„Industriezone Kaesong wird in Nordkorea wenig verändern“

„Industriezone Kaesong wird in Nordkorea wenig verändern“

Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un.

Bonn – Trotz minimaler Öffnungen in Nordkorea wie der Wiedereröffnung der Industriezone Kaesong am Montag bestehen nach wissenschaftlicher Einschätzung kaum Chancen auf Verbesserung der „katastrophalen Menschenrechtslage“ unter Staatschef Kim Jong-Un.

„Zwar sickern durch Handys, Radios und DVDs inzwischen vom Regime unbemerkt Auslandsinfos ins Land, die der Staatspropaganda widersprechen. Auch das gemeinsame Industriegebiet von Nord- und Südkorea in Kaesong wird mehr Auslandskontakte mit sich bringen. Doch das verbessert die Menschenrechtslage nicht. Das ausgefeilte Kontroll- und Terrorsystem des Staates verhindert die Bildung jeglicher Opposition“, erläutert Dr. Sang-Yi O-Rauch, die Forschungsergebnisse zur Lage in Nordkorea auf dem 32. Deutschen Orientalistentag präsentiert. Die gebürtige Südkoreanerin O-Rauch ist Lehrbeauftragte an der Universität Bonn in der Abteilung Japanologie und Koreanistik und forscht schwerpunktmässig zu Nordkorea.

Wirtschaftliche Stabilisierung
Ob die Wiedereröffnung der gemeinsamen Industriezone von Nord- und Südkorea in der Grenzregion Kaesong mittelfristig mehr positive Auswirkungen haben könne, sei noch offen, so O-Rauch. „Die zaghafte Annäherung beider Länder in Kaesong führt in jedem Fall zu mehr Austausch zwischen Nord- und Südkoreanern, der weitere neue Informationen ins Land bringt. Sie führt auch zu wirtschaftlicher Stabilisierung und kann zur Verringerung militärischer Krisen beitragen.“

Staatskontrolle nimmt zu
Seit der Machtübernahme von Kim Jong-Un verschlechtere sich die Menschenrechtslage und die Staatskontrolle nehme zu, was auch die drastisch gesunkene Zahl der Flüchtlinge im Ausland belege, unterstreicht die Forscherin. „Das Regime in Nordkorea muss sein Volk brutal unterdrücken, um an der Macht zu bleiben.“

Hunger, Zwangsarbeit und öffentliche Hinrichtungen
Die Koreanistin wertet regelmässig und systematisch neue Berichte nordkoreanischer Flüchtlinge aus, die seltene Einblicke in das isolierte Land gewähren. Darunter sind viele Interviews mit ehemaligen Insassen und Aufsehern von Lagern sowie Mitarbeitern des Staatssicherheits- und Geheimdienstes. „Nicht alle Informationen lassen sich einzeln prüfen. Sie ergeben jedoch ein stimmiges Gesamtbild und lassen sich teils mit Satellitenfotos belegen.“ Die Aussagen werden seit 2003 von der südkoreanischen Nicht-Regierungsorganisation „Database Center for North Korean Human Rights“ dokumentiert und veröffentlicht. O-Rauch untersucht ergänzend ideologische Schriften und im Ausland einsehbare, staatlich kontrollierte Medien Nordkoreas.

Bis zu 200’000 Menschen in Lagern
Die Verletzung der Menschenrechte reicht nach den Worten der Wissenschaftlerin von Folter und Zwangsarbeit bis zu Hinrichtungen. „Unzählige Flüchtlingsberichte zeigen, wie willkürlich Gewalt ausgeübt wird. Viele Menschen verhungern und sind medizinisch schlecht versorgt. Andere werden willkürlich bespitzelt, verhaftet und gefoltert.“ Beim vage gefassten Tatbestand eines „politischen Verbrechens“ würden Beschuldigte samt ihren Angehörigen, auch Kindern, in Lager deportiert. Dort seien sie Zwangsarbeit, Misshandlungen und öffentlichen Hinrichtungen ausgesetzt. „In den Lagern sind bis zu 200.000 Menschen inhaftiert – die meisten davon lebenslang“, sagt die Koreanistin.

Gefährdet sei die gesamte Bevölkerung, so O-Rauch. „Selbst die 28 Prozent der Nordkoreaner, die das Regime als Elite der ‚loyalen Kerngruppe‘ betrachtet, sind nicht vor Staatswillkür sicher.“ Wer im Alltag keine Führertreue zeige und die totalitäre Ideologie in Frage stelle, sei akut bedroht. „Dazu ist kein politisches Statement nötig. Es reicht schon, Bilder des Führers in der Wohnung nicht sauber zu halten.“ Da Religion mit der Staatsideologie konkurriere, würden Christen verfolgt. „Sie kommen in Lager für politische Gefangene.“

„Nordkorea hat sein eigenes ‚Menschenrechtskonzept‘“
Aus dem Ausland erwartet die Wissenschaftlerin derzeit keine politische Verbesserung der „katastrophalen Situation“. Die Gründung der „UN-Kommission zur Untersuchung der Lage in Nordkorea“, die der Menschenrechtsrat im Frühjahr ohne Gegenstimme beschlossen hatte, sei zwar ein wichtiges Zeichen, doch wirksame Massnahmen könne sie nicht ergreifen. In den Verhandlungen Nordkoreas mit den USA, Japan oder Südkorea stünden sicherheitspolitische Themen wie das Atom- und Raketenprogramm im Vordergrund. „China ist einflussreich, hat aber selbst eine kritische Menschenrechtslage.“

„Aus nordkoreanischer Sicht gibt es trotz allem keine Menschenrechtsfrage im eigenen Land“, so O-Rauch. Als höchstes Menschenrecht werde das „Recht der Nation auf Selbstbestimmung“ betrachtet. Die Gültigkeit universeller Menschenrechte lehne das Land hingegen ab, obwohl es mit seinem Beitritt zu den Vereinten Nationen 1991 die allgemeine Menschenrechtserklärung unterzeichnet hat. „Nordkorea vertritt den Anspruch, dass sein ‚Menschenrechtskonzept‘ gleichberechtigt neben der UN-Menschenrechtscharta stehen und international anerkannt werden sollte.“

Umfassender Führerkult
Nordkorea legitimiert die Verletzung der Menschenrechte durch einen umfassenden Führerkult, wie die Forscherin anhand ihrer Quellen analysiert hat. Der Kult reiche bis in den Alltag und erzwinge bedingungslose Loyalität – auch mit Gewalt. Zur Umsetzung des Staatsterrors diene ein Drei-Klassen-System. „Es ermöglicht soziale Kontrolle, die Isolation von Menschen, die als ‚feindlicher Elemente‘ eingestuft werden, und die Verteilung von Privilegien an die politische und militärische Eliten.“ (Universität Münster/mc/pg)

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