USA: Aktienbullen in der Sackgasse?

USA: Aktienbullen in der Sackgasse?

Von Martin Raab, Derivative Partners AG, www.payoff.ch

Die Würfel um die Präsidentschaftswahlen fallen in wenigen Tagen. Hillary Clinton könnte gegenüber Donald Trump das Rennen machen. Dennoch spricht ein republikanisches Repräsentantenhaus und der demokratisch-dominerte US-Senat für «business as usual» im künftigen Washingtoner Politikbetrieb. Doch was macht Corporate America und die Investoren? Eine Standortbestimmung aus Anlegersicht.

Die neuen Bewohner der 1600 Pennsylvania Ave NW werden am 8. November 2016 bestimmt. Die Chancen stehen gut, dass erstmals seit dem Jahr 1776 eine Frau in das White House einzieht. Der Wahlausgang findet einmal mehr je nach Laune und Stimmzählung der rund 180 Millionen wahlberechtigten Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika statt, die den 58. Präsidenten wählen. Im Gegensatz zu Mitt Romney vs. Barack Obama, polarisierte das Trump vs. Clinton Duell wie keine andere Abstimmung. Obendrein ist dieser Wahlkampf der teuerste in der 240. Jahre alten Geschichte der USA. Bis jetzt haben die Kandidaten bereits jetzt mehr als eine Milliarde Dollar ausgegeben. Und das Werbefeuerwerk gepaart mit viel schmutziger PR-Wäsche verfehlte seine Wirkung nicht: Egal ob im Einkaufsmarkt, beim samstäglichen Country Club Besuch oder am Arbeitsplatz – die neusten Kandidaten-Schlagzeilen sorgen für Gesprächsstoff, obwohl bisher Politik (und Religion) stets aus privaten und geschäftlichen Dialogen tabuartig verbannt wurde.

Szenariospiele am Capitol Hill

Alles andere als ein Tabu sind die Gedankenspiele vieler Anleger für die nächsten vier Jahre. Analysten und Strategen überschlagen sich jetzt mit Szenarios und Was-wäre-wenn-Prognosen. «Wir haben beim Brexit gesehen, wie falsch die Experten liegen können – auch über die Auswirkungen des Marktes» warnt Jim O’Sullivan, Chief U.S. Economist bei High Frequency Economics vor Hektik. «Was die Investoren zuversichtlich stimmt, ist nicht Hillary Clintons Programm, sondern eher der relative politische Status Quo, den ihre Wahl mit sich bringen würde» kommentierte Daniel Steck, US-Aktienspezialist bei der Banque Reyl & Cie. Parallel zu den Präsidentschaftswahlen wurden die Kongresswahlen abgehalten. Erwartungsgemäss läuft alles auf ein republikanisches Repräsentantenhaus und einen demokratischen Senat hinaus. Damit könnte der Politikbetrieb am Capitol Hill wie üblich auf «bipartisan committees», also parteiübergreifende Allianzen, angewiesen sein. In Washingtoner Kreisen erwarten viele ein business as usual –mit demokratischer Präsidentin und entsprechend demokratischem Kabinett. An einen Präsidenten Trump wagt keiner ernsthaft zu denken, zumal dieser in der letzten CNN-Debatte ankündigte, das Wahlergebnis sei «manipuliert».

«Die Börsianer sind nervös, schlechte Quartalszahlen werden inzwischen als sofortiges Ausstiegssignal gewertet.»

Wirtschaft läuft besser als gedacht

Während das Duell um das Weisse Haus dem Ende entgegenläuft, ist das Wirtschaftswachstum nach wie vor intakt. Gemäss Zahlen des staatlichen Bureau of Economic Analysis wuchs die Wirtschaft im Q2/2016 um 1,4%. Für das Q4/2016 erwarten die Analysten von Wells Fargo ein Wachstum um 2.2%. In Summe laufen die Geschäfte zwischen New York City und San Francisco rund, doch waren die eigentlichen Boomjahre 2013 und 2014. Der Wachstumstrend hat sich abgeschwächt. Gleichzeitig haben die Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe einen 20-Jahres-Tiefststand erreicht, das Verbrauchervertrauen den oberen Anschlag. «Der Conference Board Consumer Confidence Index befindet sich inzwischen auf dem höchsten Niveau seit der Rezession in 2008» erklärt Lynn Franco, Director of Economic Indicators beim Analysehaus The Conference Board. Im verarbeitenden Gewerbe wird die Lage, durch den ISM Purchasing Managers Index ausgedrückt, mit 51.50 als moderat positiv bewertet. Das jüngste Hoch in 2011 war bei rund 60, in 2009 dümpelte der ISM Index bei 29.

Vermögen wächst einseitig

Einen Boom nennen es nur wenige, denn die Gesellschaftsschichten sind in den USA nach wie vor intakt. Personen ohne soliden Schulabschluss und akademische Abschlüsse entkommen dem «Underemployment» selten. So rechnet die US-Warenhauskette Macy’s mit 25-Wochenstunden für ihre Vollzeitstellen im Verkauf. Dass ist schön für die Freizeitgestaltung, doch von Löhnen um die USD 1’100 im Monat kann man nur ungenügend auskommen – trotz vergleichsweise tiefer Lebenshaltungskosten. Daher sind zwei Jobs keine Seltenheit. Wer aber Schulblidung, Universitätsabschluss und die richtige Hautfarbe hat, bekommt mit etwas Geschick rund USD 170’000 in seine Lohntüte pro Jahr. Agile Freiberufler schaffen auch eine halbe Million Dollar oder mehr, Fortune100 CEO’s gerne auch zweistellige Millionensalärs. Der Lohn der Fleissigen, wie es im amerikanischen Volksmund heisst, kennt keine Limits. Dass dieses Kastensystem regelmässig Ressentiments hervorruft ist wenig verwunderlich. Es muss aber eingeräumt werden, dass die US-Schul- und Berufsausbildung im Vergleich zu Westeuropa nach wie vor erheblich starken Verbesserungsbedarf hat. An Hochstimmung in Corporate America und satten Dividenden partizipiert folglich nur, wer gute 401k-Aktienpläne besitzt und parallel sein Geld mit Verstand in Wertschriften investiert. Überschüttet mit guter Performance wurde, wer in den letzten fünf Jahren Stock Options von seinem Arbeitgeber eingeräumt bekam.

Gekünstelte Performance und Wachstumsdruck

Ein wesentlicher Treiber der exorbitanten Aktienperformance im S&P 500 Universum waren Aktienrückkaufprogramme. Seit 2009 sprang Volumen als auch Anzahl der sog. Buy-back Programme deutlich an. Nach Daten von FactSet ist seit dem 3. Quartal 2016 aber nun eine Trendumkehr zu beobachten (siehe Grafik). Die Anzahl der Unternehmen, die ihre Buy Back Programme beendet haben, ist deutlich angestiegen. Parallel gibt es in einigen Sektoren Druck auf das Wachstum der Umsätze. Der jahrelang sehr gut gelaufenen Energiesektor hat  jetzt die rote Laterne mit Rekordeinbussen von rund 67% im letzten Quartal. Auch im klassischen Sektor der Industrials schrumpften die Umsätze zuletzt um 7,70%. Der Druck auf die Unternehmen, ihre Aktienbewertungen zu rechtfertigen wächst. Der verpatzte Start in die aktuelle Earnings Season durch Alcoa Inc. ist sinnbildlich: Im dritten Quartal fiel der Umsatz um 6% auf 5,2 Mrd. Dollar, wie der Aluminiumhersteller zum traditionellen Auftakt der US-Bilanzsaison mitteilte. Die Aktie verlor postwendend 7% trotz, dass auf der Kostenseite rigoros gespart wurde. Die Börsianer sind nervös, schlechte Quartalszahlen werden inzwischen als sofortiges Ausstiegssignal gewertet. Hoffnungsvolle Zwischensignale sendet die US-Finanzwelt: Morgan Stanley, Bank of America, Citigroup und Goldman Sachs brillierten mit guten Zahlen – allerdings auch dank rigoroser Bilanzkosmetik wie Buybacks und Einmaleffekte.

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Dividenden-Fans lieben US-Aktien

Anleger, die auf Dividenden stehen, kommen an den USA nicht vorbei. Nordamerika stellt die dividendenstärkste Region gemessen an Volumen der weltweiten
Dividendenzahlungen dar. So entfallen 43% der weltweiten Dividendenzahlungen
auf US-Unternehmen. Für ausschüttungsorientierte Investoren ist somit der US-
Aktienmarkt von besonderem Interesse. Nach Berechnungen von Starökonom Robert J. Shiller sind die U.S. Dividenden im Schnitt um 5% pro Jahr gewachsen und damit jeweils knapp 2% über der Inflationsrate. Die im Vergleich zu europäischen Aktien, gemessen am Stoxx 600 Index, bisher geringe Ausschüttungsquote der Dividenden im Verhältnis zum Gewinn (aktuell: 38%) zeigt, dass US-Unternehmen auch in Zukunft Luft für eine nachhaltige Dividendenpolitik haben. Der ETF-Provider WisdomTree, welcher übrigens auch selbst börsenkotiert ist, hat hierzu eigens einen Index kreiert, welcher auf die Aktien mit der kräftigsten Dividendenpower setzt. Die grössten Ausschüttungen liefern gemäss dem WisdomTree Dividend Index aktuell ExxonMobile, Apple, AT&T und Microsoft, gefolgt von Verizon und General Electric. Der Index ist fundamental gewichtet und besteht aus dividendenausschüttenden US-Aktien. Anleger können mit dem entsprechenden ETF auf diesen Index in die besten Aktien anhand von Wachstums- und Qualitätsfaktoren investieren. Die Blue-Chip Aktien versprechen Robustheit fürs Portfolio, auch falls ein Rauhbein ins Weisse Haus einziehen sollte.

An aussichtsreichen Sektoren partizipieren

Ein guter Seismograf für den sich verändernden Appetit unter Anlegern in Bezug auf Unternehmenssektoren sind die Flows der jeweiligen börsenkotierten Indexfonds, besser als ETFs bekannt. So stach in den letzten Wochen ein massiver Geldzufluss in den Gesundheitssektor hervor: Nach Angaben von Bloomberg hat der Health Care Select Sector SPDR Fund bisher mit rund USD 935 Mio. die grössten Mittelzuflüsse erhalten. Rund 90% der Health-Care-Unternehmen haben in der jüngsten Berichtssaison die Gewinnerwartungen der Analysten übertroffen. Das ist die beste Entwicklung unter den zehn größten Branchen im Standard & Poor’s 500 Index. Bleibt die Regierung in Händen der Demokraten, wird auch Obamacare («Affordable Care Act») überleben. Allerdings gilt das Konzept als schwer angeschlagen und brockte vielen Healthcare Providern wie UnitedHealth Aetna, Anthem und Humana millionenschwere Verluste ein – vor kurzem wurde dieses Verlustkatapult gestoppt und der Verkauf von Obamacare Policien gestoppt. Als Gruppe verzeichneten die Health-Care ETFs seit Jahresanfang Zuflüsse von 3,9 Mrd. Dollar. Unter zwölf Gruppen nach Sektoren haben nur Immobilien-und Energie-ETFs (wie der SPDR S&P U.S. Energy Select Sector ETF) mehr Anlagegelder angezogen. Im Energiebereich steht der Mittelzufluss der ETFs konträr zum Umsatzwachstum (siehe Grafik). Ein Sektor mit viel Potenzial ist unisono Materials – dort sind u.a. Bau- und chemische Industrie repräsentiert. Pfannenfertige Lösung mit viel Potenzial ist in diesem Zusammenhang DZNAJB, ein Tracker-Zertifikat der Bank Julius Bär auf den JB US Infrastructure Basket. Das Produkt ist in US-Dollar an der SIX Swiss Exchange kotiert und umfasst 15 Aktien aus dem Infrastruktur-Sektor. Die Aktienauswahl ist grundsätzlich gut gelungen, einzig Vulcan Materials als dürrer Renditebringer und die beiden Transportvaloren CSX und Union Pacific kommen einem Produktstrategen zum Stichwort Infrastruktur nicht sofort in den Sinn.

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US-Indizes (fast) zum Nulltarif

Anleger, die keine Lust auf Sektor-Wetten haben, finden an der SIX Swiss Exchange sehr günstigste ETFs auf den US-Aktienmarkt: Nahezu umsonst, nämlich für lediglich 0.05% p.a. Verwaltungsgebühr, bildet der Vanguard S&P500 ETF (Symbol VUSA / Valor 18’575’508) den amerikanischen Leitindex 1:1 ab. Interessante Ergänzung für passive Kernportfolien ist auch der comstage Nasdaq 100 ETF (Symbol PNDX / Valor 4561643). Die grössten Positionen in diesem Index sind derzeit die oben genannten Dividendenkönige: Apple (11.22%), Alphabet, ex Google (9.23%), Microsoft (7.97%) aber auch Softwaremischkonzerne wie Amazon (6.89%) und Facebook (5.37%). Auch Strukturierte Produkte auf US-Benchmarkindizes gibt es an der Schweizer Börse SIX kotiert: Wer den Dow Jones Industrial Average Index zu Tiefstpreisen ins Portfolio holen möchte, findet in ETDOW (Valor 18628893) das passende Tracker-Zertifikat von UBS, tiefer Sekundärmarkt-Spread inklusive. Ganz ohne Management-Fee kommt ETSPX (Valor 10834744) aus. Der Tracker-Zertifikat, ebenfalls von der UBS, auf den S&P 500 TR Index hat einen Sekundärmarktspread von 0.24%.

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Bank Vontobel bedient Clinton – und Trump

Eine ganz besondere Mischung bietet die Bank Vontobel im Zuge der Neuwahl des US-Präsidentenamts an: Anleger können wahlweise bis zum 8. November 2016 – dem Tag der US-Wahlen – zeichnen. Jedoch wird nach Bekanntgabe des Wahlresultats nur das auf den Wahlsieger lautende Tracker-Zertifikat emittiert. Im Falle des Sieges von Hillary Clinton wird ein «Clinton»-Basket mit dem Symbol ZCLIUV lanciert. Macht hingegen der ambivalente Donald Trump das Rennen, setzt Vontobel mit ZTRUUV einen «Trump»-Basket auf. Warum allerdings Luxushausbauer Pulte besonders von Hillary Clinton im Weissen Haus profitieren sollte oder Boeing nur bei Präsident Trump erscheint fraglich. Aber die Schwierigkeit der Titelselektion kennend, ist einzig eine Übergewichtung auf Financials im Falle des Wahlsiegs von Trump ratsam. Reinrassige Infrastrukturunternehmen werden sowohl von Hillary Clinton als auch Donald Trump profitieren. Derweil wird in Washington D.C. bereits die Amtseinführungs-Zeremonie für den 20. Januar geplant. Dann werden Präsident und Vice-President feierlich am US-Kapitol eingeschworen. Nach dem ersten schwarzen Präsident, könnte Hillary Clinton als erste Frau im Amt Geschichte schreiben. Oder die Welt böse Erwachen – mit einem vermeintlichen Immobilien-Milliardär als neuem Hausherr in der 1600 Pennsylvania Ave NW.

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