Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Banking im alten Rom

Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Banking im alten Rom

Von Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen.

St. Gallen – Es sind bald sechs Jahre her, als am 15. September 2008 die Subprimeblase in Amerika mit dem Konkurs der Investmentbank Lehman Brothers endgültig platzte. Seit dem ist die Welt des Banking eine andere geworden. Oder um es zutreffender auszudrücken, auf dem Weg, eine andere zu werden. Zunächst sind es die Regulatoren, die den Banken das Leben schwerer machen, denn die erhöhten Eigenkapitalanforderungen insbesondere für die systemrelevanten Banken werden zwar keinen Kreditcrunch nach sich ziehen, dafür aber die Profitabilität der Banken insgesamt schmälern.

Die Zeiten, in denen zweistellige Eigenkapitalrenditen zur Tagesordnung gehörten, dürften definitiv vorüber sein. Nur in den USA erwirtschaften die Wallstreetbanken wieder ähnlich hohe Gewinne wie vor der Krise, allerdings sind auch sie längst nicht mehr so profitabel wie die Dekade zuvor. Zwischen1995 und 2005 lag die Eigenkapitalrendite der US-Banken stets bei gut 15%, heute liegt sie noch knapp unter 10%, notabene in guten Jahren. Mit dem Troubled Asset Relief Program (TARP) hatte die US-Regierung einen Systemcrash an den Finanzmärkten verhindert, in dem sie Milliarden flüssig machte, um die angeschlagenen Finanzinstitute und andere Unternehmen mit genug Eigenmitteln zu versorgen, damit diese nicht Konkurs gingen. Gleichzeitig lagerte die Fed Milliarden faul gewordener Kreditpapiere ein und entlastete so die Bilanzen der Finanzinstitute.

In Europa gestaltete sich die Bankenrettung schwieriger, da nationale Konstellationen einer effizienten Lösung im Wege standen. Mit der Eurokrise wurde schlagartig klar, wie fragil das europäische Bankensystem tatsächlich war. Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht irgendeine Bank für Schlagzeilen sorgt – leider meist negative. Auch hierzulande finden sich vor allem die beiden Grossbanken auf den Titelseiten der Medien. Der Streit mit den US-Behörden und anderen nationalen Steuerhoheiten verschlingt immense Summen. Erst vor kurzem wurde bekanntlich der Credit Suisse eine saftige Busse von 2.6 Milliarden Dollar aufgebrummt.

Reputation angeschlagen
Die Branche bleibt im Visier der Behörden, die zumindest willens zu sein scheinen, die Altlasten raus zu schaffen. Jüngstes Beispiel: die Rekordbusse von 16.7 Milliarden Dollar, auf welche sich die Bank of America (BofA) und das Amerikanische Justizministerium für den Verkauf und die Verbriefung fauler Kreditpapiere geeinigt haben. Im November 2013 hatte ein Vergleich mit JP Morgan im gleichen Tatbestand eine 13 Milliarden Zahlung fixiert. Die BofA hat mittlerweile stolze 75 Milliarden (74.9) aus Rechtsfällen an die US-Behörden abgeführt, JP Morgan 27.1 und Citigroup 12.1 Milliarden, Wells Fargo 9.9 Milliarden. Leider geht es nicht nur um Altlasten aus der Finanzkrise, sondern um Fälle von Steuerbetrug, Kursmanipulationen oder Einflussnahme auf Märkte. Ob Liborzins oder kalifornischer Energiemarkt, Beihilfe zur Steuerhinterziehung oder verboten Geschäfte mit Ländern unter US-Sanktionen, Devisenspekulation oder Manipulation der Nahrungsmittelmärkte, stets sind es dieselben Banken, welche mit entsprechenden Verdachtsmomenten konfrontiert werden.

Längst ist klar geworden, dass vieles was die Banken taten oder noch immer tun in einer Grauzone angesiedelt ist. Das Erstaunlich daran ist lediglich, wie die Öffentlichkeit darauf mittlerweile darauf reagiert. Am Anfang stand noch blankes Entsetzen, als das Ausmass des Crashs offenbar wurde, dann folgten Anfeindungen und eine gewisse gesellschaftliche Ächtung der Hauptexponenten, heute dominieren die Gleichgültigkeit und Schulterzucken, was zeigt, wie es um die Reputation der Branche steht. Dabei wäre gerade die endgültige Bewältigung von Altlasten der Befreiungsschlag aus der Vertrauenskrise.

Banken sind wie komplexe Grossreiche
Leider sind manche Banken dermassen grosse und komplexe Gebilde, dass sie offensichtlich nicht mehr komplett kontrolliert werden können. Wie sonst ist zu erklären, dass einzelne Händler Milliarden verlieren können oder trotz anderslautender interner Regelungen und Gesetzgebung unversteuerte Kundengelder im grossen Stil an Land ziehen, ohne dass das oberste Management etwas davon gewusst hat? Neben der komplexen Grösse spielen im Bankensektor Anreizsysteme eine Rolle, die es den besten im Job ermöglichen, exorbitante Einkommen zu erzielen, was diese erst ermutigt, übertriebene Risiken einzugehen oder unkontrollierte. Auch weil die Systemrelevanz das Risiko asymmetrisch verteilt und Gewinne privatisiert, Verluste aber der Allgemeinheit angelastet werden. Damit soll nun endgültig Schluss sein, darin sind sich die weltweiten Aufseher klar. Es dürfte allerdings länger gehen, als denen lieb ist, denn natürlich sieht die Branche ihre Felle davonschwimmen und wehrt sich mit allen Mitteln gegen zusätzliche Auflagen.

Wer sich mit der Geschichte des Kaiserreiches in Rom etwas näher auseinandersetzt, findet gewisse Parallelen. Die grösste Ausdehnung erreichte das Reich unter Kaiser Trajan im Jahre 117 n. Chr., hatte aber den eigentlichen Höhepunkt seiner Macht schon einige  Jahre überschritten. 80 n. Chr. war das Kollosseum mit grossen Darbietungen und einem 100 Tage dauernden Fest eingeweiht worden. Doch schon bald danach mussten die Römer mit dem Bau des Limes beginnen, um sich die unruhigen Germanen vom Leib zu halten. Auch wenn Trajan mit dem Sieg über die Daker und Parther das Reich so gross wie nie machte, begannen an den Rändern des riesigen Gebietes die ersten Unruhen. In Rom hingegen nahm das Leben noch eine ganze Zeit seinen gewohnten Lauf – «Brot und Spiele» eben. So wie an Wallstreet, wo die Boni wieder ähnlich üppig fliessen, wie zu den besten Zeiten, was den Blick davor verstellt, dass die goldenen Zeiten im Banking dennoch vorüber sind. Schlechte Neuigkeiten für die Herrscher in Rom, aber gute für die Menschen in deren Reich. Oder eben schlechte Nachrichten für die Bestbezahlten der Branche, gute hingegen für Bankkunden und Volkswirtschaft.  (Raiffeisen/mc/ps)

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