Wiegenlied für Investoren

Wiegenlied für Investoren

Ad van Tiggelen, Senior Investment Specialist ING Investment Management.

Den Haag – Die Finanzmärkte starteten recht extrem ins neue Jahr: Eine euphorische Anlegerstimmung sowie niedrige Volatilität an den Aktienmärkten legten nahe, dass Risiken – wenn auch vorhanden – nicht wahrgenommen werden. Gleichzeitig standen die Devisenmärkte in Flammen – die Medien beschworen mit jedem zweiten Satz die Krise. Diese widersprüchlichen Beobachtungen werfen allerdings die Frage auf: Sind die Risiken wirklich weitgehend gebannt oder hat es die Notenbank geschafft, die Anlegerschaft erfolgreich einzulullen?

In den Jahren 2011 und 2012 senkten die Zentralbanken durch ihr entschlossenes Handeln rund um den Erdball die Gefahr eines systemischen Zusammenbruchs. Diejenigen Banken, die dabei am offensivsten vorgingen, konnten sogar eine gewisse Wachstumsdynamik anstossen. In jüngster Zeit gelingt ihnen das so gut, dass ein unbedarfter Beobachter meinen könnte, alles sei in Ordnung in der Welt. Aktienanleger lassen sich anscheinend vom Rattern der Notenpressen einlullen und vergessen darüber die Risiken. Und das ist durchaus verständlich, denn schliesslich haben die Notenbanken nicht nur die Stabilität wieder hergestellt, sondern auch die Zinsen so radikal gesenkt, dass sie die Investoren gleichsam in die höher rentierlichen Anlageformen zwingen.

«Gute Nachrichten sind keine Nachrichten»
«Zum Glück“ gibt es da noch die Medien, die uns nicht vergessen lassen, dass Europa sich immer noch inmitten einer Krise befindet. Denn für die Medien scheint zu gelten: „Gute Nachrichten sind keine Nachrichten“ – das jedenfalls konnte ich im Laufe der Jahre feststellen, wenn meine Kolumnen veröffentlicht wurden. Von der Tonart her eher düstere Beiträge wurden von der europäischen Presse sehr viel begeisterter aufgenommen als die mit einer freundlicheren Weltsicht. Die Neigung zum Drama ist aber einer der Faktoren, die das Verbrauchervertrauen belasten. Doch die Anlegerschaft scheint das nicht weiter zu kümmern. Sie schauen jetzt auch über den europäischen Tellerrand hinaus und orientieren sich an den Kräften, die die Weltwirtschaft insgesamt antreiben, die Arena, in der die Notenbanken weiterhin eine zentrale Rolle spielen.

Japans radikaler Bruch mit der Vergangenheit
Das zeigte sich auch im Januar wieder. Nachdem die Stabilisierungsbemühungen der vergangenen Jahre erfolgreich waren, steht jetzt wieder Wachstum im Mittelpunkt. Dabei gilt eine Währungsabwertung aus Wettbewerbsgründen vielfach als der direkte Weg zum Wachstum. Allein im Januar liess der Yen um fast 9 Prozent gegenüber dem Euro nach! Das britische Pfund und der US-Dollar fielen um 6 bzw. 3 Prozent. Das liegt daran, dass die Notenpressen in diesen Ländern (erwartungsgemäss) sehr viel schneller laufen als in der Eurozone. Für Japan bedeutet das einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit, ein letzter Versuch, aus der Deflationsspirale auszubrechen, die dieses alternde Land seit Langem lähmt. Für die USA und Grossbritannien ist es dagegen „business as usual“.

Die Kehrseite dieser Entwicklung ist, dass die EZB – also diejenige Notenbank, die ihre Bilanzen weniger schnell als die anderen aufgebläht hat – nicht nur die Geldpolitik einer Region steuert, deren Wachstum immer noch stagniert, sondern auch eine Währung hütet, die Gefahr läuft, zu stark zu werden. Hält dieser Trend an, könnte die EZB sich gezwungen sehen, die Zinsen noch weiter zu senken bzw. selbst die Notenpresse schneller zu drehen.

Zinsen bleiben extrem niedrig oder fallen sogar weiter
Was bedeutet das also für Investoren? Erstens werden die Geldmarktzinsen in der Eurozone extrem niedrig bleiben oder sogar noch weiter fallen. Zweitens sind die Aktienbewertungen infolge der kräftigen Rallyes seit dem Sommer – vor allem in den USA – nicht mehr so günstig. Ab jetzt werden weitere Zuwächse nur mühsam zu erreichen sein; die bescheidenen Gewinnaussichten verstärken diesen Effekt noch. Wir sind immer noch von Aktien angetan, allerdings weniger als vor ein paar Monaten. Vielleicht mausert sich Japan ja 2013 zum beliebtesten „Wiegenlied“ an den Finanzmärkten. Mit Überraschungen muss man schliesslich rechnen, waren es doch in letzter Zeit die Zentralbanken, deren unorthodoxes Verhalten die wichtigsten Impulse angestossen hat. (ING IM/mc/pg)

 

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