Allianz Trade: Die transatlantische Kluft beim Betriebskapitalbedarf

Wallisellen – Allianz Trade, ein weltweiter Anbieter von Warenkreditversicherungen, hat heute seinen Bericht über den Betriebskapitalbedarf (Working Capital Requirements, WCR) und die globalen „Days Sales Outstanding“ (DSO) – also den Zeitraum zwischen Rechnungslegung und deren Bezahlung – veröffentlicht. Die Ergebnisse zeigen eine wachsende Kluft zwischen nordamerikanischen und europäischen Unternehmensstrategien auf und verdeutlichen, wie Unternehmen mit wirtschaftlicher Unsicherheit, schwacher Nachfrage und veränderter Handelspolitik umgehen.
Im Jahr 2024 stieg der weltweite Betriebskapitalbedarf WCR – also die Zeit, die ein Unternehmen benötigt, um sein Betriebskapital zu finanzieren – um 2 Tage auf 78 Tage an und erreichte damit den höchsten Stand seit der globalen Finanzkrise. Anfang 2025 zeigten sich in einigen Regionen vorsichtige Anzeichen einer Besserung, mit einigen Ausnahmen: Westeuropa verzeichnete im dritten Jahr in Folge einen Anstieg (+4 Tage) und auch in der Region Asien und Pazifik (APAC) stieg der WCR moderat (+2 Tage an). Im Gegensatz dazu verzeichneten die USA einen Rückgang, der auf den Abbau von Lagerbeständen zurückzuführen ist.
«Im vierten Quartal 2024 wiesen 35 % der Unternehmen weltweit einen WCR von mehr als 90 Tagen auf, und die Teilzahlen deuten auf einen etwas stärkeren vierteljährlichen Aufschwung hin als üblich», erklärt Ano Kuhanathan, Leiter der Unternehmensforschung bei Allianz Trade. «Die Lagerbestände der US-Unternehmen sind jedoch trotz rekordhoher Importe gesunken, was eher auf eine selektive Vorratshaltung als auf eine weit verbreitete Bevorratung hindeutet. Dies hat die Erträge gesteigert und Kapital freigesetzt, was die Voraussetzungen für Aktienrückkäufe von mehr als 1 Mrd. USD im Jahr 2025 schafft (234 Mrd. USD in Q1 angekündigt). Die US-Firmen setzen nicht auf Wachstum, sondern leiten Kapital von den Lagern in die Brieftaschen und von den Fabriken zu den Aktionären um.»
Aufgrund einer schwachen Nachfrage waren vom Anstieg des WCR in Nordamerika, Westeuropa und APAC vor allem sieben Sektoren stark betroffen: Transportausrüstung, Chemie, Energie, Einzelhandel, Maschinenausrüstung, Metalle und Software/IT-Dienstleistungen. Die Sektoren, bei denen der WCR zurückging, waren eher gestreut; verbessert haben sich hier vor allem die US-Sektoren sowie einige spezifische Sektoren in Europa (Papier, B2C-Dienstleistungen, Gastgewerbe).
Längere Zahlungsfristen sind die Hauptursache, vor allem in Europa, wo die Unternehmen als versteckte Bankiers auftreten
2024 stiegen die weltweiten Forderungslaufzeiten (DSO) um 2 Tage und damit etwas stärker als der WCR – sie waren damit der Hauptfaktor für die Erhöhung des Betriebskapitals. Gleichzeitig stieg der Verbindlichkeitenbestand (Days Payable Outstanding – DPO) leicht (+1) und die Lagerbestände (Days Inventories Outstanding – DIO) blieb stabil. Europäische Unternehmen erhöhten die Lagerbestände und hielten die Forderungen auf einem hohen Niveau, während die Verbindlichkeiten verkürzt wurden – was zu einem deutlich höheren WCR führte.
«Angesichts höherer Lagerbestände und niedrigerer DPOs haben europäische Unternehmen ihre Handelspartner durch verlängerte Zahlungsfristen und die Übernahme von Risiken finanziell unterstützt», erklärt Maxime Lemerle, Lead Analyst für Insolvenzforschung bei Allianz Trade. «Zwischen dem vierten Quartal 2024 und dem ersten Quartal 2025 haben Unternehmen effektiv zusätzliche 11 Milliarden Euro an Unternehmenskrediten zur Verfügung gestellt – das entspricht fast den monatlichen neuen Kreditflüssen der Banken seit Jahresbeginn.»
Welche Folgen könnte der laufende Handelskrieg haben?
Angesichts der rekordverdächtigen Unsicherheit und der anhaltenden Handelsspannungen wird das globale Wirtschaftswachstum auf dem niedrigsten Stand seit 2008 verharren, Rezessionsphasen ausgenommen. Vor diesem Hintergrund wird die schwache Nachfrage den Umsatz der Unternehmen im Jahr 2025 unter Druck setzen. Da die US-amerikanischen Unternehmen geringere Lagerbestände haben und die europäischen Unternehmen ein erhebliches Kreditrisiko tragen, bleiben sie anfällig für einen steigenden Finanzierungsbedarf.
«In einem ungünstigen Szenario würden die WCR weiter deutlich ansteigen. Sollten in den USA Zölle in der am «Liberation Day» angekündigten Höhe eingeführt werden, würde das BIP-Wachstum um -1 Prozentpunkt sinken, was den WCR in die Höhe treiben würde; die Unternehmen müssten dann im Vergleich zu unserer Basisprognose für den WCR zusätzliche 8,5 Mrd. EUR in Europa und 15,5 Mrd. USD in den USA finanzieren (das entspricht 3 Umsatztagen für beide Regionen). Zudem könnten der WCR in Europa um 14 Mrd. EUR und in den USA um 26 Mrd. USD ansteigen, wenn die Zinssätze aufgrund von fiskalischen Fehlentwicklungen und angebotsbedingten Inflationsschocks um einen Prozentpunkt steigen», erklärt Ana Boata, Leiterin der makroökonomischen Forschung bei Allianz Trade. (Allianz Trade/mc/ps)