Grossbritannien und Kanada erkennen Staat Palästina an

Grossbritannien und Kanada erkennen Staat Palästina an
Der kanadische Premierminister Mark Carney bei seinem Antrittsbesuch bei seinem britischen Amtskollegen Keir Starmer im März 2025 in in London.

London / Ottawa – Grossbritannien und Kanada haben als erste grosse westliche Wirtschaftsnationen die Anerkennung eines palästinensischen Staates beschlossen. Das gaben die Premierminister Keir Starmer und Mark Carney kurz vor Beginn der UN-Generaldebatte in der kommenden Woche in New York bekannt. Dort wollen weitere westliche Nationen wie Frankreich und Belgien nachziehen – trotz Warnungen Israels, die Anerkennung eines Palästinenser-Staates komme einer «Belohnung für die Hamas» gleich.

Nahezu zeitgleich zur Bekanntgabe Grossbritanniens und Kanadas verkündete auch Australiens Regierungschef Anthony Albanese, einen Palästinenser-Staat formal anzuerkennen. Portugal wollte dies noch am Sonntagabend tun.

Starmer hatte Israel bereits Ende Juli mit der Anerkennung eines palästinensischen Staates gedroht. Damals machte er die Entscheidung noch davon abhängig, ob Israel seinen Kurs im Gaza-Krieg ändern würde.

London verweist auf katastrophale Lage im Gazastreifen
Grossbritannien fordert unter anderem eine sofortige Waffenruhe sowie mehr humanitäre Hilfe für die not- und hungerleidende Bevölkerung im Gazastreifen. Die Debatte über die Anerkennung eines Palästinenser-Staates sei Teil eines Gesamtpakets, «das uns hoffentlich aus der derzeitigen, schrecklichen Situation heraus und hin zu einem sicheren Israel, das wir nicht haben, und einem lebensfähigen palästinensischen Staat führt», sagte Starmer jüngst.

Kanada verfolge im Nahost-Konflikt weiter die Zweistaatenlösung, erklärte Carney. Die israelische Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu arbeite systematisch daran, die Entstehung eines palästinensischen Staates zu verhindern. Deswegen erkenne Kanada nun als Teil einer internationalen Initiative einen palästinensischen Staat an, um die Perspektive einer Zweistaatenlösung zu erhalten.

Das ist die deutsche Position in der Palästina-Frage
Die USA sind Israels engster Verbündeter und lehnen – wie Deutschland – die Anerkennung eines palästinensischen Staates zu diesem Zeitpunkt ab. Deutschlands Aussenminister Johann Wadephul bekräftigte zuletzt die Position der Bundesregierung, «dass ein Palästinenser-Staat jetzt nicht anzuerkennen ist, aber dass eine Zweistaatenlösung möglich sein muss».

Mit der sogenannten Zweistaatenlösung ist die Errichtung eines unabhängigen palästinensischen Staates gemeint, der friedlich Seite an Seite mit Israel existieren soll. Sie gilt als das international anerkannte Ziel für eine Lösung des Nahost-Konflikts. Deutschland setzt daher weiterhin auf eine Verhandlungslösung. Doch alle Versuche einer friedlichen Einigung beider Seiten waren bisher gescheitert, die letzten Gespräche gab es 2014.

Israels Ablehnung der Zweistaatenlösung
Netanjahu hatte die Idee eines entmilitarisierten palästinensischen Staates einst ebenfalls unterstützt, rückte dann jedoch davon ab. Seine gegenwärtige rechtskonservative Regierung lehnt eine Zweistaatenlösung strikt ab. Sie steht auf dem Standpunkt, ein palästinensischer Staat gefährde Israels Existenz und wäre eine «Belohnung» für die islamistische Terrororganisation Hamas nach dem beispiellosen Massaker in Israel am 7. Oktober 2023.

Siedlungsausbau und Annexionsbestrebungen
Netanjahus Regierung treibt gleichzeitig den Siedlungsausbau im Westjordanland und in Ost-Jerusalem stetig voran. In den Gebieten leben mehr als 700.000 Siedler neben rund drei Millionen Palästinensern. Die Palästinenser beanspruchen sie ebenso wie den Gazastreifen für ihren eigenen Staat.

Durch Israels fortschreitende Besiedlung bliebe davon jedoch schon heute nur ein «Flickenteppich» übrig. Insofern kommt der Vorstoss Grossbritanniens und anderer einflussreicher Länder de facto einer eher symbolischen Anerkennung eines Staates ohne Land gleich. Auch der britische Vize-Premier David Lammy räumte bei Sky News ein, eine Anerkennung bedeute nicht, dass über Nacht ein palästinensischer Staat entstehen werde.

Gleichzeitig drängen ultrarechte israelische Minister massiv zu einer Ausweitung des israelischen Staatsgebiets und zur Annexion von grossen Teilen des Westjordanlands und des Gazastreifens. Finanzminister Bezalel Smotrich hatte angedroht, Israel könnte sich als Reaktion auf die Anerkennung rund 80 Prozent des Westjordanlands einverleiben.

Hamas will Zerstörung Israels und islamischen Staat
Auch die Hamas, die 2007 gewaltsam die alleinige Kontrolle im Gazastreifen an sich gerissen hatte, lehnt eine Zweistaatenlösung ab. Sie will Israel zerstören und stattdessen einen islamischen Staat auf dem gesamten Gebiet des historischen Palästina errichten.

Die gemässigtere Palästinensische Befreiungsorganisation PLO, die im Westjordanland die Autonomiebehörde dominiert und international die Interessen der Palästinenser wahrnimmt, befürwortet hingegen die Zweistaatenlösung.

Wichtige Konferenz zur Zweistaatenlösung
Der Vorstoss, die Woche der UN-Generaldebatte für die Anerkennung eines palästinensischen Staates zu nutzen, war Ende Juli von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gekommen. Wadephul will an der dafür von Frankreich organisierten Konferenz an diesem Montag auch teilnehmen.

Weltweit haben bereits fast 150 der 193 UN-Mitgliedsstaaten einen palästinensischen Staat anerkannt. Aus palästinensischer Sicht ist aber gerade die Entscheidung mehrerer führender westlicher Staaten von besonderer Bedeutung. Wenn nach Grossbritannien wie geplant auch Frankreich folgt, dann haben einschliesslich Russland und China vier der fünf UN-Vetomächte einen Palästinenser-Staat anerkannt – einzig die USA nicht.

Internationale Empörung über Israels Vorgehen in Gaza
Der Krieg im Gazastreifen hatte mit dem Überfall der Hamas und weiterer islamistischer Terroristen auf Israel am 7. Oktober 2023 begonnen. Dabei wurden rund 1.200 Menschen getötet und mehr als 250 in den Gazastreifen verschleppt. Nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums in Gaza wurden im Kriegsverlauf bereits mehr als 65.000 Palästinenser getötet, darunter zahlreiche Frauen und Kinder.

Im Gazastreifen, in dem rund zwei Millionen Palästinenser leben, herrscht Hilfsorganisationen zufolge inzwischen eine dramatische humanitäre Krise; es fehlt vielen Menschen am Allernötigsten, Hunderttausende mussten wegen Kämpfen bereits mehrfach fliehen. Für Teile der Stadt Gaza und einige Nachbarorte wurde zudem eine Hungersnot erklärt.

Israel kontrolliert die Zufuhr von Hilfsgütern in den abgeriegelten Küstenstreifen. Diese Versorgung ist internationalen Organisationen zufolge schon seit Monaten viel zu gering.

Jüngst startete Israel auch eine höchst umstrittene Bodenoffensive in der Stadt Gaza, in der noch Hunderttausende Palästinenser leben. Ziel ist es laut Regierungsangaben, dort eine der letzten Hamas-Hochburgen zu zerschlagen und die Freilassung der Geiseln zu erzielen. Im Gazastreifen befinden sich noch 48 Geiseln. Nach israelischen Informationen dürften 20 von ihnen noch leben. (awp/mc/ps)

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