Bernd Hartmann, VP Bank: Unternehmen haben ein Luxusproblem

Bernd Hartmann, VP Bank: Unternehmen haben ein Luxusproblem

Von Bernd Hartmann, VP Bank

Die Gegensätze könnten kaum grösser sein: Während viele Unternehmen in Liquidität schwimmen, droht die Schuldenlast manche Staaten zu erdrücken. Die Wirtschaftskrise führte zu Steuerausfällen, gleichzeitig nahmen die Ausgaben durch Konjunkturpakete und Stützungsmassnahmen zu. Die Politik hat zwar das Schuldenproblem erkannt – nicht zuletzt auf Druck der Bondmärkte. Jedoch ist ein Abbau der Verschuldung erst mittelfristig möglich. Dagegen sind die Herausforderungen, mit denen sich viele Finanzvorstände konfrontiert sehen, ein Luxusproblem. Die Unternehmen konnten in den vergangenen Jahren ihre Schuldenlast deutlich reduzieren, die Qualität ihrer Bilanzen hat sich merklich verbessert. Mit der Erholung der Gewinne hat sich auch die Liquiditätsausstattung der Unternehmen zunehmend verbessert. Die Unternehmen stehen nun vor der Frage, wie sie mit den freien Mitteln umgehen sollen. Damit hat sich zwar ihr Handlungsspielraum vergrössert, aber auch die Gefahr von Fehlinvestitionen.

Symbolbild VP Bank

Die Unternehmen kommen gestärkt aus der Rezession
Während der Wirtschaftskrise waren die Unternehmen bedacht, ihren Cashflow und ihre Liquidität zu sichern. Sie verfolgten dieses Ziel mit Nachdruck, da die Dauer der Krise lange nicht absehbar schien. Zudem versiegte infolge der Bankenkrise die Kreditvergabe als Finanzierungsquelle von Liquiditätsengpässen. Die Unternehmen reagierten schnell und teils drastisch: Lagerbestände wurden abgebaut, die Produktion deutlich gedrosselt und Investitionen konsequent zurückgestellt. Im Gegensatz zu früheren Rezessionen wurde so Liquidität freigesetzt anstatt absorbiert. Trotz fallender Unternehmensgewinne blieb der Kapitalfluss stabil. Die Folge: Die Unternehmen stehen heute gesünder da als vor der Rezession.

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Die Bilanzqualität steigt
Die Weltwirtschaft hat sich schneller erholt, als dies allgemein erwartet wurde. Die Gewinne der börsengehandelten Unternehmen haben sich im abgelaufenen Jahr um 37 % gegenüber dem Vorjahr erholt. Die Manager agieren jedoch weiterhin recht vorsichtig. Die amerikanischen Unternehmen horten heute mehr als doppelt so hohe flüssige Mittel in ihren Bilanzen wie vor zehn Jahren. 2007 betrug der Anteil der liquiden Mittel an der Bilanzsumme noch 5.7 %, drei Jahre später sind es 8.7 %. Nach der Stabilisierung der Weltwirtschaft gibt es nur noch wenige Gründe für ein so komfortables Sicherheitspolster. Die Planbarkeit ist weitgehend wiederhergestellt, die Kapitalaufnahme am Bondmarkt ist wieder möglich, und die Banken dürften bald ihre Kreditvergabe lockern. Zudem erwirtschaften die hohen Bargeldbestände im derzeitigen Niedrigzinsumfeld keine Rendite. Der Ruf der Investoren, die freien Mittel zu investieren, dürfte also allmählich wieder lauter werden.

Den Handlungsspielraum nutzen
Die freien Mittel können verschiedentlich verwendet werden. Am offenkundigsten ist der Einsatz im operativen Geschäft. In den Industrieländern dürfte dabei vor allem in Produktivitätssteigerungen investiert werden; in den Schwellenländern eher in den Aus- und Aufbau von Kapazitäten für den lokalen Markt. Alternativ zum organischen Wachstum können die Unternehmen in Akquisitionen investieren. Das Umfeld für Übernahmen ist durchaus gut. Die Bewertungen am Aktienmarkt sind zwar nicht mehr so tief wie noch vor zwei Jahren, liegen aber weiter unter dem langjährigen Schnitt. Zusätzliches Fremdkapital kann derzeit am Bondmarkt zu günstigen Konditionen aufgenommen werden. Fusionen und Übernahmen sind jedoch umstritten. Zahlreiche Studien zweifeln die Erfolgsaussichten für das übernehmende Unternehmen an. Der positive Beitrag wird oft überschätzt, viele Akquisitionen finden ihren Ursprung im Machthunger der Manager (Empire Building) und sind am Ende überteuert, so die Kritik. Dies gilt vor allem für sogenannte Megafusionen, wie etwa die inzwischen wieder geschiedene Ehe von Daimler und Chrysler. Bei kleineren Übernahmen oder dem Kauf von abgespalteten Unternehmensteilen bestehen durchaus bessere Erfolgsaussichten.

Im Zweifel Kapitalrückgabe
Bieten sich keine attraktiven Investitionsmöglichkeiten, macht es durchaus Sinn, nicht benötigtes Kapital an die Eigner zurückzugeben. Am weitesten verbreitet sind Ausschüttungen in Form von Dividenden. In Europa haben anlässlich der jüngsten Berichtssaison fast doppelt so viele Unternehmen angekündigt, ihre Dividenden zu erhöhen wie zu senken. Durchschnittlich steigen die Ausschüttungen um 17 %. Die Dividendenrendite des europäischen Aktienmarktes beträgt aktuell 3.75 %. Trotz der überdurchschnittlichen Dividendenrendite sind die Kapitalausschüttungen keineswegs exzessive. Die Ausschüttungsquote beträgt 41 % und liegt somit leicht unter dem historischen Schnitt. Vor allem in den USA, aber zunehmend auch in Europa, erfreut sich der Rückkauf eigener Aktien grosser Beliebtheit. Bei dieser indirekten Methode werden Aktien etwa über eine zweite Handelslinie zurückgekauft. Da sich dieses Angebot an institutionelle Investoren richtet, geben einige Schweizer Gesellschaften Gratis-Put-Optionen aus. Privatpersonen können diese Instrumente auch und vor allem aus steuerlichen Gründen nutzen. Werden die Aktien nach dem Erwerb vernichtet, sinkt die Anzahl ausstehender Papiere. Dadurch steigt der Gewinn pro Aktie, selbst wenn der Gesamtgewinn unverändert bleibt. Bei konstanter Bewertung muss der Aktienkurs steigen.

Fazit
Die soliden Bilanzen und die anhaltende Verbesserung der Gewinne vergrössern den Handlungsspielraum der Unternehmen. Für die optimale Verwendung der flüssigen Mittel gibt es kein Patentrezept. Die optimale Wahl richtet sich nach den individuellen Wachstumschancen des Unternehmens, der jeweiligen Industrie und Marktstruktur und muss von jedem Unternehmen individuell getroffen werden. Zahlreiche gescheiterte Fusionen aus den späten Neunzigerjahren belegen die Schwierigkeiten bei einer solchen Entscheidung. Doch genau jene Fehlentscheidungen könnten noch so stark im Gedächtnis sein, dass gravierende Fehler diesmal vermieden werden. Ausserdem sind die Bewertungen niedriger als damals. Viele Unternehmen dürften sich kurzfristig aufgrund der Unsicherheiten auch für eine Kapitalrückgabe in Form von Dividenden und Aktienrückkäufen entscheiden. Davon sollten die Aktionäre profitieren.

VP Bank Investment Views April 2011

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