Kanzler Nehammer bei Putin: Der Krieg kennt nur Verlierer

Kanzler Nehammer bei Putin: Der Krieg kennt nur Verlierer
Österreichs Kanzler Karl Nehammer.

Moskau / Wien – Auch am Tag des Besuchs von Österreichs Kanzler Karl Nehammer in Moskau bei Kremlchef Wladimir Putin sind Russlands Raketenangriffe in der Ukraine unvermindert weitergegangen. Umso dringlicher wirkte, was Nehammer dem russischen Präsidenten ausrichtete: «Meine wichtigste Botschaft an Putin war aber, dass dieser Krieg endlich enden muss, denn in einem Krieg gibt es auf beiden Seiten nur Verlierer», betonte der Kanzler nach dem etwa einstündigen Treffen. Mit grosser Aufmerksamkeit und Skepsis war die erste Visite eines EU-Regierungschefs in Moskau seit Ausbruch des Kriegs national und international verfolgt worden. Putin hatte voher keine Signale der Einsicht ausgesendet – und eine Reaktion des Kremls auf das Gespräch blieb zunächst aus.

«Das Gespräch mit Präsident Putin war sehr direkt, offen und hart», bilanzierte Nehammer anschliessend. Er habe die schweren Kriegsverbrechen in Butscha und anderen Orten angesprochen und deutlich gemacht, dass an der Sanktionsschraube gedreht werde, solange Menschen in der Ukraine sterben. Kiew wirft Russland chaotische und wahllose Bombardements vor. Die Militärführung in Moskau weist das zurück. Zumindest war Gelegenheit, die Sichtweise des jeweils anderen zu hören. «Es ist für mich alternativlos, auch mit Russland trotz aller Differenzen das direkte Gespräche zu suchen», meinte Nehammer. Die beiden Politiker trafen sich in Putins Moskauer Vorstadtresidenz in Nowo-Ogarjowo.

Noch am Samstag hatte Nehammer den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Kiew getroffen – und ihn von seinem Plan informiert. Auch Berlin und Brüssel wussten laut Wiener Kanzleramt Bescheid. Bundeskanzler Olaf Scholz begrüsste die Reise Nehammers. Man befürworte «jegliche diplomatischen Bemühungen, die darauf abzielen, ein Ende der Kampfhandlungen in der Ukraine zu erreichen und Grundvoraussetzungen für Verhandlungen zu schaffen zwischen der Ukraine und Russland», liess er in Berlin mitteilen. Er selbst habe im Moment «keinerlei Pläne» nach Moskau zu reisen.

Österreichs Aussenminister Alexander Schallenberg verteidigte im Vorfeld das Treffen in Moskau gegen Kritik. «Es geht einfach darum, dass wir (…) jede Chance ergreifen müssen, um die humanitäre Hölle in der Ukraine zu beenden», sagte er am Rande eines EU-Aussenministertreffens in Luxemburg. «Jede Stimme, die dem Präsidenten Putin verdeutlicht, wie die Realität sich ausserhalb der Mauern des Kremls wirklich darstellt, ist keine verlorene Stimme.» Zu Befürchtungen, dass Putin Bilder vom Treffen für seine Zwecke nutzen könnte, sagte Schallenberg, der Besuch sei so besprochen, dass es ausschliesslich ein Vieraugengespräch ohne Medien gebe. «

«Falle oder Coup?» Die «Kronen Zeitung» in Österreich stellte angesichts des Besuchs Nehammers eine naheliegende Frage. Und: Ausgerechnet das kleine Österreich will in einer der grössten Krisen seit dem Zweiten Weltkrieg diplomatisch mitspielen?, fragten sich nicht wenige. Der diplomatische Schatz, den Wien in diesem Fall heben könnte, sind seine militärische Neutralität und seine traditionell guten Beziehungen zu Moskau. Wien sieht sich gern in der Rolle des Brückenbauers. Dieses Bild wollte Nehammer bemühen und den Dialog vorantreiben. Persönliche Diplomatie statt Telefongespräche ist sein Motto. Neben der Türkei und Israel könnte sich Österreich als weiteres mögliches Vermittlerland positionieren – so der Plan.

Jahrzehntelang hat Wien ein sehr enges Verhältnis zu Moskau gepflegt. Der österreichische Energiekonzern OMV hat schon vor mehr als 50 Jahren einen ersten Erdgasliefervertrag mit der damaligen Sowjetunion abgeschlossen. Heute kommen 80 Prozent des Gases aus Russland, was den Handlungsspielraum des Landes sehr einschränkt.

Immer wieder hofierten österreichische Spitzenpolitiker den Chef im Kreml. Die Ex-Kanzler Christian Kern (SPÖ) und Wolfgang Schüssel (ÖVP) bekamen Jobs in Aufsichtsräten russischer Top-Firmen – die sie angesichts des Ukraine-Krieges aufgegeben haben. Schlagzeilen machte der Privatbesuch Putins 2018 bei der Hochzeit der damaligen Aussenministerin Karin Kneissl, die sich mit einem Knicks bedankte.

Aktuell hat Österreich zwar alle EU-Sanktionen mitgetragen, aber auf seine Weise nicht zusätzlich die Fronten verhärtet. So hat Wien erst nach einigem Zögern einige wenige russische Diplomaten ausgewiesen. Skeptisch sah Österreichs führender Russland-Experte Gerhard Mangott Nehammers Vorstoss. «Auch in Moskau weiss man, dass das kleine Österreich kein Gewicht hat, um auf die Meinungsbildung in der Europäischen Union zu Russland Einfluss zu nehmen», sagte Mangott am Sonntagabend im ORF-Fernsehen. (awp/mc/ps)

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