte. Für Unruhe sorgte ein Bericht, wonach sich Trump voreilig zum Wahlsieger erklären könnte. Die Nachrichtenseite «Axios» berichtete am Sonntag unter Berufung auf drei ungenannte Quellen, Trump habe mit Vertrauten Pläne besprochen, wonach er im Fall eines Vorsprungs in der Wahlnacht noch vor Ende der Stimmenauszählung den Sieg für sich deklarieren könnte. Der Präsident nannte den Bericht «falsch». Er forderte aber erneut, dass ein Wahlergebnis noch in der Nacht zu Mittwoch vorliegen müsse.

Biden: «Trump wird diese Wahl nicht stehlen»
«Ich denke, dass es nicht fair ist, dass wir nach der Wahl eine lange Zeit warten müssen», sagte der 74-Jährige vor Journalisten im Bundesstaat North Carolina. «Sobald die Wahl vorbei ist, gehen wir mit unseren Anwälten rein.» Trump-Sprecherin Kayleigh McEnany bekräftigte das am Montag. Eine längere Auszählung öffne die Tür für Wahlbetrug. Biden konterte, der Präsident werde «diese Wahl nicht stehlen». Trump untergräbt seit langem das Vertrauen in den Wahlprozess. Er bereitet damit nach Ansicht von Kritikern das Feld dafür, im Fall seiner Niederlage das Ergebnis anzufechten. Beide Seiten haben die diesjährige Abstimmung zur Schicksalswahl erklärt.

94 Millionen Amerikaner haben bereits abgestimmt
Wegen der Pandemie hat bereits eine Rekordzahl von Briefwählern ihre Stimme abgegeben. Umfragen zufolge wollen mehrheitlich Bidens Anhänger von der Möglichkeit Gebrauch machen, per Briefwahl abzustimmen. In umkämpften Bundesstaaten wie Pennsylvania können Briefwahlstimmen noch Tage nach der Wahl ausgezählt werden. Das könnte dazu führen, dass Trump in der Nacht zu Mittwoch vorne liegt, sein Vorsprung sich aber in den Tagen danach in eine Rückstand verwandelt. Dann würden die Wahlleute in den Bundesstaaten, in denen sich das Ergebnis dreht, doch nicht Trump, sondern Biden zugesprochen. Trump behauptet seit Monaten ohne jeden Beleg, die Stimmabgabe per Briefwahl begünstige Wahlbetrug.

Mehr als 94 Millionen Amerikaner haben bereits die Möglichkeit genutzt, vor dem offiziellen Wahltermin am Dienstag per Brief oder in vorab geöffneten Wahllokalen abzustimmen. Das entspricht nach Angaben des «U.S. Elections Project» mehr als zwei Drittel aller Wähler 2016. Der demokratische Gouverneur von Pennsylvania, Tom Wolf, will seinen Bundesstaat im Falle von Verzögerungen in einem Werbespot zu Geduld aufrufen. «Wegen des Coronavirus wurden Millionen von Stimmen per Post abgegeben, so dass es länger als gewöhnlich dauern kann, jede Stimme auszuzählen», sagt der Demokrat einem CNN-Bericht zufolge in dem Video, das am Wahltag und wenn nötig danach ausgestrahlt werden soll.

Verschärfte Sicherheitsvorkehrungen
Mit Blick auf mögliche Unruhen wurden die Sicherheitsvorkehrungen in einigen Teilen des Landes deutlich verschärft. Berichten zufolge wird das Weisse Haus, in dem Präsident Trump die Wahlnacht mit Hunderten Gästen verbringen will, abgeriegelt. In der Innenstadt von Washington und mehreren anderen Grossstädten wurden Schaufensterscheiben von Geschäften mit Holzplatten verbarrikadiert. Die berühmte Shoppingmeile «Rodeo Drive» in Beverly Hills soll ebenfalls für zwei Tage für Autos und Fussgänger gesperrt werden.

Biden-Bus von Trump-Anhängern bedrängt
Wie hoch die Emotionen bereits kochen, zeigte ein Zwischenfall mit einem Biden-Wahlkampfbus in Texas. Auf Aufnahmen war zu sehen, wie der Bus bei der Fahrt auf einer Schnellstrasse unter anderem von Pickups und SUVs mit Trump-Flaggen umringt wurde. Dabei berührten sich auch zwei Wagen direkt hinter dem Bus. Die Bundespolizei FBI hat übereinstimmenden Medienberichten zufolge Ermittlungen wegen dieser scheinbaren Belästigung aufgenommen. Trump hatte das Video auf Twitter geteilt und geschrieben: «Ich liebe Texas!» Als Reaktion auf die FBI-Untersuchungen schrieb er am Sonntagabend (Ortszeit) zudem: «Meiner Meinung nach haben diese Patrioten nichts falsch gemacht.»

Umkämpfte Swing States
Der Wahlkampf konzentriert sich im Endspurt auf «Swing States» wie Florida oder Pennsylvania, bei denen erfahrungsgemäss nicht schon im Vorfeld feststeht, ob der Kandidat der Republikaner oder jener der Demokraten siegen wird. Trump lag in Umfragen vom Wochenende sowohl landesweit als auch in mehreren «Swing States» hinter Biden – letzteres aber oft nur knapp. In Pennsylvania ist Bidens Vorsprung geschrumpft. Trumps Wiederwahl wäre wegen des US-Wahlsystems auch dann nicht ausgeschlossen, wenn Biden landesweit die meisten Stimmen bekommen sollte.

Bei seinen Auftritten am Sonntag hatte Trump Herausforderer Biden erneut ohne Belege der Korruption beschuldigt. Ausserdem spielte er Videos mit Versprechern seines Kontrahenten ab und warnte für den Fall seiner Niederlage vor einer Wirtschaftskrise. Biden schoss bei einer Rede in Philadelphia zurück: «Es ist an der Zeit für Donald Trump, seine Taschen zu packen und nach Hause zu gehen. Es ist an der Zeit, wieder etwas Leben in diese Nation zurückzubringen. Wir sind fertig, wir sind müde von den Tweets, der Wut, dem Hass, dem Versagen und der Verantwortungslosigkeit.» Biden kritisierte Trumps Krisenmanagement in der Pandemie als «fast kriminell».

Wagt es Trump, Fauci zu feuern?
In den USA sind bereits mehr als 230 000 Menschen am Coronavirus gestorben – mehr als in jedem anderen Land der Welt. Trotz deutlich steigender Infektionszahlen versicherte Trump am Sonntag mehrfach, die USA seien in der Corona-Krise bald über den Berg. Der führende US-Gesundheitsexperte Anthony Fauci dagegen stimmte die Amerikaner unterdessen auf eine deutliche Verschlechterung der Pandemie-Lage ein. «Uns steht eine ganze Menge Leid bevor. Es ist keine gute Situation», sagte Fauci der «Washington Post». Die USA könnten vor dem Herbst und Winter «unmöglich schlechter positioniert sein».

Trump deutete bei seiner letzten Wahlkampfveranstaltung am Sonntag an, Fauci nach der Wahl feuern zu wollen. Als die Menge in Florida «feuer Fauci» rief, sagte Trump: «Sagt es keinem, aber lasst mich warten bis ein kleines bisschen nach der Wahl. Ich weiss den Rat zu schätzen.» (awp/mc/pg)

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