Israel auf Irans Vergeltungsschlag vorbereitet
Tel Aviv / Washington – Israel ist nach eigenen Angaben auf einen möglichen Vergeltungsschlag des Irans vorbereitet. «Ein direkter iranischer Angriff wird eine angemessene israelische Antwort gegen den Iran erfordern», sagte der israelische Verteidigungsminister Joav Galant in einem Gespräch mit seinem US-Kollegen Lloyd Austin, wie die israelische Regierung am Donnerstagabend bekannt gab.
Austin sicherte Galant erneut «die eiserne Unterstützung der USA für Israels Verteidigung angesichts der wachsenden Drohungen durch den Iran und seine regionalen Stellvertreter» zu, so das Pentagon. Wie das «Wall Street Journal» am Freitagmorgen unter Berufung auf eine nicht genannte Quelle berichtete, bereitet sich Israel auf einen Angriff des Irans auf den Süden oder Norden Israels vor, der schon «in den nächsten 24 bis 48 Stunden» erfolgen könnte.
Nach einem mutmasslich israelischen Angriff auf das iranische Botschaftsgelände in Syrien am 1. April nahmen die Drohungen aus Teheran in Richtung Israel jüngst zu. Der Angriff sei wie ein Angriff auf iranisches Territorium gewesen und Israel müsse bestraft werden, hatte Irans Staatsoberhaupt Ajatollah Ali Chamenei am Mittwoch gesagt. Pläne für einen Angriff würden zwar diskutiert, es sei aber noch keine endgültige Entscheidung getroffen worden, zitierte das «Wall Street Journal» eine Person, die von Irans Führung unterrichtet worden sei. Israels Armee sei auf einen Angriff gegen Israel und «die daraus folgende Verteidigung» vorbereitet, hatte der israelische Armeesprecher Daniel Hagari am Donnerstag gesagt.
Diplomatische Bemühungen um Deeskalation
US-Aussenminister Antony Blinken rief derweil seine Kollegen in China, der Türkei und Saudi-Arabien auf, den Iran von einer Eskalation abzuhalten. Eine Reihe von Telefonaten hätten in den vergangenen 24 Stunden stattgefunden, teilte der Sprecher des US-Ministeriums, Matthew Miller, am Donnerstag mit. Ähnliche Gespräche würden auch mit europäischen Verbündeten und Partnern geführt. «Eine Eskalation liegt nicht im Interesse des Irans. Sie liegt nicht im Interesse der Region. Und sie liegt nicht im Interesse der Welt», sagte Miller.
Die US-Botschaft in Israel gab vor dem Hintergrund der Drohungen eine Sicherheitswarnung für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus. Aus Gründen der Vorsicht sei es Mitarbeitern der US-Regierung und ihren Familienangehörigen bis auf Weiteres untersagt, ausserhalb der Grossräume der Städte Tel Aviv, Jerusalem und Be’er Scheva im Süden des Landes zu reisen, teilte die US-Botschaft in Jerusalem am Donnerstag auf ihrer Internetseite mit. Die Lufthansa verlängerte unterdessen die Aussetzung geplanter Flüge in und aus der iranischen Hauptstadt Teheran. «Aufgrund der aktuellen Situation setzt Lufthansa nach sorgfältiger Evaluation ihre Flüge von und nach Teheran bis voraussichtlich einschliesslich Samstag, 13. April, aus», teilte ein Unternehmenssprecher am frühen Freitagmorgen auf dpa-Anfrage mit.
Hamas: Feuerpause nötig zum Auffinden von Geiseln
Unterdessen wachsen im Gaza-Krieg die Befürchtungen, dass mehr israelische Geiseln in dem umkämpften Küstengebiet tot sein könnten, als bisher angenommen. Das Schicksal der Entführten könne nur während einer Waffenruhe aufgeklärt werden, sagte Basem Naim, Mitglied des Politbüros der islamistischen Hamas, am Donnerstagabend in einer auf Telegram verbreiteten Stellungnahme. Teil der Verhandlungen sei es, ein Abkommen über eine Feuerpause zu erreichen, «um genügend Zeit und Sicherheit zu haben, um endgültige und genauere Daten über die gefangenen Israelis zu sammeln». Naim reagierte damit auf Fragen von Medienvertretern, ob die Hamas den jüngsten Vorschlag der USA abgelehnt habe, weil sie in einer ersten Phase keine 40 Geiseln freilassen könne.
Die erste Phase eines dreistufigen Abkommens sah nach Medienberichten die Freilassung von Frauen, Soldatinnen, Männern über 50 Jahren sowie von Männern unter 50 Jahren mit schweren medizinischen Problemen vor. In den jüngsten Verhandlungen habe die Hamas aber erklärt, sie habe keine 40 lebenden Geiseln aus diesen Kategorien. Die Entführten befänden sich an verschiedenen Orten im umkämpften Gazastreifen und in der Hand von verschiedenen Gruppen, sagte Naim in der Stellungnahme. Einige von ihnen lägen auch zusammen mit getöteten Palästinensern «unter den Trümmern», sagte der ranghohe Hamas-Funktionär. «Wir verhandeln, um schwere Ausrüstung für diesen Zweck zu bekommen».
Israel war bislang zuvor davon ausgegangen, dass noch knapp 100 der rund 130 in dem abgeriegelten Küstengebiet verbliebenen Geiseln am Leben sind. Der Kompromissvorschlag der USA war am Sonntagabend nach Medienberichten bei den Verhandlungsgesprächen in Kairo präsentiert worden. Der Vorschlag sah demnach vor, dass die Hamas im Zuge einer sechswöchigen Feuerpause 40 der Geiseln im Tausch gegen 900 palästinensische Häftlinge freilässt. Israel solle wiederum bis zu 150 000 vertriebenen Palästinensern die Rückkehr in den Norden Gazas gestatten. Die Hamas pocht auf einen dauerhaften Waffenstillstand und den vollständigen Abzug der israelischen Truppen. Israel behält sich die Möglichkeit offen, die Kämpfe nach einer Feuerpause bis zum vollständigen Sieg über die Hamas fortzusetzen.
US-Entwicklungsbehörde geht von Hungersnot im Gazastreifen aus
Die Leiterin der US-Behörde für internationale Entwicklung (USAID) geht unterdessen davon aus, dass es in Teilen des Gazastreifens bereits eine Hungersnot gibt. Bei einer Anhörung im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten des US-Kongresses wurde Samantha Power am Mittwoch danach gefragt, ob diese Einschätzung insbesondere für den Norden des abgeriegelten Küstengebiets zutreffe. Sie antwortete mit «ja». Damit ist Power laut US-Medien vom Donnerstag die erste US-Regierungsvertreterin, die öffentlich diese Einschätzung bestätigt. Die offizielle Einstufung als Hungersnot bedeutet, dass mindestens 20 Prozent der Bevölkerung von extremem Mangel an Nahrung betroffen sind. Israel steht wegen der katastrophalen humanitären Lage im Gazastreifen international stark in der Kritik.
Nach Angaben der israelischen Behörden hat sich in der vergangenen Woche der Inhalt von etwa 600 Lastwagen mit Hilfsgütern hinter der Grenze zu dem Küstengebiet aufgestaut. In den vergangenen Tagen sei die Menge der Hilfslieferungen über die Grenzübergänge Kerem Schalom und Nitzana erheblich erhöht worden, teilte die für Kontakte mit den Palästinensern und humanitäre Hilfe zuständige israelische Cogat-Behörde am Donnerstag mit. Allerdings gingen die Abholung und Verteilung der Hilfsgüter durch die UN-Organisationen nur schleppend voran. «Wir haben die Betriebszeiten verlängert und wir haben zusätzliche Mittel für die Sicherheitskontrollen bereitgestellt – jetzt sind Sie an der Reihe, Ihren Job zu machen. Die Engpässe liegen nicht auf der israelischen Seite», hiess es in einer Mitteilung der israelischen Behörde. Die Angaben konnten unabhängig zunächst nicht überprüft werden. (awp/mc/pg)