Brasilien: Senat suspendiert Präsidentin Rousseff

Brasilien: Senat suspendiert Präsidentin Rousseff
Brasiliens suspendierte Präsidentin Dilma Rousseff.

Dilma Rousseff.

Brasilia – Brasiliens Staatspräsidentin Dilma Rousseff muss ihr Amt vorläufig abgeben. Der brasilianische Senat stimmte am Donnerstag mit 55 zu 22 Stimmen für eine Suspendierung von zunächst 180 Tagen, um mögliche Amtsverfehlungen Rousseffs juristisch untersuchen zu lassen.

In der Zeit der halbjährigen Suspendierung sollen mögliche Verfehlungen wie die Verschleierung der wahren Haushaltslage und nicht autorisierte Kreditvergaben juristisch geprüft werden. Im Herbst könnte Rousseff dann endgültig des Amtes enthoben werden.

Rousseff schliesst Rücktritt aus
Vizepräsident Michel Temer will noch heute das Amt übernehmen und sein Kabinett vorstellen. Rousseff weist die Vorwürfe zurück und spricht von einem «Putsch». Sie sei bis zum 31. Dezember 2018 gewählt, einen Rücktritt schliesst sie aus. Nach Prüfung der Vorwürfe unter Beteiligung des Obersten Gerichtshofs muss der Senat – dieses Mal mit Zweidrittelmehrheit – über eine endgültige Amtsenthebung entscheiden. Wird sie verfehlt, würde Rousseff wieder zurückkehren.

Temer bereitet sich auf Amtsübernahme vor
Der 75-jährige Temer von der Partei der demokratischen Bewegung (PMDB), die die Koalition mit der linken Arbeiterpartei Rousseffs im März aufgekündigt hatte, traf sich während der Sitzung mit Vertrauten in seinem Amtssitz in Brasília, dem Palácio do Jaburu, um den Wechsel vorzubereiten. Rousseff bezeichnet ihn als «Verräter», weil er ihren Sturz mit seiner Partei forciert hat. Ihr Auszug aus dem Palácio do Planalto war für Donnerstag 10.00 Uhr (15.00 Uhr MESZ) vorgesehen.

Erstmals seit 2003 würde dann zumindest für das nächste halbe Jahr eine Regierung ohne Beteiligung der Arbeiterpartei das Land führen. Einen letzten Einspruch der Regierung gegen das Absetzungsverfahren wies der Oberste Gerichtshof des Landes am Mittwoch zurück.

Sportminister und Zentralbankchef sollen im Amt bleiben
Temer würde auch die Olympischen Spiele am 5. August in Rio eröffnen. Der bisherige, erst vor wenigen Wochen ernannte Sportminister Ricardo Leyser soll zur Wahrung der Kontinuität nicht abgelöst werden, ebenso wie Zentralbankchef Alexandre Tombini. Bisher gibt es 31 Ministerien, Temer will die Zahl verringern. Bisher gab es solch ein Verfahren in Brasilien erst einmal. 1992 wurde Fernando Collor de Mello nach Korruptionsvorwürfen suspendiert – und trat schliesslich zurück. Er ist heute Senator und verurteilte die Regierung als katastrophal.

Von Korruptionsskandal eingeholt
Rousseff, seit 2011 an der Macht, war zuletzt eine Präsidentin ohne Fortune, mitunter aufbrausend, mit weniger Volksnähe und Charisma als ihr Vorgänger Luiz Inácio Lula da Silva. In dessen Amtszeit wuchs die Wirtschaft kräftig, auch dank der sprudelnden Öleinnahmen. Rund 40 Millionen Menschen seien dank Sozialprogrammen und Mindestlöhnen aus der Armut befreit worden, betont Rousseff. Nun ist das Land in einer tiefen Rezession, ein Korruptionsskandal aus Lulas Amtszeit hat Rousseff eingeholt, sie war damals Aufsichtratschefin des im Fokus stehenden Petrobras-Konzerns. Über elf Millionen sind arbeitslos.

Seit Wochen ist das Land wegen des Ringens um ihre Amtsenthebung politisch handlungsunfähig. Als sich die klare Zustimmung zu der Suspendierung Rousseffs abzeichnete, stieg der Kurs an der Börse in Sao Paulo und der Real gewann gegenüber dem Dollar, der Wechselkurs lag bei 1 zu 3,44 US-Dollar. Temer will mit Privatisierungen und Entlassungen im Staatsdienst das hohe Defizit in den Griff bekommen.

Mit umfassenden Reformen will er die kriselnde Wirtschaft ankurbeln, das Bruttoinlandsprodukt der bisher siebtgrössten Volkswirtschaft war 2015 um 3,8 Prozent eingebrochen, für dieses Jahr sieht es nicht besser aus. Der frühere Zentralbank-Chef Henrique Meirelles soll Finanzminister werden, zuletzt waren die Staatsanleihen von den Ratingagenturen auf Ramschniveau gesenkt worden. Umweltschützer befürchten mehr Regenwaldabholzungen. Temer will zum Beispiel den umstrittenen «Sojabaron» Blairo Maggi zum Agrarminister machen. (awp/mc/pg)

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